Der Fall Shimano: Standpunkt

M. Steingass —  24.1.14 — 18 Kommentare

Zwei Dinge waren abzusehen: Die Diskussion im Fall Shimano würde sich lediglich um das Thema Sex drehen und in der Folge um Moral (vgl. Diskussionen im Buddhaland und hier im Blog).

Dabei wurde in der Einleitung zu Der Fall Shimano: Mann ohne Rang formuliert, um was es eigentlich geht:

Es handelt sich um fehlendes ethisches Bewusstsein im Umgang mit Macht und im Grunde um das originäre Problem des X-Buddhismus. Dieser stellt ein in sich geschlossenes System dar, das per Definition nicht auf Hilfe von aussen angewiesen zu sein scheint. Dieses Problem ist im deutschsprachigen Buddhismus genauso ungelöst wie im US-amerikanischen und der Fall Shimano und sein Umgang mit ihm ist in dieser Hinsicht paradigmatisch.

Die Reihenfolge ist wichtig. An erster Stelle steht das geschlossene System X-Buddhismus. Im Fall Shimano sieht die Argumentation so aus: Der Mann ist erleuchtet, seine Kritiker sind es nicht. Was immer auch Erleuchtung sein mag, sie ist der transzendentale Anker an dem alles hängt. Begründet wird das z.B. mit Argumenten wie, wenn man so und so ein Buch schreibt oder so und so eine Text hersagen kann, muss man erleuchtet sein. Auf dieses dürre Etwas von Nichts lässt sich das alles reduzieren (dazu dann bloss noch etwa Kittel-Mantra-Räucherstäbchen und fertig ist die Betörung).

Die Reihenfolge ist wichtig: Vorausgesetzt wird im X-Buddhismus immer auf die eine oder andere Weise, dass der Meister dieses gewisse Extra hat das ihn vom Rest der Menschheit unterscheidet. Davon ausgehend folgt alles Andere. Alles Andere wird immer an diesem imaginären, wunderbaren, magischen Kern ausgerichtet. Genauso wie jegliches andere Wissen. Und die Moral.

Die Reihenfolge ist wichtig: Und eben auch die Moral. Erst nach der Selbstsetzung des Meisters und der Akklamation durch willige Gläubige kommt die Moral.

Die eigentliche Frage ist aber: Wie kommt jemand wie Shimano oder ein x-beliebiger anderer x-buddhistischer Lehrer in den Rang eines Menschen, für den Moral seinem Status quo nachgeordnet ist? Oder um es mit einem Wort zu umschreiben, das mir wesentlich lieber ist: Wie kommt es, dass für einen wie Shimano Integrität nicht zählt und dass ihm gläubige Jünger abkaufen, das was er tue – schlicht und ergreifend: Menschen scheisse behandeln – sei Ausdruck seiner Erleuchtung?

Es geht in Bezug auf sein Verhalten um nichts anderes als darum, dass an normalen Maßstäben gemessen, sein Verhalten einfach Scheisse ist. Dazu braucht man keine Debatte über Moral und Ethik. Aber eben, mann muss normale Maßstäbe anlegen und nicht einen imaginären Hokuspokus.

Wie gesagt, die Reihenfolge ist wichtig. Gewähren wir dem Meister nicht – primär – die Attribute seiner vorgeblichen Erleuchtung, steht vor uns ein stink normaler Mensch. Einer der sich an dem messen lassen muss, was andere akzeptabel finden.

Es geht um den Menschen und das was er tut, nicht um den buddhistischen Hohepriester und das was er zu sein scheint .

Wenn von normalen Maßstäben die Rede ist, heisst das nicht, dass es hier um politisch korrekte Moral geht. Oder darum, ein moralisches Gesetzt zu formulieren an das sich alle halten sollen. Oder das jetzt überall ethische Kommissionen tagen sollen.

Jemand schrieb mir, „einer ethischen Kommission wie bei den Amerikanern stimmst Du ebenfalls zu.“ Jemand anders fragt mich, „hat eigentlich schon mal irgend jemand allgemeinverbindlich festgelegt, was Moral ist?“ Weder wurde das Eine behauptet, noch das Andere gefordert.

Denn: Die Reihenfolge ist wichtig. Man muss sehen, dass der X-Buddhismus den Menschen einem Phantasma untertan macht. Dem Dharma. Wenn man sich dieses Spukes entledigt, bleibt der Mensch. Dann muss Mensch mit Mensch umgehen – und tatsächlich: Er muss sich darüber Gedanken machen, wie er das tut. Die Moral kommt unweigerlich ins Spiel.

Zen hat keine Moral!

Wenn es bei Christopher Hamacher heisst Zen hat keine Moral!, dann sollte man sich für eine Moment überlegen, was er denn damit sagen will? Warum schreibt einer so einen Text? Vielleicht sollte man mal den Text auf diese Frage hin lesen. In dem Text geht es doch im Prinzip darum, zu erkennen, wie man verhindern kann, dass Menschen anderen Menschen Schaden zufügen. Das ist eine moralische Haltung – und eine originär buddhistische dazu. Eine, die einer unbewussten (x-buddhistischen) Moral, Werkzeug an die Hand gibt, sich bewusst zu verbessern.

Die Reihenfolge ist wichtig: Der Mensch braucht die richtigen Fragen zuerst. Um zu beurteilen, wie er und andere Menschen handeln und ob das eigene und das Verhalten anderer akzeptabel ist. Er braucht keine fertigen Antworten. Die geben die Hohepriester. Der Mensch braucht die richtigen Fragen, um sich zu bilden. Er braucht keine fertige Moral. Deswegen gibt es keine Moral. Was zählt, sind die richtigen Fragen.

18 Antworten zu Der Fall Shimano: Standpunkt

  1. 
    Christopher Hamacher 26.1.14 um 20:13 UTC

    Ein schöner Beitrag. Das Phänomen habe ich auch erlebt, in dem man mir vorgeworfen hat, dass Zernickow und Shimano gar nicht vergleichbar seien, weil nur der eine „wirklich“ erleuchtet sei und der andere nur einen Hochstapler. Dies ist nicht nur aus dem Grund lächerlich, den Du ja erwähnst – d.h. alles, was Shimano macht, ist per se erleuchtet – sondern weil meine Arbeit eben deutlich gemacht hat, dass die beiden die gleichen Verhaltensweise hatten. Aus dieser Perspektive ist Shimanos angebliche Erleuchtung also inhaltslos. Ganz zu schweigen von der Frage, wie es im Zen überhaupt „Hochstapler“ geben kann, wenn sie sich genau so verhalten, wie „wahre“ Meister.

  2. 

    Also scheint der „turning point“ zu sein: Was ist dharma, was kann man heute darunter verstehen?

    Was den zur Diskussion stehenden Fall und alle weiteren, von „Buddhismus bestimmten“ Gedanken und Handlungen betrifft wohl: Menschen in Liebe und mit Achtung begegnen – und nicht „scheisse behandeln“, wie Du sagst.

    So einfach!

  3. 

    Hamacher: Das ist eine rhetorische Vereinfachung, die in meinen Augen nicht stimmt. Zernickow ist Arzt (Gynäkologe) und hat Frauen eine Art Gesprächstherapie angeboten, die nicht mit dem im Rinzai üblichen Dokusan übereinstimmt. In diesem Sinn ist es nach neuerer Rechtsprechung auch denkbar, dass er sich strafbar gemacht hat. Die dahinter stehende kriminelle Energie ist von einer anderen Dimension. Auch die Ausbildung Zernickows ist von einer anderen Dimension, auch das, was er von sich gibt. Das hat alles mit „Erleuchtung“ noch gar nichts zu tun, sondern mit Unterscheidungskraft. Wer hat denn behauptet, Shimano sei erleuchtet (ich bitte um Links)?

    Ferner sieht man im Shimano-Archiv, dass dieser ganz anders mit den Vorwürfen umgehen konnte. Es gibt explizite Entschuldigungen, auch von Betroffenen bezeugt, es gibt offizielle Gegendarstellungen. Zernickow hat dagegen versucht, durch überwiegend leere Drohungen Druck auf die auszuüben, die sein Tun publik machten, auch wenn er dafür andere vorschickte, Deine Vereinfachungen sind daher in meinen Augen ein Mangel an Unterscheidungskraft.

    Shimano hat sich auch nicht wie ein „wahrer Meister“ verhalten, wenn man genau hinschaut. Er hat sich auf Senzaki fast mehr berufen als auf Nakagawa, und Senzaki war kein Dharma-Erbe. Damit hat sich Shimano schon früh, auch durch die Publikationen von Senzakis Werken, die er über seine Schüler anregte, an einen Mönchslaien angelehnt, der sich nicht nur nicht die Haare schor, sondern sogar darauf bestand, dass ein Mönch nicht heiraten solle. Shimano hat also zu einem aufgeschaut, der ihm geradezu spiegelbildlich, auch durch seine Anlehnung an die Gelübde, seine Schwächen vorhielt. Und das tut er bis heute. Diese Pointe ist unübersehbar, wenn man nicht alles nur unter dem Aspekt sieht, Shimano wolle sich selbst dadurch besser darstellen. Das geht nämlich im traditionellen Zen schlecht, wie jeder weiß, wenn man sich eher an einem Laien als einen offiziellen Meister (wie Nakagawa) orientiert.

    Mehr nun auch wieder in meinem Blog.

  4. 

    Gui Do, das mit der „Erleuchtung“ hast du so nicht gesagt aber deutlich genug angedeutet. Im Shimanoarchiv gibt es für diese Auffassung genügend Anhaltspunkte. Z.B. diesen hier, wo vom „Wahren Dharmaauge“ die Rede ist. Auch die Geschichte mit den Dharma-Erben ist meiner Ansicht nach nicht das Wesentliche (auch wenn ich davon dramaturgisch in Mann ohne Rang deutlich Gebrauch gemacht habe).

    Aber bitte, ich beabsichtige nicht diese ganze Diskussion von vorne anzufangen. Lass uns also nicht wieder alles aufrollen.

    G.K., da ist zwar noch mehr dran, was betrachten wir als „Liebe und Achtung“ z.B.?, aber generell ist es schon so finde ich, dass wir im gewöhnlichen Alltag wissen was das ist – ohne in postmoderne Relativierungsorgien ausbrechen zu müssen.

    Und Glenn Wallis hat übrigens in seinen Text (in unserem Buch) die Frage gestellt, was Dharma heute ist, dem Sinn nach jedenfalls (das Wort Dharma würde ihm, wie mir, wohl nicht über die Lippen kommen)? Das Stichwort ist dort: Recommission of postulates.

  5. 

    In Ordnung, dieser Link belegt aber noch nicht, dass tatsächlich „Dharma-Auge“ eine Entschuldigung für Fehlverhalten sein muss oder dass dies alle so sehen, diese beiden Dinge könnten ja auch nebeneinander bzw. miteinander bestehen. Nicht jedoch in den Augen von Kensei Koji. Für diesen Menschen gehen Dharma-Auge und diese Art von Promiskuität nicht zusammen. Wenn man Fragen stellt, dann kann man auch fragen, ob Keisens Ansicht nicht ein Zirkelschluss ist, den er/sie selbst zu verantworten hat, nach dem Motto: Dharma-Auge gleich einwandfreies Verhalten, basta! Das sehen und sahen im Zen nie alle so.

  6. 

    dooyen=Gui Do, habe deinen Text Eido Shimano lebt (III): Gebote, Macht und Ideologien jetzt mal überflogen. Zunächst zwei Punkte. (Ich schreibe das hierhin, weil dein Blogspot-System mir neulich schon mehrmals das Posten eines Kommentars verweigert hat, weiss nicht woran das liegt.)

    1. Du übersiehst geflissentlich, indem du lediglich auf obigen Text Bezug nimmst, dass ich mit Bedacht in der Einleitung zu Mann ohne Rang den Fall Shimano in zwei Perioden eingeteilt habe. Dort sage ich, dass der Fall Shimano ab 1982 ein Problem der amerikanischen Zen-Sangha ist. Was bedeutet das? Dass die amerikanische Zen-Sangha es unterlassen hat die richtigen Fragen zu stellen. Zum Beispiel die über ihre Mitverantwortung bei allem was passierte – und damit, zum Beispiel, über die Mitverantwortung der jeweiligen Partnerinnen Shimanos bei ihrem jeweiligen Tun.

    Deine Schlussfolgerung im dritten Teil deiner Darstellung also, dass du „zum Schluss gekommen [bist], dass es sich bei den Anschuldigungen gegen Eido Shimano um in der Regel von den Frauen selbst MITzuverantwortende Geschehnisse handelt,“ ist trivial. Niemand hat das bisher, meines Wissens, bestritten (hier jedenfalls nicht).

    Nur man sollte vielleicht vorsichtshalber differenzieren: Es gibt Frauen, die behaupten, Shimano habe sie regelrecht angegriffen, es gibt andere die sind lange mit ihm zusammen gewesen. Mit flapsigen Bemerkungen wie dem das obigem Zitat von dir direkt folgt – „[Anschuldigungen] die zudem unnötig aufgebauscht wurden“ – ist es jedenfalls nicht getan.

    2. Moral (einmal mehr). Du willst nun auf eine „höhere Moral“ hinaus. Ich nehme an, zu deinen Gunsten, dass du damit meinst, dass es möglich (und notwendig) ist „gewöhnliche“ Moralvorstellungen zu transzendieren. In dem Sinne, dass klar wird, dass auch diese Moral sozusagen eine soziale Konstruktion ist. Auch das übrigens setzte ich voraus (ohne damit jede „gewöhnliche“ Moralvorstellung zu verwerfen). Nur, wie entsteht deine „höhere Moral“?

    Du sagst zum Beispiel:

    „Shakyamuni Buddha hat, selbst wenn wir ihn nur als Legende betrachten, seine weisen Einsichten, inklusive der Moralregeln, erst predigen können, als er bereits erwacht war.“

    Du sagst, dass die Voraussetzung für die „Moralregeln“ das „Erwacht sein“ sei. Damit sind wir grade wieder am Anfang. Erwachen, oder wie immer du es nennst, wird vorausgesetzt aber nicht näher erläutert. Das ist es, was einen Zirkelschluss ausmacht. Erwachen erzeugt höhere Moral; um höhere Moral wirklich zu verstehen, muss man erwacht sein (sonst müsste sie nicht gepredigt werden); so oder so wird also vorausgesetzt, was erst zu beweisen wäre: was Erwachen ist, oder was höhere Moral ist.

    Schwerwiegender aber ist eine andere stillschweigend Voraussetzung die in deiner Aussage enthalten ist. Du setzt voraus, dass es wirklich so geschehen ist, wie es aufgeschrieben wurde: dass erst das Erwachen kam und dann, mit ihm, die höhere Moral.

    Tatsache ist, dass irgend jemand Moralregeln aufgestellt hat. Aber wie die entstanden sind ist damit überhaupt nicht klar. Vermuten kann man mit einigem Recht, wenn man sich Geschichte ansieht, dass es ein Prozess ist, und nicht eine Aufeinanderfolge von diskreten Ereignissen – erst Erleuchtung, dann Predigt über die neue Moral. Wenn schon besteht die Erleuchtung derjenigen die damals interaktiv waren, darin, sich bestimmter Probleme bewusst geworden zu sein und auf diese neue Antworten gefunden zu haben. Daher Prozess, d.h. kontinuierlicher Ablauf, im Gegensatz zum diskreten, in sich abgeschlossenen Ereignis.

    Mit letzterem setzt du nämlich immer noch ein geheimnisvolles Etwas voraus, dass irgendwie so plötzlich – Popp! – aus dem Nichts auftaucht.

    Wenn ich sage, man muss die richtigen Fragen stellen, dann betrifft das genau den Prozess im Gegensatz zu diesem diskreten Spuk.

    Die amerikanische Zen-Sangha versäumt es bis heute die richtigen Fragen zu stellen. Andernfalls würde sie sich nämlich bestimmter Probleme bewusst und könnte neue Antworten finden. Und das ist es schließlich, was den Prozess einer sich entwickelnden Moral ausmacht.

  7. 

    1) Ich setze nicht voraus, dass es „wirklich so geschehen ist, wie es geschrieben wurde“, denn diejenigen, die sich an die Texte halten, interpretieren es ja regelmäßig anders als ich. Geschrieben wurde nach deren Meinung: Ohne Einhalten der Regeln kein Erwachen. Um diese Gläubigen auf die WIDERSPRÜCHE oder das AUCH GESAGTE hinzuweisen, zitiere ich aus dem Kanon. Für den Zenübenden selbst ist das sekundär, es richtet sich diskursiv an andere Buddhisten, weil diese nur eine solche Sprache verstehen, die sich am Kanon entlanghangelt. Man kann diese Buddhisten also „mit den eigenen Waffen schlagen“, wenn man den Kanon kennt. Vielleicht solltest du das überlesen und dich auf deine Fragen konzentrieren, da du ja nicht in einseitiger Schriftinterpretation gefangen zu sein scheinst, wie die, an die ich mich da richte.

    Ich beziehe mich also auf die Zentradition, eine Überlieferung außerhalb der Schriften. Die Zentradition hat es ebenfalls nicht IN deren Schriften eindeutig so gesagt (da sie sich den Schriften ja entzieht), sondern dass muss man rückschließen, indem man die Metaphern interpretiert, zwischen den Zeilen liest und mit eigener Erfahrung abgleicht. Was diese „eigene Erfahrung“ bedeutet, habe ich mit vielen Beispielen aus der Zengeschichte (also der Interpretation jener Metaphern oder Chiffren) wie auch eigenen illustriert. Die „höhere Moral“ besteht darin, dass diese Zenadepten Dinge tun können, die der Otto Normalverbraucher und gerade der, der an das GESCHRIEBENE als verbindlich glaubt, nicht unbedingt tun kann. Zum Beispiel als Lehrbeispiel eine Katze zerteilen, zum Beispiel in Bordelle gehen, ohne das zu verheimlichen, zum Beispiel ohne großes Hin und Her zum Organspender werden, zum Beispiel mit Obdachlosen zusammenleben. Wie gesagt, die Zenübung und die daraus möglicherweise resultierende Einsicht ist nicht der einzige Weg dahin, aber diese Einsicht wird sich im Leben des Einsichtigen signifikant niederschlagen.

    Ich weiß nicht, wie viele Beispiele du brauchst, um das einzusehen, aber mit dieser Diskussion haben wir doch bereits das beste Beispiel: Auch wenn du sagst, wir erkennen beide die Verantwortung der amerikanischen Sangha, hast Du doch über Shimano ein ganz anderes Urteil gefällt als ich, und das führe ich ebenfalls auf „höhere Moral“ zurück, so arrogant das klingen mag, denn wie ich mehrfach sagte bedeutet „höhere Moral“ auch die Fähigkeit zur Empathie, sich also auch in die andere Seite (und nicht nur eine) hineinversetzen zu können. Shimano selbst hat – in meinen Augen – mehrfach diese Fähigkeit selbst gezeigt (auch wenn er gleichfalls mehrfach „versagt“ hat), bei den Eingeständnissen, bei der Sangha-Auflösung, bei seinem Weggehen und Weiterlehren. Diese Gelassenheit ist ebenfalls ein mögliches und zu erwartendes Resultat der Zen-Einsicht. Es steht dir frei, das anders zu interpretieren. Wir haben dann unterschiedliche Meinungen. Für dich ist die Gelassenheit wahrscheinlich Ignoranz. Wir werden feststellen, dass wir ein unterschiedliches Wertesystem haben, also bereits mit einer unterschiedlichen „Moral“ an diese Dinge herangehen.

    2) Was „höhere Moral“ ist, habe ich also erneut an diversen Beispielen erläutert. Der „konkrete Ablauf“ und „Prozess“ besteht darin, die gewonnene Erkenntnis im Alltag in die Tat umzusetzen. „Spuk“, „aus dem Nichts“ – das magst du so sehen, aber es könnte ja, wie ich sagte, auch die Folge eines Gedankenprozesses sein, der an einen bestimmten Punkt gelangt, den man selbst als entscheidend für einen Richtungswechsel ansieht. Die Psychologie spricht z.B. von Schlüsselerlebnissen und sieht darin nichts Spukhaftes. Womöglich könnte es helfen, wenn du dir einen „zündenden Gedanken“ vorstellst, von dem Künstler, Erfinder u.a. manchmal sprechen. Auch wenn Zenleute den Ausdruck „Nicht-Denken“ bevorzugen, es ist ein entscheidender Einfluss dieser Erfahrung auf den Rest des Lebens. Wie soll man das aber beweisen, wenn es zum Vergleich kein Parallel-Leben gibt, das man ohne diese Erfahrung gelebt hätte? Im Laufe dieses „Prozesses“ sieht man jedenfalls, dass man besser loslassen kann als die meisten Menschen, die kein Schlüsselerlebnis hatten oder keinen Prozess durchlaufen außer dem des üblichen Älter- und Weiserwerdens. Das schlägt sich ggf. in Handlungen wie den obigen nieder, in jedermanns Leben sind das andere Geschehnisse.

    Wenn das deine Frage ist (mir ist das oft gar nicht klar, du sagst „Fragen stellen“, aber ich sehe die konkrete Frage nicht), dann stelle sie doch mal bei Buddhaland oder anderswo: Inwiefern hat eure Zenübung euer Leben verändert? Denkt ihr, eine „besondere“ Einsicht gewonnen zu haben, und was hatte das für Folgen? Die Psychologiestudentin dort, die ihren Fragebogen verlinkte, versucht das offenbar, sie will herausfinden, ob Meditierende und Nichtmeditierende sich signifikant in ihrer Selbstwahrnehmung und im Bewältigen des Alltags unterscheiden.

    Meine Prognose ist die: Du wirst relativ wenige konkrete Antworten wie meine obigen bekommen, weder aus der Tradition noch aus dem Leben der User. Und das hat gerade damit zu tun, dass sie sich an der „gewöhnlichen“ (aufgesetzten) Moral orientieren und mit der anderen (instinktiveren) weniger Erfahrungen machen oder sich aus political correctness nicht trauen, davon zu sprechen.

  8. 

    Gui Do, du wirst dich immer in einem Nebel von Wortschwall verdünnisieren.

    Du hast das zentrale Anliegen um das es hier geht nicht verstanden. Obwohl du meinst dich mit deinem X-Y-Z-Buddhistenkram rechtfertigen zu können.

    Du willst Fragen? Bitte schön: Was passiert, wenn man dem Buddhismus seine transzendentalen Repräsentationen nimmt?

    Das ist die zentrale Frage hier. Die Dekonstruktion Shimanos gehört zu dieser Angelegenheit. Ein weiteres X dem die heisse Luft rausgelassen wurde.

    Was du aber auch nicht verstehst, ist, dass es hier auch darum geht zu fragen, was den bleibt, wenn überhaupt etwas bleibt? Das steckt auch in obiger Frage. Deine Aufgabe wäre es, anstatt irgendwie Shimano mit Karl Dall zu rechtfertigen, zu zeigen was denn Shimano wirklich geleistet hat. Er wäre nicht die erste Persönlichkeit, die privat ein mieses Stück, im Werk aber genial wäre. Nur du musst es eben zeigen. Dann kann man sich weiter unterhalten.

    Bis dahin ist Shimano, für mich, ein weiteres Beispiel einer kleinbürgerlich verlogenen Sexualmoral. Sieh dazu die Konfickte des Buddhismus. Shimano passt in gewisser Weise in das verlogene Gesäusel über Sexualität der Buddhisten die da portraitiert wurden. Nicht etwa weil er keinen Sex gehabt hätte, sondern weil er stets geleugnet hat. Seine Entschuldigungen, wenn es sie überhaupt gab, waren ebenso verlogen. Siehe als Beispiel mein Materialposting und darin die Sache mit seinem Brief an die New York Times.

    Wenn Shimano wirklich so ein großer Held gewesen wäre, warum hat er dann nicht à la Verrückte Wolke seiner Sangha die Leviten gelesen? Warum hat er denen nicht etwas über ihre kleinbürgerliche Sexualmoral erzählt?

    Nein: Er war immer defensiv. Er hat sich von Anfang an, schon 1964 (man sehe in der Chronik [pdf] nach), bis zuletzt, siehe New York Times-Brief, immer nur rausgeredet.

    Er hat sich rausgewunden, gelogen, verdreht, ist ausgewichen, hat diffamiert, geschwiegen, ist geflüchtet, hat einen auf weinerlich gemacht oder hat rumgeschrieen, das ginge keinen was an usw. usf. ad nauseam.

    Eines hat er nie getan der große Zenmeister: Er hat nie gerade heraus zu seinen Affären gestanden.

  9. 

    Ein Zenadept sollte es also logischerweise nicht wagen, vor einem erleuchteten Zenmeister von „höherer Moral“ zu sprechen, da der ihn dann, weil im Zustand der „höheren Moral“ seiend, aus dem Dojo prügeln … oder sich sonst wie an ihm vergehen müsste …

    „Höhere Moral“ – von wem stammt denn dieser Begriff eigentlich? Findet er sich irgendwo in den Schriften der japanischen Zenmeister? Oder müssen wir weiter zurückgehen zum chinesischen Ch’an? Oder ist es ein westlicher Versuch, die unerhörte Freiheit in Sachen Moral und Ethik der verrückten Zenmeister irgendwie zu verstehen?

    Oder ist es bloss ein Versuch, den Autoritäts- und Machtzuwachs, der anscheinend im Gefolge von Satori, Kensho, Hishiryo etc. sich ereignen soll, den Nicht-Erleuchteten gegenüber zu erklären und zu legitimieren?

    Oder der zähl- und messbare Mehrwert, die Goldcard in der sprituellen Welt, die Belohnung für das jahrelange Sitzen? Denn über Satori & Co. lässt sich ja bekanntlich nicht reden.

    Oder die einseitige Ausdehnung des Spielraums in den zwischenmenschlichen Beziehungen?

    Oder die Definition einer umfassende Lizenz zu **** (hier kann all das eingefügt werden, was in der „niederen Moral“ als verwerflich gilt …)?

    Oder das Shock-Treatment, das der erleuchtete Meister seinen Schülern leider verabreichen muss, um sie auf den rechten Weg zu bringen?

    Vielleicht ist wirklich an der Zeit, sich vom „japanischen Zen“, so wie es in den letzten Jahrzehnten im Westen Fuss gefasst hat und sich sich jetzt präsentiert, endgültig zu verabschieden. Es passt einfach nicht.

    Das heisst, zurück zu den Quellen im chinesischen Ch’an zu gehen, und wenn auch das nicht weiter hilft, zurück zu den Anfängen, zu den Sutren des Palikanons, und von da aus den Versuch zu starten, eine buddhistische Praxis entwickeln, die in unsere Zeit passt, (- und die mir passt, das schon … :) ).

    Ich nehme an, das dies letzten Endes auch die Intention dieses Blog ist – sonst besteht die Gefahr, dass er bloss zu einer protestantisch anmutenden, sündenschnüffelnden Veranstaltung erstarrt.

  10. 

    Matthias, ich würde es hilfreich finden, wenn die Kommentare in ihrer Reihenfolge nummeriert würden …

  11. 

    Hi G.K., re #10. Sind sie doch. Links oben ausserhalb des weissen Blocks in dem ein Kommentar steht. Habe es gerade noch mal geprüft. In Firefox, Safari und Chrome habe ich immer diese Nummerierung. Siehst du die nicht?

  12. 

    Schau an – oder „Lappi tue Ouge uff … Merci

  13. 

    „Was passiert, wenn man dem Buddhismus seine transzendentalen Repräsentationen nimmt?“

    Die Frage ist beantwortet. Der Buddhismus braucht diese Repräsentationen gar nicht. Durch die Rückkehr zur „angeborenen“ Moral (wissensch. Studien z.B. von Marc Hauser) erweist sich die Zenübung als ein Weg zum „moralischeren“ Dasein. Dieses Dasein ist geprägt von einer im Vergleich zum Menschendurchschnitt höheren Empathie und den daraus folgenden konkreten Ausprägungen. In der tradtitionellen Zensicht ist das Stadium der vertieften Einsicht in das Wesen unseres Daseins jedoch geprägt von Freiheit, d.h. es wird nicht nur die Möglichkeit zum Guten (siehe Hauser), sondern auch das Spektrum des – für den gewöhnlichen Menschen – „Bösen“ als Handlungsoption mitgedacht. Ein moralischer Zenweiser ist darum zum Tyrannenmord fähig, der moralische Papst nicht. Ein moralischer Zenweiser konnte daher im Kampf gegen den Kommunismus gen China ziehen, ein moralischer linker amerikanischer Buddhist konnte das nicht.

    „Höhere Moral“ ist im Zen-Wertesystem die Unterscheidungskraft, die aus Nicht-Unterscheidung (Nicht-Wertung) kommt, das moralisch verantwortlliche Handeln eines Subjektes, das sich der Leere bewusst ist, aber auch der eigenen bedingten Abhängigkeit. Darum ist im Umkehrschluss nicht möglich zu sagen, einen Zenmeister erkennen wir daran und daran (z.B. an seiner Promiskuität oder daran, dass er einen Tyrannen mordete), denn die Bedingungen, in denen ein jeder seine Erkenntnis umsetzt, sind verschieden.

    „Deine Aufgabe wäre es, anstatt irgendwie Shimano mit Karl Dall zu rechtfertigen, zu zeigen was denn Shimano wirklich geleistet hat.“

    Zunächst einmal wird Shimano nicht von außen dekonstruiert, sondern er hat dies selbst getan, indem er z.B. auf Senzaki rekurriert, der ein Laie ist und ein Verfechter der Gelübde und des Zölibates war. Shimano hätte sich keinen „Schlechteren“ erwählen können, um aufzuzeigen, woran es ihm – im Sinne EINES gewissen traditionellen Veständnisses – mangelt.

    Ich lasse mir nicht von anderen sagen, was meine Aufgabe ist. Meine Aufgabe ist z.B. Empathie für Angegriffene zu zeigen. Das sind nicht nur die Frauen in diesem Fall. Oder auch: die Dekonstruktion der Dämonisierung.

    Was Shimano geleistet hat, erschließt sich einem nicht, der Aversionen gegen die Zenüberlieferung hat. Ansonsten könntest du ja seine Teisho anhören, seine Bücher lesen, oder die, die er über Senzaki und Nakagawa zu verantworten hat. In all diesen kann man etwas finden, dass Zenadepten schätzen, von der Koanschulung, die eben auch der Dekonstruktion (gewöhnlichen Denkens) dient bis hin zu Konzepten wie tsan-shan (ich sehe dich in mir, du siehst dich in mir) usf. Ich habe da nichts aufzuzeigen, weil es Shimano selbst tut, im Moment z.B. ist er ein lebendes Beispiel für den gelassenen Umgang mit der Hysterie des amerikanischen Feminismus. Der Brief an die NY Times ist von mir als Gegendarstellung verstanden worden. Ein gutes Beispiel dafür, dass wir hier bloß von Meinungen reden, deine ist anders als meine, Shimanos ist anders als die des NYT-Reporters. Für mich belegt der Brief und die Kritik daran nur, wie voreingenommen einige „Archivare“ sind. Es wäre Shimano anzuraten gewesen, einen juristisch korrekten Weg der Gegendarstellung zu erzwingen (wie man ihn diese Woche etwa nach einer Maischberger-Sendung hören konnte). Jeder, der mit Japanern zu tun hat, weiß, wie schwer die sich im Gegensatz zu Amis tun, gleich juristische Keulen auszupacken. Dass er überhaupt einen Brief schrieb, muss schon überraschen.

    „Warum hat er denen nicht etwas über ihre kleinbürgerliche Sexualmoral erzählt?“

    Weshalb labern, wenn er es auch zeigen kann? Shimano ist ja kein Blog. Selbst wenn ihm das gar nicht klar wäre, wir wüssten nun von diesen Kleinbürgerlichem.

    „Eines hat er nie getan der große Zenmeister: Er hat nie gerade heraus zu seinen Affären gestanden.“

    Na und? Noch einmal: Du machst den gleichen ideologischen Fehler (oder moderater: du nimmst diese ideologische Position ein), dass ein Zenmeister bestimmte Dinge zu tun und zu lassen habe, nur weil DU und bestimmte andere diese für richtig halten und sein Verhalten für falsch. Es geht bei der Zenübung nicht darum, dieses von anderen als „falsch“ Verstandene abzulegen, sondern darum, sich auch in seiner „Falschheit“ und Fehlerhaftigkeit anzunehmen. Mir scheint, Shimano kann das. Bestätigungen von Meisterschaft und Dharma-Nachfolge im Zen haben ursprünglich nichts mit dem Sexualverhalten der Adepten zu tun gehabt, sondern mit ihrer Fähigkeit, von zwanghaftem Denken (hier: das muss man so und so richtig machen) abzulassen. Shimano ist in Schwierigkeiten und nun können wir beobachten, wie er damit umgeht. Wenn andere ihn vor versammelter Mannschaft runterputzten, hat er das verweigert (siehe Zournas). Deiner Lesart habe ich viele Gegenbeispiele meiner Lesart entgegengesetzt. Das sind nur Meinungen. Für Shimano und die betroffenen Frauen ist wichtig, wie sie mit ihrem Leiden umgehen, also ob sie es anderen in die Schuhe schieben (Archiv) oder es weitgehend selbst verarbeiten (Shimano). Der letztgenannte Weg ist der Zenweg. Wo auch immer man Shimano ansiedelt, die Hauptakteure des Archivs sind weit von seinen Fähigkeiten entfernt, da ja sie es sind, die – wie du – etwas in den Zenlehrer projizieren, was er gar nicht sein muss.

  14. 

    Bleibt immer noch die Frage, was Shimano von einem gewöhnlichen Spießer unterscheidet, einem der halt mal ein bisschen rumvögelt, weil er zufällig kann? Man soll seine Bücher lesen, seine Teisho hören? Letztere kommen mir reichlich flach vor, unterboten nur noch von Sherry Chayat. Sein Namu Dai Bosa ist eine Autohagiographie, in der er seine Biografie zurecht biegt. Sein Wegweiser zum Zen, steht da was drin was über eine allgemeine Zen-Selbstbeweihräucherung hinausgeht? Aber klar, das versteht man nicht solange man nicht verstehen will oder, warum auch immer, nicht kann. Sagen einem die Zeugen Jehovas auch. Man muss halt glauben. Wo ist der Unterschied? Der Heiland oder Das Wahre Dharmaauge, wo ist der Unterschied? Aber lass uns doch Schluss machen mit dem Gewäsche. Führt zu nix, oder? Wie gesagt, wenn du dir Mühe geben würdest, das Non-Buddhismus Projekt zu verstehen, würdest du sehen, dass du sogar die Chance hättest innerhalb dieses Projektes Zen zu rehabilitierten. Stichwort Recommission of postulates.

  15. 

    Da ich einen großen Teil meiner (kleinen) Bibliothek nicht hier habe, kann ich nicht konkret auf die „Wolkenlose Klarheit“ eingehen, die ich diesbzgl. in guter Erinnerung habe. In den Teisho ist es z.B. „Rüdheit und Höflichkeit haben hier keinen Platz“, der Hinweis auf das Überwinden dualistischen Denkens, ein Teil des Zenübungsweges. Dieser kann dann zu der Gelassenheit führen, die ein Spießer eben nicht hat (siehe Kachelmann). Er zitiert auch Cronkites klassischen Abschiedsgruß aus dessen Nachrichtensendung „And that’s the way it is“ als buddhistisch, ein Hinweis auf die Fähigkeit, sich den Gegebenheiten ohne großes Wenn und Aber anzupassen (Shimano lehrt weiter, Kachelmann fliegt aber nicht mehr nach Frankfurt, weil er dort festgenommen wurde). Ursache und Wirkung. Ein bestimmtes Übungskonzept kann zu bestimmten Ergebnissen führen. Das Spießerdasein ohne diese Übung führt zu anderen Ergebnissen. Die Übungskonzepte von Shimano sind wirksam, wenn man sie verinnerlicht. Das Übungskonzept Marke Spießer K. führt dazu, dass man nicht mehr frei ein Flugzeug benutzen kann usf. Das Übungskonzept Steingass (Denken) führt dazu, dass man „ad hominem“ Shimano charakterisiert, aber nicht „ad hominem“ bei anderen sehen will. Shimano ist im öffentlichen Niedermachen von Personen zurückhaltender.

    Es gibt nichts zu rehabiliteren, weil alles schon da ist. Ihr beschäftigt euch mit einer korrupten Version des Zen (Erwachen und vom gemeinen Bürger als Moral Definiertes haben Hand in Hand zu gehen). Zen IST Nicht-Buddhismus IST Laruelle (auf den sich Wallis mit seinen Postulaten bezieht).

  16. 

    Lieber dooyen (oder Gui Do),

    Als Fazit meinerseits bietet sich eine deiner vielen Sentenzen an, mit denen du deine Sicht der Dinge darstellst:

    Für Shimano und die betroffenen Frauen ist wichtig, wie sie mit ihrem Leiden umgehen, also ob sie es anderen in die Schuhe schieben (Archiv) oder es weitgehend selbst verarbeiten (Shimano). Der letztgenannte Weg ist der Zenweg. [siehe Kommentar #13]

    Victim Blaming als Zenweg?

    Du hast das Schlusswort.

  17. 

    [Anmerkung: gu = dooyen = Gui Do. MfG, M.ST.]

    Mir ist wichtig, nicht einfach die übliche Skandalisierung des Sexuallebens – im Archiv mit feministischem Duktus (survivor) und Blickpunkt (Macht) – durchgehen zu lassen. Wenn Shimano 100 Jahre alt würde und auch seine Frau noch 20 Jahre lebte, dann würden 2 Mio. USD Rente (wenn die Inflation die Zinsen auffräße) gut 6000 Euro monatlich für das Paar bedeuten, das offenbar noch eine Wohnung und eine Kunstsammlung besitzt. Hier setze ich die Kritik an, die intern, also von den Zengelübden und der Tradition, und auch extern berechtigt ist. Eine interne Kritik in Bezug auf Shimanos Sexualleben ist fragwürdig (dazu müsste ich zumindest mehr über seine Motive erfahren), eine externe aufgrund meiner Analyse der Vorgänge ebenfalls.

    Macht leitet sich nicht vom Geschlechtsteil her, sondern von Körperkraft, Geld usf. Die „Macht“ von Shimano, die im Archiv geschildert wird, beruht vornehmlich auf einer Projektion der Beteiligten, das wäre ganz anders, wenn Shimano der Diktator eines Landes wäre und eine Armee hinter sich vereinen könnte. Deshalb gilt es, diese einseitigen Schuldzuweisungen deutlich zu machen. Sicher haben die Projektionen mit der überlieferten Hierarchie im Zen zu tun, aber ich habe mich mit genug Frauen unterhalten, die mit der Absicht „Sex mit dem Lehrer“ in den (ganz normalen) tibetischen Buddhismus gingen, um zu wissen, dass es für derartige Projektionen auf Lehrer gar nicht einer solchen (japanischen) Hierarchie und Diskretion und eines solchen Patriarchats bedarf. Ich misstraue den genannten Frauen des Archivs, da sie ja teils sogar in der Diskussion mit mir eine gewisse moralische Unreife und mangelnde Selbsterkenntnis überzeugend untermauern konnten. Ich rede deshalb nicht von „victim“, deshalb gibt es auch kein „cvictim blaming“. Gäbe es wenigstens einen gesellschaftlichen Konsens über Shimanos Verhalten, könnten sie vor Gericht gehen, was nicht der Fall ist. Da ist im Grunde nichts außer ein paar Gehörnten. Shimano ist deshalb möglicherweise ein Charakterschwein, aber die Kunst des Loslassens beherrscht er in einem ganz anderen Bereich nicht, nämlich dem des Besitzstrebens. Auch da hat natürlich, wie du sagst, die Sangha versagt, die ihn frühzeitig verwöhnte. Das alles wurde aber nicht per se möglich, weil es da einen Shimano gab, sondern weil es da Idioten gab, die sich „ein Bild von ihm“ machten (und einen, der das ausnutzte). Von Anfang an sollte man einen Zenlehrer, von dem man über Zen lernen will, nicht als etwas moralisch Besonderes ansehen (also die „interne“ Lehre oder „externe“ Meinung aufgeben, zu einem fortgeschrittenen Zen-Erkenntis-Stadium gehöre eine erhabene Moral zwangsläufig dazu). Sollte er sich als moralisch eindrucksvoll herausstellen, wird man das noch früh genug ohne Projektionen erfahren. Wenn nicht, bekommt man eben bestenfalls nur Zenübung und -lehre und sagt zu dem Rest: Nein, danke!

    Die Gefahren, die Strukturen der klassischen Zenausbildung beinhalten, wurden ja schon von Hakamaya und Matsumoto, selbst Soto-Zenmönche, in ihrem „kritischen Buddhismus“ benannt und richteten sich u.a. gegen die Kyoto-Schule (Nishida) und auch – ihrer Meinung nach – romantische Verklärungen wie die von D.T. Suzuki. Das Zen sei zu Japanisch geworden und habe so auch den Staatsinteressen zuspielen können, womit vor allem die Kritik an der Kriegsbeteiligung von Geistlichen gemeint ist. Der Glaube an die gemeinsame Buddhanatur (tathagata), der einem „Essentialismus“ entspräche, und die angeborene Erleuchtung (hongaku) wurde als eine Ursache dieses Problemes ausgemacht. Die Autoren forderten stattdessen ein Besinnen auf das bedingte Enstehen bzw. den Kausalnexus, um sich der verpflichtenden ethischen Bindung an die Gesellschaft bewusst zu sein und das Verhalten nicht auf der Folie nicht-unterscheidender „Leere“ aufzubauen.

    Mir geht es darum, beides zu verbinden, ich sehe darin keinen Widerspruch. Ich glaube an Erfahrungen, die „transzendent“ sind, zumindest so lange, bis wir sie überzeugend erklären können, und die sich in Konzepten wie dem Tathagata oder Hongaku ausdrücken. Falsch ist m.E. die Behauptung, diese gehörten nicht von Anfang an zum Zen und man dürfe diesen Sachverhalt, wie sich Zen entwickelt habe, vernachlässigen. Wenn man sich die Vergangenheit anschaut wird man vielleicht feststellen, dass neben dem Kausalnexus (und seiner moralischen Dimension) auch Nishida und Suzuki darin zu finden sind, eine derartige Kritik am Sexualleben oder der Kriegsbereitschaft von Zenmönchen jedoch neueren Datums ist.

    Das Problem ist nicht, diese Art von Kritik von außen per „(spekulativem) Nicht-Buddhismus“ heranzutragen, sondern sie mit der Kernlehre des Zen in Einklang bringen zu wollen. Meines Erachtens sind diese Ansprüche unvereinbar, und man trifft eine Entscheidung gegen den „Nicht-Buddhismus“ des Zen, der sich selbst so weit dekonstruiert hat, dass er Pauschalurteile der „Spekulativen“, die ja durchaus zum Moralisieren neigen, nicht mehr unterschreiben kann. Meines Erachtens ist also der interne Dekonstruktionsprozess des Zen vollständiger, weshalb ein Zenadept sowohl in den Krieg ziehen kann als auch es lassen, sowohl die Ehe brechen kann als auch es lassen. Ich habe vor meiner Zenzeit den Wehrdienst verweigert, später aber das Schießen gelernt. Heute ist es eher „sowohl als auch“ als „weder noch“ oder „nein, bloß das nicht“. Für manche ist das Beliebigkeit, für andere Freiheit. Für den Zenadepten jedoch, der sich des Kausalnexus bewusst ist, besteht keine Beliebigkeit, sondern ein situativ bedingter Handlungsimpuls jenseits von Dogmen, Festlegungen oder Strafgericht. Es fehlt die zwanghafte Neigung der anderen, alles (innerlich) werten zu müssen.

  18. 

    Für den Zenadepten jedoch, der sich des Kausalnexus bewusst ist, besteht keine Beliebigkeit, sondern ein situativ bedingter Handlungsimpuls jenseits von Dogmen, Festlegungen oder Strafgericht.

    Besser kann Ausflippen nicht umschrieben werden … :)

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