Ein Mann hatte sich einmal unter einen Baum gesetzt und lange nachgedacht, so geht die Geschichte, und dann ist ihm ein Gedanke von großer Tragweite gekommen. Er hat ihn seinen Kollegen erzählt, und die fanden seinen Gedanken höchst anregend. Es erschien ihnen, als hätte er den Nagel auf den Kopf getroffen. Nach dem der Man gestorben war, er hatte seinen Gedanken noch häufig erläutert, immer unter anderen Voraussetzungen, immer daran denkend, die Sprache derer zu sprechen mit denen er sprach, nachdem er also gestorben war, erzählte man sich noch viele Jahre lang seine Geschichte und seinen Gedanken.
Wie das aber nun mal so ist mit Gedanken, es ist sehr schwierig sie – erstens – so auszudrücken, daß die Zuhörer erraten können was man meint und – zweitens – sie in einer Form nieder zu schreiben, die bewahrt was gedacht war. Manche behaupten gar, beides sei völlig unmöglich und das sprechen und verstehen sei immer schon wie ein Zauber, auf den sich manche verstehen und von dem viele lediglich behaupten sie täten es. Daß der Dichter der einzige ist, der tatsächlich so sprechen kann, daß er den anderen berührt und das der der sich berühren lässt ebenfalls ein Dichter sein muß.
Der Mann der unter dem Baum gesessen hatte wußte das. Er wußte, daß das In-Worte-Fassen in sich selbst ein Teil jenes magischen, zauberhaften Ganzen ist, über das er solange nachgedacht hatte. Daß das Fassen selbst das ist, was es selbst ausmacht und er wußte daß es unendlich schwierig sein würde das zu erklären. Oder anders gesagt, er wußte daß diese unendliche Schwierigkeit nur so erscheint, weil man sie sozusagen von der falsche Seite her besieht. Deswegen hatte er gezögert, und auch weil er ahnte, dass sie seinen Rat nicht beherzigen würden. Daß sie dann doch seine Asche verehren würden, Tempel bauen würden und all das so zäh machen würden wie ein Nebel, der im Morgengrauen über dem Fluss liegt – der dann doch so schnell verschwunden ist.
Kaum war er tot, hatten sie lange beraten, seine Worte gewogen, sie zur Regel gemacht und waren ausgezogen es allen zu sagen. Doch glücklicher Weise gab es etwas in seinem Gedanken, das selbst dieser Erstarrung widerstand. Es war die Erinnerung und Ermahnung an den Hörer, er müsse sich nur selbst betrachten, er müsse sich nur selbst die Muse geben, sich selbst zu betrachten, genau zu betrachten. Er müsse sich zum Beispiel nur selbst betrachten wie er aus den Augen sieht, den Wind hört in den Bäumen, oder den Sturm der die Menschen fällt oder die Zuneigung spüren und das Ende schließlich genau betrachten, was das denn sei und woher es komme was endet.
Er sagte, das jegliches Wort so oder so verstanden werden könne und deshalb sein Wort keines sei an das man sich zu halten habe. Daß man aber in jeglicher Situation, und er meinte wirklich „in jeglicher“, sich die Ruhe geben könne, genau hinzusehen um zu erkennen, was bleibend sei und was nicht. Man müsse einigen Mut dazu aufbringen, denn viel bleibe nicht – Nichts um genau zu sein – aber gerade das sei eine wunderbare Erleichterung.
Heute, in der Kälte in der man schon mit der Geburt eine Schuld trägt, die man gehalten ist sein Leben lang zu tilgen, ist es um ein Vielfaches schwieriger, einen solchen Blick zu wagen. Die Träume sind verworrener. Zwar ist die Welt ihres Zaubers beraubt und wir können die Dinge um so vieles kühler und abgeklärter betrachten, dafür hat sich aber etwas anderes unserer bemächtigt. Während es damals vielen schien, als müsse die Welt von einem Zauber geschaffen sein, meine wir nun, wir seien der Zauberer selbst.
Heute, in der Kälte in der das Leben erstarrt zu einem Bündel Apps, wird der Mensch zu einem Eimer voller Hastigkeit und die Kontingenz, die seine Chance wäre, wird zur Chance für mehr Mehrwert. Die Vielen sind den Wenigen untertan die begreifen, was man mit dem Nichts des Menschen so alles anstellen kann, dass man aus ihm Alles formen kann und also der Mensch selbst, und sein Bewußtsein vor allem, der eigentliche Rohstoff ist.
Das hat auch der Mann, der unter dem Baum saß und sich Gedanken machte, nicht sehen können. Er war schließlich auch nichts als ein Mensch. Auch er hat es nicht ahnen können, obwohl er die Situation des Menschen sehr gut verstand, daß eines Tages seine ursprüngliche Erkenntnis über die Freiheit, selbst zum Instrument der Entmündigung werden würde. Zum besten gar, zum effizientesten, zum perfidesten. Wie die Einsicht in die Kontingenz und Zufälligkeit des Ich dazu führt diesen Hauch zu verewigen und zu vergöttern. Dass selbst in seinem Namen nun dem Tod gespottet würde.
Die Worte des Mannes gelten allerdings noch immer und mit ihnen viele von vielen anderen. Und wir können sie nur verstehen, weil wir selbst diese Worte kennen und sprechen – womit Er zur Fiktion wird. Wir können ihn höchstens noch ahnen, in der Ferne unter dem Baum, wie in einem Bild, dessen wir uns nicht sicher sein können, weil es eins um andere mal etwas anderes zu zeigen scheint. Aber wir brauchen ihn sowieso nicht mehr. Wenn wir an der Hand der Mutter zum Himmel aufblickten und fragten, ob es denn stimme, dass der viel weiter weg sei als es scheine und sie keine Antwort weiss – wenn wir dann weiterfragen, obwohl es uns verboten wird, und wir immer weiter fragen obwohl später immer mehr kommen, die in eine andere Richtung weisen, „Dort! Dort! Sie nur, dort mußt du suchen!“ und wir uns nicht beirren lassen, dann