Meditation und Kontrolle

M. Steingass —  9.1.12 — 22 Kommentare

Egal wo wir stehen und gehen, den größeren Teil unserer wachen Zeit ist unsere Aufmerksamkeit stets von Medien in Beschlag genommen. Das ist ein charakteristisches Merkmal unserer Zeit. Die addierte Zeit der Mediennutzung pro Tag und Individuum liegt bei über acht Stunden, die TV-Nutzung in Europa und den USA liegt bei ca. 4 Stunden pro Tag, Werbung ist buchstäblich allgegenwärtig und die Inhalte denen wir derart ausgesetzt sind, werden nicht bewußt verarbeitet, sondern sind eher ein kontinuierlicher Fluß in dem eine Menge Köder nach unserer Aufmerksamkeit angeln.

Mir geht es hier aber nicht um die beworbenen Produkte und die Reklame als solcher mit ihrem permanenten letzten Schrei und ihrem plastikbunten Allerlei, sondern um die Werte, die uns multimedial eingeflößt werden. Ein bestimmtes Ideal von Schönheit zum Beispiel wird in den Konsumenten über diese stetige Infusion eingeschrieben. Das ist einer der offensichtlicheren Punkte. Was aber ist mit moralischen Werten, was mit Erwartungen dem Leben gegenüber, welche Ziele strebt man an und wie versucht man sie zu erreichen, was ist faires Verhalten gegenüber meinem Partner, Nachbarn, Kollegen, Konkurrenten oder gegenüber meinem Feind? Die Frage ist auch, wie dieser stetige Zustrom aus den Medien unser Bewußtsein auf einer grundlegenderen Ebene beeinflusst? Verändert er Fähigkeiten wie „deep attention“ oder die Aufmerksamkeitsspanne, und wie machen sich diese Einflüsse auf der synaptogenetischen Ebene bemrekbar (der der neuronalen Entwicklung des Kindes) – auf ein Kind, keine zwei, drei Jahre alt, das diesem niemals schlafenden Einflüsterer mit seinem Ich-will-alles-und-zwar-jetzt ausgesetzt ist? Wenn man ein kleines Kind vor dem Fernseher sieht, weiss man wie die Aufmerksamkeit abhängig gemacht wird.

Meine Frage ist, kann Meditation, evtl. im Zusammenspiel mit anderen Praktiken, eine Art der Selbstkontrolle der Aufmerksamkeit sein und kann sie etwas für die von ständigem Input abhängig gewordene Aufmerksamkeit tun?

Meiner Ansicht nach befinden wir uns in einer sehr problematischen Situation. Es ist nicht nur so, daß Aufmerksamkeit abhängig gemacht wird und der Mensch auf einer grundlegenden Ebene manipuliert wird, es ist der Fall, daß die Aufmerksamkeit selbst ein Rohstoff ist, nach dem große Nachfrage herrscht und daß wir als lebende Wesen diejenigen sind die diesen Rohstoff produzieren um den sich im Zeitalter der Information alles dreht. Das ist keine paranoide Fantasie über eine Matrix in der wir leben (der Film mit der Pille die Morpheus Neo gibt, damit er die wahre Wahrheit sehen kann, ist sowieso eine falsche Metapher). Man kann überzeugend darstellen wie heute bestimmte Formen von Realität und sozialen Normen hervorgerufen werden, die wir mit Leben erfüllen und die gleichzeitig essentielle Formen des Zusammenlebens zerstören.

Der französische Philosoph Bernard Stiegler analysiert diese Situation eingehend in seinem Buch „Die Logik der Sorge. Verlust der Aufklärung durch Technik und Medien“. In seiner Einführung zitiert er Primo Levi, der darüber nachdenkt, warum und wie er die Shoa überlebt hat: „Vielleicht war letztlich auch der entschiedene Wille, den ich auch in den dunkelsten Stunden beibehalten habe, ausschlaggebend, meine Kameraden und mich als Menschen und nicht als Dinge zu betrachten, um die vollständige Erniedrigung und Demoralisierung zu vermeiden, die bei so vielen zum geistigen Untergang führte.“ Es ist ein mangelndes Verständnis der Technizität unserer Kultur, das dazu führt Menschen als Dinge zu betrachten und damit zur Zerstörung ihrer Spiritualität – oder anders gesagt, da Spiritualität selbst inzwischen zur Handelsware wird, zur Zerstörung der Verantwortung.

Kann Meditation hier etwas erreichen? Wenn man Meditation in einem buddhistischen Umfeld kennen gelernt hat, könnte man meinen diese Frage sei auch an den Buddhismus selbst zu richten. Ist der Buddhismus in der Lage diese Problematik zu sehen, den Menschen als Gegenstand der Aufmerksamkeitsproduktion, einer Aufmerksamkeit die als Rohstoff so begehrt ist? Da der Buddhismus als soteriologischer Problemlöser mit umfassenden Wissen über die Situation des Menschen auftritt, scheint es nur logisch, daß er hier eine Lösung kennt und das Meditation ein Teil der Lösung ist.

Aber ist das wirklich so? Ist Meditation eine Teilmenge des Buddhismus? Ich denke nicht. In gewissem Sinne würde ich die Sache genau anders herum betrachten: Buddhismus ist eine Teilmenge der Meditation. Buddhismus ist ein bunter Flickteppich aus Theorien über Bewußtsein, soziales Verhalten, den Sinn des Lebens, Spekulationen über das Woher und Wohin des Daseins. So gesehen ist er einfach nur eine weitere kulturell eingefärbte Antwort auf die Frage, die sich der Affe der seinen eigenen Tod sehen kann, zu stellen hat. Im Gegensatz zu dieser kulturell eingefärbten Antwort ist Meditation, als ’natürliche‘ Fähigkeit  in bestimmter Weise zu denken, diesem Affen immanent. Sie ist ein Geschenk des Lebens – oder, aus Perspektive der Evolution gesehen, sie ist die erworbene Fähigkeit sich der Representation von Teilen der Umgebung in einem Modus der Gegenwärtigkeit bewußt zu sein, während dieses representationale Jetzt-System in Bezug auf sich selbst transparent ist.

In diesem Zusammenhang ist Buddhismus wie viele andere bekannte, unbekannte, längst vergessene und noch kommende kulturelle Entwicklungen, Erfindungen, Neuerungen und kreative Lösungen des Homo sapiens schlicht und ergreifend einfach nur eine Antwort die mit allen anderen konkurriert. Sie ist in keiner Weise eine übergelegene Antwort und wie der Nascend Speculative Non-Buddhism zeigt, ist er stattdessen eher in einer Art Zirkelschluß gefangen Hypothesen über die Realität zu bilden, um diese dann auch gleich als konstruktives Element für die Antworten zu verwenden ohne sich über diesen logischen Fehler im klaren zu sein und viel mehr davon auszugehen, daß die so gewonnenen Antworten die letzten und ultimativen sind. Der Buddhismus ist sich nicht im klaren darüber, selbst ein repräsentationaler Akt zu sein. Diese Unfähigkeit ist zum Teil, denke ich, der Transparenz des Bewußtseins als einer Insel des Jetzt geschuldet, einer Insel, die ihre eigenen ihr zu Grunde liegenden Strukturen nicht oder nur teilweise wahrnehmen kann – die, was moralische Werte anbelangt, inzwischen zum großen Teil von den  Aufmerksamkeitsverwertenden Kulturindustrien gebildet werden. Aus dieser Perspektive gesehen, ist ein Buddhismus der sich über diese Situation nicht im Klaren ist, der selbst sogar als Produkt an dem Konsumenten verkauft wird, Teil des Problems und nicht der Lösung. Wenn der fragliche Buddhismus ein X-Buddhimus ist wie er vom Non-Buddhismus beschrieben wird, dann ist er per Definition unfähig die soziale Situation zu bekämpfen in der der Mensch selbst zum Rohstoff wird und seine Aufmerksamkeit das zentrale auszubeutende Organ. „The Dalai Lama at the Cooking Show“ ist so gesehen ein perfektes Beispiel dafür wie Buddhismus genutzt wird um die Aufmerksamkeit des Konsumenten auszubeuten.

Meditation als Teilmenge des X-Buddhismus ist unfähig mehr zu sehen als das was sein jeweilger konzeptioneller Aufbau zu sehen erlaubt.

Im Gegensatz dazu ist Meditation als Fähigkeit des Bewußtseins zur Introspektion die ihre Grenzen erkundet und Repräsentationen als Repräsentation denkt, Teil des Selbst-Bewußtseins über die eigenen Möglichkeiten und Einschränkungen.

Aus dieser Perspektive gesehen muß Meditation auch buddhistische Aussagen über Meditation und ihr Objekt untersuchen. Beispielsweise wird im Tibetischen Buddhismus das so genannte leuchtend klare und raumgleiche Bewußtsein, bzw. der Geist-an-sich als unsterbliche Entität betrachtet. Ist dieser Eindruck richtig? Im Lichte dessen, was wir heute wissen können, könnte dieser Eindruck der Unsterblichkeit einfach eine Fehlinterpretation der Transparenz des Bewußtseins sein. Wenn das Bewußtsein in seiner Fähigkeit seine eigenen ihm zu Grunde liegenden Strukturen zu beobachten eingeschränkt ist, wenn es sich in der Meditation möglichst weit gehend beruhigt, derweil es so aufmerksam wie möglich bleibt um so die Aufmerksamkeit an sich zu betrachten, dann könnte es tatsächlich diesen scheinbar ungeborenen, totlosen, himmelsgleichen, kristallklaren Raum als unsterblich betrachten – einfach deswegen, weil es die Sterblichkeit der ihn bedingenden Strukturen nicht sehen kann.

Darüber hinaus mögen zwar manche Formen der Meditation positive Effekte auf Gesundheit, Interaktion etc. haben (und dies mag damit zu tun haben, daß sie ein Prozess ist in dessen Verlauf man lernt sich von zwanghaftem Verhalten zu dissoziieren) aber man findet man auf der anderen Seite kein Wissen in dieser kühlen klaren Quelle des ruhigen Verweilens. Mit Sicherheit lernte der Buddha nichts über Quantenphysik als er unter dem Bodhi-Baum saß. Wenn die ruhige Aufmerksamkeit, die entspannte Dissoziation vom Inhalt von Wert ist, dann als die Grundlage von Wissen im Sinne von Thomas Metzingers phänomenalen Selbstmodell und nicht als ein bestimmtes inhaltliches Wissen oder ein Weg der auf mystische Weise zu Wissen führte ohne das gute alte lernen. Vielleicht ist hier die Richtung wichtig. Tiefer zu graben ist nicht möglich. Die völlig nackte Aufmerksamkeit ist ein unsichtbarer und undurchdringlicher Grenzwall der nur für den Tiefschlaf und den Tod durchdringbar ist – in dem Sinne, daß das Selbstmodell dort, jenseits, nicht existiert und undenkbar ist. In der anderen Richtung aber entfaltete sich das Bewußtsein in vielfältigster Weise weil es Fragen stellen muß.

Die Antwort auf die eingangs gestellte Frage scheint also zunächst zu sein: Ja, Meditation kann ein besseres Leben, bessere Gesundheit eine besseres soziale Umwelt unterstützen, aber da das Bewußtsein gegenüber sich selbst transparent ist kann es  nicht aus sich selbst heraus Wissen über sich erlangen. In Thomas Metzingers Worten: „Aus der Struktur useres inneren Erlebens als solcher lässt sich noch kein Erkenntnisanspruch ableiten.“ Mit dieser Schlussfolgerung könne wir sagen, daß Meditation alleine nicht in der Lage ist, die skizzierte Problemlage zu durchschauen.

All dies hat weitreichende Konsequenzen. Nicht nur was das unsterbliche buddhistische Bewußtsein angeht, sondern auch in Bezug auf unsere sozial bedingten Charakterstrukturen. Wenn wir bessere Menschen werden wollen, toleranter, politisch, moralisch erwachsen, weniger süchtig nach einem Ersatzleben auf der ständigem Suche nach einem Morgen, das niemals kommt und wenn wir gleichzeitig an unserer Fähigkeit zweifeln müßen introspektiv die formativen Kräfte unserer Wertesysteme erkennen zu können, dann ergibt sich die sehr wichtige Frage wie wir überhaupt unser Wissen bewerten? Ich denke der Non-Buddhismus versucht hier eine Antwort zu geben.

"Keep on selling me my future and I'll keep on wearing my disguise"

„Keep on selling me my future and I’ll keep on wearing my disguise“

Meditation als entspannte und ruhige Dissoziation vom Inhalt könnte hier ein Beitrag sein, wenn sie eine ruhige Basis aufbaut von der aus die Suche nicht immer weiter und tiefer versucht inwärts zu gehen, sondern wenn von ihr aus die Bewegung zum Anderen stattfindet. In der problematischen Situation die Bernard Stiegler in seinem Text analysiert ist dieser Andere in der Gefahr zu verschwinden. Er verschwindet hinter einem Nebel von Pseudosozialität. Ein Verschwinden – und das ist der zentrale Punkt – weil wir die Kontrolle über unsere eigene Aufmerksamkeit verlieren. In der Situation in der wir leben ist unsere eigene Aufmerksamkeit der Rohstoff der die Ökonomie voran treibt. Ein Rohstoff der von höchster Wichtigkeit für den Markt ist, der nicht physisch ist und nicht an der CME (der Chicago Mercantile Exchange) gehandelt wird, der aber im Herzen unseres Seins ist und daher im Herzen unseres Seins mit dem Anderen ist. Wenn wir den Fernseher anschalten, dann ist der Spielfilm, die Soap, Reality-TV, eine Kochshow mit einem berühmten Schamanen als Gast, nichts als das Mittel, das unsere Aufmerksamkeit genau zum Zeitpunkt der nächsten Werbepause auf eine Maximum bringt. Was das TV dem Reklamefachmann verkauft und was der weiterverkauft an den Produzenten von Glück und Happiness, ist unsere Aufmerksamkeit. Es ist Gehirnzeit – buchstäblich – die sie handeln. Unsere Gehirnzeit.

Man könnte die Kosten pro Minute für einen TV-Spot als die Preisstellung des Markts für Aufmerksamkeit interpretieren. Das ist eines der charakteristischen Merkmale der Kontrollgesellschaft. Aufmerksamkeit ist ist ihr wichtigster Rohstoff. Man sollte den Begriff nicht mit dem der Überwachungsgesellschaft verwechseln. Letztere ist besonders seit 9/11 voll erblüht. Allgemeine Überwachung, Vorratsdatenspeicherung etc. einerseits und der Kampf um den Schutz der eigenen Daten und das Recht auf Anonymität andererseits, sind die Antipoden zwischen denen der Kampf ausgetragen wird. Die Kontrollgesellschaft ist dagegen wesentlich weniger bekannt und diskutiert. Sie ist per Definition wesentlich schwieriger auszumachen da sie diejenige Entität ist die das Individuum mit freiwilliger Einwilligung und mit freudiger Zustimmung dazu bringt, sich den Normen die die Gesellschaft bestimmen zu beugen. Es ist Kontrolle, die nicht als Kontrolle erfahren wird. Der Begriff stammt von Gilles Deleuze, der ihn in einem erstaunlich vorausschauenden Text namens „Postskriptum über die Kontrollgesellschaft“ vor mehr als zwanzig Jahren prägte. In diesem kurzen Text entwickelt Deleuze Foucaults historische Analyse der Souveränitäts- und Disziplinargesellschaften weiter. Die Souverenitätsgesellschften sind hierbei der ältere Typ und sind typisch für den Feudalstaat in dem der Souverän alle Macht über Leben und Tod des Individuums hat. Von dieser Form ausgehend entwickelten sich die Disziplinargesellschaften, die in Europa durch Napoleon vollendet wurden. Hier durchläuft das Individuum eine Reihe von disziplinierenden Anstalten. Familie, Schule, Kaserne, Fabrik sind beispielhafte Stationen in einer Gesellschaft die sich durch einen hohen Grad an Hierarchisierung auszeichnet. Die Kontrollgesellschaft die sich nach dem zweiten Weltkrieg und besonders nach den wilden Sechzigern entwickelt, zeichnet sich hingegen durch eine vergleichsweise flache hierarchische Struktur aus. Ein weiteres Merkmal ist, daß in dieser (Informations)Gesellschaft der Schwerpunkt von der Arbeitskraft fast vollständig auf Brainpower verlagert wird, wobei die Ausbeutung sich auf die von diesen Gehirnen erzeugte Aufmerksamkeit verlagert. Man kann also sagen, der Konsument ist jetzt der neue Proletarier und nicht mehr die Arbeitskraft sondern die Aufmerksamkeit wird ausgebeutet.

In diesem Zusammenhang zeigt die Analyse von Bernard Stiegler en détail, daß die Art wie die Aufmerksamkeit des Bürgers abgeerntet und beansprucht wird die Möglichkeit der Individuation zerstört und damit Verantwortlichkeit auf jeder Ebene der Gesellschaft – von der grundlegenden, der Liebe zweier Menschen „als ersten Grad des Übergangs vom Individuum zu einem unmittelbaren Jenseits von sich selbst“ (Badiou) – zur allgemeinsten – der Frage wie es eigentlich mit unserer Zivilisation weiter gehen soll. Die Kontrollgesellschaft, nicht als von Illuminaten oder einen geheimen Agenda der Regierung gesteuert, sondern als eine autopoietische Institution, ist diesen Zusammenhänge gegenüber taub. Sie hat durch die Art ihres Seins keine Möglichkeit Wissen über sich selbst durch einfache Introspektion zu erlangen. Wenn man also die sozialen Fundamente unserer Verantwortungslosigkeit, unser moralisches Versagen verstehen will, reicht es nicht sich einfach hinzusetzen und zu meditieren. Meditation als selbstbestimmte Aufmerksamkeitskontrolle vom und für das Individuum kann Teil der Lösung sein, wenn es von einem Lernen und der Erweiterung des Horizontes in unvorhergesehene Richtungen begleitet wird, die nicht von Institutionen redigiert werden die hauptsächlich mit ihrer Selbstbefriedigung beschäftigt sind, anstatt sich in echte, riskante Interaktion zu begeben.

Vor diesem Hintergrund schlage ich Meditation als Mittel vor, über die eigene Aufmerksamkeit Kontrolle zu erlangen. In dem Freiraum der so entstehen kann, muß dann aber das Lernen geschehen. Der Freiraum selbst ist nicht ausreichend und kann sich wie jedes pharmakon zum Gift entwickeln. Der Freiraum als Ergebnis der Meditation kann nur als Basis und nicht als Endzweck gesehen werden. Er wäre eine Basis von der man sich erstens passiv gegen die Ausbeutung zur Wehr setzt, die unbemerkt von den Kulturindustrien dem Menschen und seiner Aufmerksamkeit gegenüber betrieben wird und er wäre zweitens die Basis von der aus ein neues, aktives Lernen stattfinden kann, das die Instrumentalisierung und Ausbeutung der Aufmerksamkeit und damit die Zerstörung von Verantwortung versteht und bekämpft. Meditation als die Schaffung eines Freiraumes wird zur Waffe, mit der man sich gegen die parasitären Kräfte der Aufmerksamkeitsausbeutung zur Wehr setzt und die das Denken als  die eigentliche Fähigkeit des Homo Sapiens schützt und unterstützt.

Dies ist zunächst noch alles sehr oberflächlich. Die Hauptfragen sind: 1) Was ist unsere Situation und wie ist sie durch technisch-ökonomische Kräfte beeinflusst? 2) Kann Meditation in dieser Situation hilfreich sein? 3) Welche Form der Praxis könnte das sein?

Um diese Fragen weiter zu entwickeln ist ein wenig Lektüre angebracht: Bernard Stieglers Die Logik der Sorge. Verlust der Aufklärung durch Technik und Medien ist der Hauptansatzpunkt um unsere Situation zu klären. Thomas Metzingers Being No One – Eine sehr kurze deutsche Zusammenfassung ist ein erster Ansatz um aus einer modernen Perspektive einen Blick auf das zu werfen was wir Bewußtsein nennen und um von hier aus – nicht umgekehrt – ältere Beschreibungen dieses Phänomens einzuschätzen und um speziell das zu bewerten was im allgemeinen Sprachgebrauch sehr unscharf als Meditation bezeichnet wird. Zu speziell diesem Thema werde ich Longchen Rabjams A Treasure Trove of Scriptural Transmission (besonders Kapitel 9 und 10) in der Übersetzung ins Englische von Richar Barron, heranziehen. Longchen Rabjams „natural meditative stability“ (tib: bsam gtan) ist hier ein Kernbegriff der es verdient genau betrachtet zu werden. Was nach Abzug aller transzendentaler Ornamente von dieser „natürlichen meditativen Stabilität“ übrig bleibt wird man sehen.

22 Antworten zu Meditation und Kontrolle

  1. 

    Zwischendurch mal eine rein technische Frage: Gibts einen RSS-Feed in dem die Artikel nicht gekürzt sind?

  2. 

    Lieber Matthias,

    ich weiss noch nicht genau warum, aber dieser Text hat mir deutlich besser gefallen als die, die ich bisher gelesen habe

    Vielleicht liegt es an meinem E-Book-Reader und der damit verbundenen anderen Art zu lesen, vielleicht daran, dass dieser Text ein Thema behandelt, dass uns alle betrifft, unabhängig von der Richtung innerhalb derer wir praktizieren, vielleicht aber auch weil der Text konstruktiert als er dekonstruiert.

    Wie auch immer, während des Lesens kamen mir einige Texte in dem Sinn, die in ihren Aussagen den deinen ähneln. Da ein Teil des Bloggens auch die Kommunikation ist möchte ich sie mit dir teilen.

    Du sprichst in der Mitte des Textes von Meditation als Form von Aufmerksamkeit und der Notwendigkeit zu lernen. Auf dem Einband des Buchs „Der Mythos Freiheit und der Weg der Meditation“ von Chögyam Trungpa Rinpoche steht folgendes

    Meditation bedeutet weder Ekstase, Geisteswonne oder Seelenruhe erlangen zu wollen noch ein besserer Mensch zu werden. Sie schafft einfach einen Raum […].

    Das folgende Zitat stammt aus dem Buch „Buddhismus verstehen und leben – ein Handbuch für die Menschheit“ von Buddhadasa Bhikkhu aus dem Kapitel „das dreifache Training“ (also Tugend, Sammlung (=Meditation) und Weisheit (nicht Wissen)):

    […] Buddha definierte den gesammelten Geist als „arbeitstauglich“ oder „bereit zur Arbeit“ (kammaniya), und das ist die
    beste Art, den richtig konzentrierten Geist zu beschreiben.

    Der dritte Schritt, Weisheit (paññā), besteht in der Übung der
    Einsicht (vipassanā), die dazu führt, dass das volle Maß an
    Wissen und Verständnis der wahren Natur aller Dinge erreicht
    wird.

    Meine Zitate sind ziemlich aus dem Zusammenhang gerissen und transportieren leicht andere Ideen als dein Text. Aber manchmal werden Dinge durch das Betrachten von Gemeinsamkeiten und Unterschieden klarer.

    Als du gegen Ende von Meditation als Waffe sprichst musste ich unweigerlich an Noah Levine und sein T-Shirt „Meditate and Destroy“ (http://www.youtube.com/watch?v=VMqnYLtEPug) denken.

    Für Gedanken, die über das Assoziative hinausgehen ist es nun doch schon etwas zu spät, vielleicht dazu später mehr. Jetzt muss ich erstmal schlafen, damit mein Geist morgen erholt ist, ausgeruht, bereit zur Arbeit, bereit zu lernen.

  3. 

    Hallo Stoky

    Das mit dem RSS-Feed kann ich nicht beantworten. Ich benutze keine.

    Es könnte tatsächlich am E-Book-Reader liegen, daß dir der Text besser gefällt. Das Medium ist die Botschaft. Ein schönes Buch hat ja auch was an sich, wenn man es in der Hand hat. Vielleicht sollte ich mehr auf die ,Verpackung‘ achten um mehr Leser zu gewinnen.

    Aber vermutlich habe ich einfach nicht an Seitenhiebe gedacht, die ich auszuteilen könnte, oder es liegt an dem was du vermutest: Es ist ein Thema das uns alle angeht. Egal auf welche Art wir uns weiter entwickeln wollen. Es ist ermutigend zu hören, daß du diesen Punkt auch siehst. Es ist tatsächlich kein Luxusthema, bzw. eines dieser Luxusprobleme die uns umtreiben. Der Buddhismus ist ja, zum großen Teil, in unseren Breiten eine ,Religion‘ der Reichen. Gerade für die schlechter gestellten in unserer Gesellschaft, die weniger Einkommen haben und damit ihren Kindern eine weniger gute Ausbildung bieten können (das ist leider immer noch eine Tatsache unseres Bildungssystems), ist der Fernseher eine billiges Mittel um den Kinder wenigstens etwas bieten zu können. Wobei der „Fernseher“ sozusagen das Symbol der Psychomacht ist, das Symbol für die hundertfältigen Techniken der Aufmerksamkeitskontrolle. Falls sich das ein wenig nach Verschwörungstheorie anhört, so hoffe ich in nächster Zeit klar machen zu können, daß es darum nicht geht.

    Vielleicht ein, zwei Gedanken zum Thema Konstruktion, Dekonstruktion, Destruktion. Es ist etwas irreführend, daß ich den Begriff Destruktion in dem Text „Was Nun?“ in einem Zusammenhang benutzte der auch einiges an Polemik enthält. Das führt möglicherweise zu dem Eindruck die Polemik sei die Destruktion. Das ist aber nicht der Fall – und das ist sehr wichtig: Die im Text „Was Nun?“ gemeinte Destruktion ist im Prinzip, was ihr Ziel angeht, eher eine Rekonstruktion. Der Begriff wurde ursprünglich, im hier angewandten Sinn, von Martin Heidegger eingeführt und Glenn Wallis benutzt ihn um die Aufgabe des Spekulativen Non-Buddhismus zu beschreiben. Heidegger beschreibt mit dem Begriff, sehr allgemein gesagt und total verkürzt und frei dargestellt, die Aufgabe, die Geschichtlichkeit kenntlich zu machen die hinter der Tradition verschwindet, wodurch die Ursprünge der Tradition verdeckt werden. „Geschichtlich“ könnte man vorsichtig mit dem buddhistischen Begriff des bedingten Entstehens in Verbindung bringen, d.h. wir sind so wie wir sind, nur weil vieles andere uns vorausgeht, mithilft, erzieht, zufällig hinzutritt, sozialisiert usw. Wir sind also sowieso schon immer all die Anderen und alles andere und nie allein oder getrennt. Die Tradition bildet das irgendwie ab – was einerseits ein Vorgang der Vergegenwärtigung des Daseins ist, des Seins des Menschen, andererseits neigt aber das Dasein dazu sich der Tradition fraglos zu überlassen. Damit wird die Tradition zu einem Vorgang der Erblindung. Die Destruktion hat die Aufgabe, die eigentlichen Ursprünge der Tradition zu verdeutlichen – und zwar dies im heutigen Zusammenhang. Sie hat also eine positive Tendenz – die Erblindung zu beseitigen. Glenn Wallis schreibt in diesem Zusammenhang und in Bezug auf den Buddhismus: „Während [die] Beseitigung der Verstopfung der Tradition eine Destruktion der kanonischen Infrastruktur darstellt, mag sie aber auch eine spekulative Möglichkeit für eine Wiederbelebung der »Ursprünge« bieten.“

    Allerdings geht es dabei auch nicht um ein zurück zu den Quellen, zurück zu einem wahren, alten, echten Buddhismus oder um die Neuformulierung einer weiteren Variante eines Buddhismus im Westen. Dazu aber auch bald mehr und das hier nur am Rande.

    Was Meditation und Aufmerksamkeit angeht, so passt dein Zitat von Chögyam Trungpa gut. Vielleicht könnte man sagen, wenn Meditation „Raum“ schafft, dann Raum für Bildung – wobei im besten Falle eine kritische Fähigkeit entsteht. Eine die in der Lage ist Traditionen auf ihre Gehalte zu befragen, diese in ihrer Geschichtlichkeit zu sehen, in ihrem bedingten Entstehen zu sehen und aber auch, ganz frech, all die Idealisierungen die da mottenzerfressen im Schrank hängen, auf den Müll zu schmeissen. Chögyam Trungpa hat das ja teilweise vorgemacht (auch wenn er dabei gelegentlich etwas trunken war). In dem Zusammenhang finde ich auch den Begriff „arbeitstauglich“ für den gesammelten Geist sehr interessant. Hättest du vielleicht Lust dem etwas nach zugehen und das bei Gelegenheit genauer zu beschreiben? Das kann doch auch ruhig etwas assoziativ sein…

    So viel für heute, viele Grüße, Matthias

  4. 

    Lieber Matthias,

    die Meinung, dass Dekonstruktion und Destruktion auch konstruktiv sind teile ich, es sind beides Seiten derselben Medaille. Mich langweilt es nur manchmal, wenn Menschen Probleme aufzeigen, ihre Analyse allerdings nicht ausreicht der Lösung näher zu kommen.

    Ich bin immer etwas skeptisch ob „Bildungsarmut“ wirklich direkt aus materieller Armut herrührt. Meine Eltern haben m.W. für alle 5 Kinder einen Büchereiausweis beantragt, das ging. Fünf Fernseher hätten sie sich vermutlich nicht leisten können. Ich vermute da auch kulturelle Gründe hinter den heutigen Entwicklungen (die natürlich auch von der materiellen Situation beeinflusst werden).

    Deine Einordnung von Buddhismus als Teilmenge der Meditation unterschlägt natürlich sämtliche Ethik und Weisheit, die in buddhistischen Lehren stecken.
    Wo ich hingegen völlig mit dir übereinstimme, ist die Behauptung, dass der Buddhismus kein System von Lehren ist, sondern eher ein Übungsweg zum Ansammeln von Weisheit. Vergleichbar vielleicht mit Wissenschaft, von der Carl Sagan einmal sagte:

    „Science is a way of thinking much more than it is a body of knowledge.“

    Zu kammaniya habe ich nur kurz recherchiert und es scheint kein herausragender Begriff zu sein. An den Stellen, die ich gefunden habe wird kammaniya immer auf das Dhamma bezogen. Jemand ist also „bereit das Dhamma zu empfangen“. Insofern grenzt sich dieser Begriff von deiner Haltung ab, indem er auf eine intuitivere Art von Verständnis abziehlt als das bloße rationale Denken.

    Ajahn Buddhadasa vertritt im entsprechenden Buch die Ansicht, dass Meditation nicht unbedingt notwendig ist um Einsichten zu gewinnen und dass auch ein normales Maß an „Sammlung“ (das Wort Meditation taucht im Palikanon nicht auf) ausreichend sein kann. Dies widerspricht allerdings keineswegs deiner These. Ajahn Buddhadasa hat sich extra aus dem hektischen Stadtleben zurückgezogen und ist so wie Buddha es gelehrt hat in den Wald gegangen. Wenn „natürliche Sammlung“ damals schon schwer entstehen kann, wie soll das heute passieren?

    Vielleicht kann ich dazu insgesamt mehr sagen, wenn ich (irgendwann) ein Vipassana-Retreat besucht habe.

  5. 

    Hi Stoky

    Zum Thema „Bildung“ und Einkommensniveau der Eltern. Das war letztes Jahr eine Nachricht, an die ich mich erinnerte während ich das schrieb. Es ist nicht einfach eine ,Meinung‘. Ich habe dazu auf die schnelle nur eine regional begrenzte Studie gefunden, die aber trotzdem recht interessant scheint, siehe Link unten. Allerdings gibt es zu dem Thema massenhaft Information. Ich denke der Zusammenhang „höheres Einkommen/höhere soziale Schicht = bessere Bildung“ dürfte in allgemeiner Hinsicht belegbar sein. Wenn deine Biografie da positiv heraussticht, Glückwunsch. Ich will allerdings nicht behaupten, daß ich daß Thema in einem Nebensatz erschöpfend behandeln könnte.

    Thema „Buddhismus als Teilmenge der Meditation“. Ich meine das folgendermaßen: Der Buddhismus ist eine in bestimmten geschichtlichen Zusammenhängen entstandene (und entstehende) Beschreibung der Situation des Menschen. Meditation ist ein Vermögen dieses Menschen. D.h. etwas was er schon mitbringt bevor er den Buddhismus (oder das Christentum oder den Glauben an die totale Lösbarkeit eines jeden Problems durch Technik) entwickelte. Ich muß dabei auch gar nicht die Definition von Meditation verbiegen, um die Meditation vor den Buddhismus zu setzen, schließlich ist der Buddha, nach dem jedenfalls wie die Geschichte erzählt wird, durch Meditation zur Erleuchtung gelangt. Anschließend erst entstand der Buddhismus und mit ihm Begriffe wie Erleuchtung und Meditation. Wobei diese speziellen deutschen Begriffe und ihre Bedeutung ein Produkt unserer historischen Situation sind. Ich denke der Begriff sati oder das tibetische bsam gtan das ich erwähne, weisen auf menschliche Fähigkeiten hin und sind erst in zweiter Linie buddhistisch ideologisch aufgeladen.

    Allerdings will ich nicht auf eine eigentliche oder ursprüngliche Bedeutung solcher Begriffe zurück. Mir liegt eher daran auf die Fähigkeiten hinzuweisen die mit diesen Begriffen verbunden sein könnten und daß wir unsere Erfahrungen mit bestimmten Praktiken die wir versuchen in unserer Sprache auszudrücken beginnen. Allerdings wirkt die buddhistisch ideologische Aufladung der Begriffe auf die Praktiken und damit auf unsere Erfahrung zurück – womit die Sache kompliziert zu werden scheint.

    Ich glaube allerdings nicht, daß es so kompliziert ist. Meditation als eine ruhige, wache Sammlung z.B., die sich nicht dem Strom der im Bewußtsein auftretenden Ereignisse hingibt, sondern lediglich den Strom bemerkt, sollte doch etwas sein, das völlig ohne Buddhismus auskommt, oder? Eine Sammlung würde auch keine Ethik unterschlagen, da jemand der sich sammelt weniger Affekten ausgeliefert ist.

    Du erwähnst den Begriff „natürliche Sammlung“ und das sie so schwer zu erlangen ist. Muß man die Stadt tatsächlich verlassen? Ich weiß nicht…

    Ich denke es ist wichtig über Meditation zu sprechen, um diese Fähigkeiten aus der Ecke eines geheimnisvollen Wissens, das nur für ganz besonders begünstigte erreichbar ist, heraus zu holen.

    Ich fände es interessant kammaniya, natürliche Sammlung, sati, bsam gtan etc. wirklich zu übersetzen und in unserer Erfahrung eine Sprache zu finden, wobei schon nur die Erfahrung der Erfindung einer Sprache eine besondere Erfahrung sein ist. Dabei geht es nicht um willkürliche Zuordnung von Wörtern zu Erfahrungen, sondern um Begriffsbildungen die mit einem bestimmten Gehalt eines bestimmten Gefühlstones verbunden sind. Ein Beispiel: Wenn ich jetzt frage „Wie viel Uhr ist es ungefähr?“ und jemand das abschätzt ohne auf die Uhr zu sehen, dann ist der Moment dieses Abschätzens ein kleiner innerer Vorgang, der einen Gefühlston von einem Ungefähr hervorbringt. Oder man steht im Supermarkt an der Kasse und hat das Gefühl etwas vergessen zu haben, dann ist auch das so ein Gefühlston. Worauf ich hinaus will ist nicht das Erinnerte sondern diese kleine Irritation selbst. Es ist die Bewegung des Erinnerns selbst. Es fällt einem dann etwas Richtiges ein, das man sehr genau von einem Falschen unterscheiden kann (Brokkoli!). Ähnlich kann der Vorgang der Sammlung neu beschrieben werden. Man wird Begriffe finden, die besser passen als andere, die bessere auf das eigene Erleben passen und zwar mit einem Gefühl der Zustimmung. Das ist der kreative Impuls selbst der sich immer wieder erneuert und aus dem heraus man sich im besten Falle über Meditation unterhalten kann ohne aufzuhören zu meditieren.

    Viele Grüße, Matthias

    Link: http://idw-online.de/pages/de/news277479

  6. 

    Danke für den Link zur Studie. Neben der (mir neuen) Diskriminierung bei gleichen Noten enthält die Studie auch einige Punkte, die darauf hinweisen, dass Geld nicht alles ist. Zum Beispiel: „Das Einkommen der Eltern spielt zwar auch eine Rolle für die Gymnasialempfehlung, noch bedeutender ist aber ihr Bildungsniveau“.
    Insgesamt scheint mir heute der Wert von „Bildung an sich“ gesunken zu sein. Selbst das „typische“ Akademikerkind studiert „nur“ um später einen Job zu bekommen nicht um gebildet zu sein. Aber ich vermute das ganze Thema ist etwas zu komplex um es in Kommentarspalten abschliesend zu diskutieren. (Ich selbst kenne da auch nicht wirklich aus)

    Danke für deine Erläuterungen zu Meditation/Buddhismus, ich denke ich verstehe es jetzt richtig.

    Ich glaube nicht, dass man die Stadt verlassen muss für natürliche Sammlung. Aber eine hektische Umwelt macht es etwas schwerer ruhig zu bleiben.

  7. 

    Daß Bildung auch im Zusammenhang steht mit der Bildung der Eltern habe ich auch gelesen. Das Thema Bildung überhaupt wird eine Rolle spielen bei der Fortsetzung dieses Textes. Bernard Stiegler argumentiert, daß „Bildung an sich“ durch die Form der Nutzung technischer Medien heute behindert oder sogar zerstört wird. Wohlgemerkt durch die Form der Nutzung, nicht durch das technische Medium selbst. Die Verschiebung die du ansprichst, von der Bildung um der Bildung willen zu einer Aus-Bildung für den Job, ist dabei wahrscheinlich ein Zeichen der Wirkung der „Kontrollgesellschaft“. Die Prioritäten werden schon in sehr jungen Alter auf bestimmte Karieren ausgerichtet. Das heisst, es findet von vorne herein eine Einengung des Horizontes statt. „Bildung an sich“ dagegen würde der Kreativität viel mehr Raum lassen. Nicht der Kreativität, die man heute unter dem Wort versteht, wenn man von Kreativen redet, also Werbern, sondern einer offenen, kritischen Kreativität. – Das bezieht sich auch auf den Buddhismus.

    Ob man die Stadt verlassen muss oder nicht, wie man Ruhe erzielt, welche Einflüsse man ausschließen muss, welche einschließen, das wird sich hier hoffentlich noch entwickeln lassen. Auf jeden Fall denke ich, daß das ein ziemlich modernes Thema ist. Sich dem Zugriff des allgegenwärtigen Geflüsters der Megamaschine entziehen.

    Vielen Dank für dein Interesse, Matthias

    P.S. Noch eine Anmerkung zum T-Shirt von Noah Levine. „Meditate and Destroy“ bezieht sich auf „Search and Destroy“. Als Punk kennt Noah nämlich ganz sicher den gleichnamigen Titel von Iggy Pop, als der noch zu Urzeiten des Punk in Detroit mit den Stooges spielte. „Search and Destroy“ bezeichnete aber ganz ursprünglich eine Taktik der Amerikaner im Vietnamkrieg. Noah Levine hat also eine Menge amerikanische Geschichte auf dem T-Shirt und es wäre interessant von ihm zu hören, was er darüber denkt, denn die Zeit seit dem Vietnamkrieg ist auch die Zeitspanne in der sich der Buddhismus im Westen enorm entwickelt hat. In den Siebzigern hat dieser Buddhismus einen enorme Entwicklungssprung gemacht.

    Search and Destroy: http://www.dailymotion.com/video/x5tqs7_iggy-pop-and-the-stooges-search-and_music – Die Filmsequenzen in diesem Video stammen zum Teil aus dem Film „Apokalypse Now“, dieser wiederum basiert auf dem Roman „Das Herz der Finsternis“ von Joseph Konrad. Damit, zuletzt, ist man unvermittelt vom modernen Buddhismus ausgehend in einer Vergangenheit gelandet die wenig mehr als Hundert Jahre her ist. Das Herz der Finsternis… oh man, das ist starker Tobak für die Meditation. Was hat das Herz der Finsternis mit der Kontrollgesellschaft zu tun?

  8. 
    Spiraltribe 17.1.12 um 12:22 UTC

    Ich bin gerade auf diesen Artikel gestoßen, als mein Interesse am Buddhismus wiederum einmal neu aufflackerte und ich mich wiederum, erneut in letzter Konsequenz damit nicht ganz identifizieren kann.

    Jedoch, gerade diesen Teil, den Verstand zum schweigen zu bringen, kann ich doch viel abgewinnen. Meines Erachtens ist der Verstand Problemlösungsorientiert. In meiner Selbstbeobachtung konnte ich feststellen, dass es oftmals Situationen gibt, in denen ich _eigentlich_ glücklich und zufrieden sein könnte. (Und ich bin überzeugt, das glückliche, zufriedene Menschen heilsam auf ihre Umgebung wirken). Aber der Verstand hindert mich daran, die Situation annehmen zu können, will konsequent weiter denken und sucht und findet Probleme, die er (nicht) lösen kann. Oder, wie es Dr. von Hirschhausen so treffend und pointiert formuliert: Es ist einfach, glücklich zu sein, es ist nur schwierig, einfach zu sein. Deshalb kann ich der Forderung, dass Mediation Raum für Lernen schaffen soll und muß nicht vorbehaltlos zustimmen. Einfach sein, betrachten, ohne zu werten, ohne Ziel ist für mich Herausforderung genug. Sofern ich das richtig Verstanden habe, ist das auf einer Metaebene die zentrale Kernaussage dieses Artikels, oder? Meditation als Mittel zum Zweck, um etwas zu erreichen,oder?

    @Bildungsdiskussion, mich treibt nun schon länger dieses Thema um. Es wird die zunehmend abnehmende Bildung allseits beklagt, obwohl uns soviel Information wie noch nie zur Verfügung steht. Nur was genau ist vor allem vor dem Hintergrund des zunehmenden und unübersichtlich , hochspezialisiert werdenden Wissens Bildung genau? Verstaubtes Schulwissen? Ich kenne einige Menschen, v.a. der Nachkriegsgeneration, die nur wenig Bildung erfahren haben, aber interessierte Menschen mit einem wachen Verstand sind und sich unglaublich viel Wissen angeeignet haben und die Fähigkeit, vernetzt zu denken und selbständig weiterzudenken. Ich kenne aber auch einige, die eine klassische humanistische (Aus)Bildung erfahren haben, mit dieser aber nicht viel mehr anfangen können als sie abzuspeichern und bei Bedarf wiederzugeben. Optimal wäre latürnich ein kreativer Geist, der zu selbständigem Denken fähig ist mit einem Maximum an Bildung. Aber gerade da stellt sich mir auch die Frage, ob Bildung den Geist nicht tötet? Ist der nur wenig gebildete Verstand vielleicht eher zu originärem Denken fähig? Das schnelle, oberflächliche Aufnehmen von Wissen hindert oftmals an einem tiefgreifenden, verinnerlichten Verstehen. Ich habe neulich eine Filmsequenz im Vorbeigehen aufgeschnappt (wie passend zu dem Artikel ,) ) In der ein gebildetes, etwas versnobtes Künstlerpaar aus ökonomischen Gründen ein Redneck Paar auf eine längere Autoreise mitnimmt und die „Redneckfrau“ lustig erzählt, ihr Partner müsse wohl, wenn er einmal stirbt und an die Himmelstür klopft, wieder auf die Erde geschickt werden und wieder und wieder, weil er soviel angestellt habe. Die versnobte Dame meinte darauf nur augenverdrehend „Das nennt man Karma“ (Es war eine sehr plakativ gestaltete Szene und ich das reichte mir dann auch, um mir den Film nicht weiter anzusehen.) Dieses Bild steht immer wieder bei Bildungsdiskussionen vor meinen Augen und ich halte es für symptomatisch, Steht es mir zu, über den Wissenstand anderer zu urteilen? Auch wenn es augenscheinlich der Wunsch nach Verbesserung ist, steht im Hintergrund nicht auch ein wenig Ego-Bauchpinselei? Weil wenn ich behaupte, dass andere keinen Zugang zu Bildung haben, so muß ich anders als diese anderen sein. Ich bin davon überzeugt, dass es in unseren Breitengraden und in unsere Zeit schwierig ist, einen wissbegierigen Geist von Wissen, Infromation, Bildung fernzuhalten.

  9. 

    Vielleicht nur eine Anmerkung zum Ausschalten von Gedanken, weil ich das am Anfang auch falsch interpretiert hatte. Nicht alle Meditationstechniken versuchen tatsächlich so tiefe Versenkungszustände zu erreichen, dass man nichts mehr denkt. Darum ging es auch in dem Text von Ajahn Buddhadasa, den ich in einem früheren Kommentar zitiert hatte. Vielleicht noch ein Zitat von einem anderen großen Mönch, Ajahn Chah:

    „Frage: Ist es in unserer Übung notwendig, völlige Vertiefung (jhána) zu erreichen?

    Antwort: Nein, völlige Vertiefung ist nicht notwendig. Du musst ein gewisses Maß an Gelassenheit und Sammlung des Geistes herstellen, um dich selbst erforschen zu können.“

    Dass der Verstand einen oft davon abhält glücklich zu sein, ist richtig und deshalb ist es auch ein sinnvoll den Geist zu kultivieren (z.B. durch Meditation), dass er dies nicht mehr tut.

    Mu-Shin, was leerer Geist heisst, bedeutet allerdings nicht leer von Gedanken, sondern leer von Verlangen. Was uns unglücklich macht – nach buddhistischer Lehre – ist nicht das Denken, sondern das Verlangen.

    Ich hoffe das hilft dir (ebenso wie mir) beim Verständnis des Textes, bei deiner Meditation und bei der Interpretation deiner meditativen Erfahrungen.

  10. 

    P.S.: Bitte entschuldige, wenn ich hier über den Begriff Mu-Shin herstolpere, es gibt da tatsächlich unterschiedliche Ansichten. Allerdings kommt die „andere“ Ansicht aus dem Kampfsport, was sie mir nicht sympathischer macht…

  11. 

    Grüß dich Spiraltribe,

    vielen Dank für die Mühe deine Gedanken so ausführlich zu formulieren. Dieses Blog ist u.a. als Forum und vielleicht als Kristallisationspunkt gedacht für Leute die ein Gefühl mitbringen wie du es formulierst: „Interesse am Buddhismus aber sich in letzter Konsequenz doch nicht ganz mit ihm identifizieren können.“ Herzlich willkommen also. Dein Gefühl des sich angezogen Fühlens und der gleichzeitigen Skepsis spiegelt etwas wieder, was von zunehmender Bedeutung sein dürfte.

    Die zunehmende Skepsis gegenüber dem Buddhismus mag an folgendem Zusammenhang liegen. Der Buddhismus, ganz allgemein gesagt, tritt als umfassender Problemlöser auf. Er hat auf die Gesamtproblematik des Lebens die richtigen Antworten. Mit diesem umfassenden, absoluten Anspruch über sein angebliches Wissen macht er sich aber im selben Augenblick unglaubhaft. Einen umfassendes Wissen kann es nicht geben. Nicht jedenfalls im Sinne von fertigen Antworten die nur darauf warten abgerufen zu werden. Die Antworten auf Probleme die sich stellen, können immer nur in einem Prozess gefunden werden. Diesem Prozess sind alle Menschen ausgesetzt – auch die Weisen aus dem Morgenlande und ihre willigen Lehrlinge, die zuhauf unsere Länder durchwandern und mit gütigem Lächeln von letzten Wahrheiten sprechen. Im zeitgenössischen naiven Buddhismus ist es aber der Fall, daß dem Lama, Roshi etc. ein geheimes inneres Wissen unterstellt wird, das man nicht wirklich aussprechen kann und das man selbst erst durch jahrelanges, vertrauensvolles üben (vielleicht) selbst irgendwann erlangt.

    Es geht also um zwei Formen von Wissen. Das eine ist immer ein Prozess des Fragens und damit des Lernens. Das andere ist ein Warten auf eine allumfassende Erkenntnis die aus einem geheimen Anderswo auftaucht.

    Wie kommen hier Meditation und Lernen zusammen. Dein Einwand ist ja, daß du die Forderung Meditation soll Raum für das Lernen schaffen skeptisch siehst.

    Wenn man das Lernen so betrachtet wie es heute kultiviert wird, hast du völlig recht. Lernen heute findet als rein quantitativer Prozess statt. Im Gegensatz dazu steht die Bildung im Sinne der Aufklärung (Kant und so…). Sie ist ein organischer Prozess, der vor allem auch durch Herausbildung einer langfristigen Verantwortlichkeit geprägt ist. Diesen zweiten Begriff vom Lernen meine ich. Dieses Lernen kann man überall sehen, wo Menschen sich wirklich für etwas Interesse haben.

    Meditation ist ebenfalls vom Bazillus der totalen Quantifizierung befallen. Dies einfach deshalb, weil wir heute schon prinzipiell dazu erzogen werden, die Dinge auf ihre Nützlichkeit und Effizienz hin zu prüfen. D.h. sie muß zielführend sein, sie muß stressreduzierend wirken, sie muß mich in irgendeiner Form weiter bringen. Wir können gar nicht mehr einfach sein, mal gerade eben Fünfe gerade sein lassen. Selbst einfach sein wird zur Aufgabe und Meditation zu einem unlösbaren Paradox.

    Bei der Meditationsform die ich meine, sollte man sich vielleicht daher verschiedenes klar machen. Sie ist zum einen kein Geheimwissen, das einem gegeben wird, sondern sie ist eine Fähigkeit die ich habe oder kultivieren kann. „Einfach sein, betrachten, ohne zu werten“ wie du schreibst, mag ein Ausdruck dafür sein. Zum anderen ist uns durch unsere Gewöhnung an ständige Reize aber vielleicht selbst dieser einfach Zugang verbaut. Vielleicht müßen wir eine regelrechte Entwöhnung durchmachen, die ein womöglich langwieriger und schwieriger Prozess ist, weil wir die Gewöhnung und Abhängigkeit von ständigen Reizen selbst nicht sehen.

    Die Meditation die mir vorschwebt ist also nicht „Mittel zum Zweck“, wie du vermutest, sondern eine Ruhe und Gefasstheit, die in einem organischen Zusammenhang mit einem tatsächlichen Lernen steht. So wie ich das verstehe, ist beides nicht zu trennen. Meditation mag dabei eine totale Demystifizierung erfahren, sie mag zum Schluß etwas so einfaches sein wie ein Spaziergang im Wald.

    Macht es das klarer um was es mir geht?

    Viele Grüße, Matthias

  12. 

    Hallo stoky

    Es ist richtig, es geht nicht um das Ausschalten von Gedanken, das sehen ich auch so. Aber es geht um eine gewisse Form von „Gelassenheit und Sammlung“ wie Ajahn Chah sagt.

    Eine Problematik sehe ich bei dem „sich selbst erforschen“ in Bezug darauf, daß „der Verstand eine davon abhält glücklich zu sein“. Ich glaube nicht daß es darum gehen kann, in der Sammlung den Verstand abzuschalten. Es mag sein, daß „leer von Verlangen“ Linderung bringt. Aber was genau ist das? Verstand, Glück, Verlangen?

    Nur mal den Verstand betrachtend: Wir sind soziale Wesen. Als solche teilen wir in unserer Gruppe (Familie, Klasse, Arbeit, Kultur, Nationalität etc.) gemeinsame symbolische Räume. Das heisst das sind ‚Sprachen‘ die dem soziale Zusammenhalt dienen und die Wertesysteme aufbauen. Mein Verstand, ich, ist/bin daher kein Einzelwesen, sondern immer in Interaktion. Der Symbolische Raum formiert sozusagen meinen Verstand von klein auf, ohne das mir das zunächst bewußt ist (und in den meisten Fällen wird es wohl nie bewußt). Es ist also zunächst die einfache Frage, woher das kommt, was das ist, was meinen Verstand zu etwas macht, was mich nicht glücklich sein lässt? Welche Werte habe ich internalisiert, die mir vielleicht gar nicht bewußt sind?

    Im Sinne solcher Fragen denke ich sollte man sich selbst erforschen. Dann wird vielleicht klarer, daß nicht der Verstand einen davon abhält glücklich zu sein, sondern bestimmte Inhalte, die mir als stets interaktiven Wesen von ‚außen‘ zukommen.

    Ein Beispiel für diesen Prozess mag der Begriff „Glück“ selbst sein. Im buddhistischen Kontext wird oft gesagt, das Ziel sei Glück. Ein Glück das einen in jeder Lebenslage begleiten soll. Leute wie Ole Nydahl sagen, lass einfach los was dich unglücklich macht. Hundertausende glauben diesem Typen und wenn sie nicht einfach loslassen können und in irgend einer Scheisssituation unglücklich sind, zweifeln sie zutiefst an sich und ihren Fähigkeiten. Tatsächlich aber ist es seit Menschengedenken normal mit Unglück konfrontiert zu werden. Es ist normal unglücklich zu sein, wenn einem zum Beispiel der Geliebte wegstirbt oder man seine Arbeitsstelle verliert. Es hat mit geistiger Hygiene zu tun auch solchen Gefühlen Raum zu geben. Ole Nydahl aber passt mit seinem Zwang zum Glück blendend in unsere Zeit.

    Solche Lehrsätze wie von olle Ole sind es u.a. die einen am eigenen Verstand zweifeln lassen – wo sie doch tatsächlich nichts sind als untaugliche, unkritisch aus dem symbolischen Raum übernommene Glaubenssätze.

    In diesem Sinne Mu-Shin, ja!

  13. 

    Im Kulturradio gab es gestern ein Gespräch mit einem Medienwissenschaftler hauptsächlich über die „sozialen Medien“. Ich hab bis jetzt nur die letzten 10 Minuten gehört, aber dort ging es auch ulm die Auswirkungen der ständigen Aufmerksamkeit auf Kommunikation und negative Effekte auf z.B. die Fähigkeit zur Reflektion und auf die Politik.

    Nachhören kann man das unter http://www.kulturradio.de/programm/sendungen/120129/das_gespraech_1904.html

  14. 

    Hi Stoky, viele Dank für den Hinweis. Ich werde mir das anhören.

    Habe übrigens dein Posting bezüglich Dalai Lama und Wissenschaft gesehen, bin nur noch nicht dazu gekommen, dazu was zu schreiben. Falls du englisch liest, in der Hinsicht auf jeden Fall sehr wichtig hier: Tom Pepper, Feast Interrupted.

    Viele Grüße, Matthias

  15. 

    Danke für den Hinweis auf den Text. Ich lese schon englische Texte, wenn auch ungerner. Was ich normalerweise nie lese sind „philosophische Texte“ ;)

    Mir ging es bei dem Blogpost auch nicht so sehr um Wissenschaftsphilosophie, sondern eher darum auf ähnliche Herangehensweisen hinzuweisen.

    Grüße, stoky

  16. 

    So, auch ich finde heute Nacht etwas Zeit für diesen Blog …
    Die Bemerkung, Gedanken in der Sammlung zu beobachten erfordere ja noch keinen Buddhismus, ist richtig. Wie Buddhadasa Bhikkhu sagte, ist auch keine (Sitz)Meditation für die Sammlung vonnöten, also keine festgelegte Körperhaltung. Jedoch wird oben zunächst m.E. die Wirkung dieser Versenkung unterschätzt, die sich an eine strengere Form knüpft. Zum einen ist sie in der Lage, ähnlich psychoanalytischen Sitzungen, das Unterbewusstsein, Verdrängtes, Verborgenes ins Bewusstsein des Probanden zu bringen. Zuweilen sind diese Erlebnisse erschreckend, dann wieder erhellend. Bereits während der Meditation findet ein Erkenntnisgewinn statt, der sich auch körperlich ausdrückt oder gewissermaßen an Körperhaltungen knüpfen kann, wenn man diese dezidiert einnimmt. So erklärt sich auch, dass Zazen-Anhänger süchtig nach der Form werden. Die Lösung von Koan wird (traditionell) ebenfalls zumindest überwiegend durch Versenkung vorbereitet, und ob man nun glaubt, dass sie nicht-rational sei – auch hier geschieht ein „Erkenntnissprung“. Versenkung öffnet den Geist für kreative Prozesse und Problemlösungen. Allerdings sprengen diese den Rahmen der Aufgaben, die sich Menschen gemeinhin stellen.

    Sollte es möglich sein, sowohl bei nicht-konzeptuellem Sichversenken (ohne Bindung an den Buddhismus) wie etwa bei der Koanschulung zu vergleichbaren Ergebnissen/Erkenntnissen zu kommen, könnte man im Umkehrschluss den speziell buddhistischen Weg in Abrede stellen. Nach meiner Erfahrung ist jedoch die Zen-Erfahrung eine andere, und das, weil sie über das Bewusstwerden hinausgeht und eine Entgrenzung bewirken kann. Einen solchen Effekt erfahren ansonsten noch Menschen nach körperlichen Schäden (z.B. infolge von Schlaganfällen, Hirnveränderungen, anderen Traumata) oder nach Einnahme von Drogen. Ersteres ist nicht gewünscht, letzteres hat in der Regel – abgesehen von ebenfalls einzukalkulierenden Nebenwirkungen – keinen langfristigen Effekt. Das, was in der Zenversenkung möglich ist, lässt sich, wenn ich mir anschaue, worüber Menschen mit außergewöhnlichen Erfahrungen sprechen, mit nichts vergleichen. Darum darf es ein Label bekommen, einen Namen, der unterscheidet, und der könnte Zenweg oder buddhistischer Pfad oder Buddhismus heißen. Wenn, ja wenn wir uns einigen können, dass dies ein Unterscheidungsmerkmal ist – was ich persönlich glaube. Stellt man dieses Potential der Versenkung in Frage, wird man freilich keinen Sinn in einer besonderen Etikettierung „Buddhismus“ finden. (Mir ist hier bewusst, dass andere buddhistische Schulen die Etikettierung wegen der Grundlehren Vier Edle Wahrheiten, Achtfacher Pfad usf. wählen, die ich für austauschbar mit anderen Religionen halte.)

    Dann ein Wort zum Fernsehkonsum. Die Betrachtung, die ich aus dem Studium noch von Chomsky und Kollegen kenne, ist einseitig. Ich habe einen pragmatischen Zugang zum Medium und profitiere enorm davon. Zum einen ist es gar nicht nötig, den ganzen Tag über aufmerksam zu sein, und wenn man auf diesen Aspekt zu sehr Wert legt, macht sich in meinen Augen erst recht zum Buddhist, allerdings zu einem in der Nachfolge der Wohlfühlbuddhisten, die mit erhöhter Achtsamkeit größeren Lebensgenuss verbinden. Dabei kann Zerstreuung sehr angenehm sein. Ein Freund, der in einem großen Telekommunikationsunternehmen arbeitet, zitierte seinen Chef: „Ich weiß doch, dass ein Drittel der Arbeitszeit nix gemacht wird. Ich fang doch gar nicht erst an, die emails zu kontrollieren.“ Unsere Arbeitszeiten lassen Freiheiten zu, unsere Freizeit ist ausgedehnt. Den Fernseher kann man nutzen, um interessanteren Menschen zu lauschen als man sie womöglich im Freundeskreis hat. Man sieht Schönheit, hört Musik, wird zum Lachen gebracht. Wir wissen, dass der größte Teil unseres Hirnes brachliegt, er verträgt eine Menge Impulse, auch diese. Und da kämen wir zu einem weiteren Aspekt. Muss ich mich Buddhist nennen, wenn ich sage, ich kann auch beim Fernsehen erwachen? Ist es nicht das Gleiche, wenn einer den Fernsehkonsum einfach so erklärt: Es gefällt mir, ich hab nichts Besseres zu tun? Ich denke nein, denn ich kann wahlweise auch aufmerksam fernsehen und etwa bei einem Bundesligaspiel mit der Live-heit ganz gegenwärtig sein und empfinden. Tut der gewöhnliche Fan etwas anderes? Auf den ersten Blick nicht, doch nach einer wie oben beschriebenen Erfahrung erlebt man das „Im Hier und Jetzt dieser Kickerei auf dem Bildschirm-Seins“ mit einer anderen Art des Bewusstseins, nämlich seiner inneren Substanzlosigkeit. Man bleibt also dabei frei. Ich will nicht sagen, dass man so mehr oder weniger genießt, sondern dass man es anders tut, nämlich als würde man „verstehen“. Dieses Verstehen ist keinem nachversenklichen Erkenntnisprozess geschuldet, sondern der obigen Erfahrung. Es äußert sich auch, wenn einer nicht nur im Film, sondern vor den eigenen Augen stirbt. Es ist sozusagen nicht mehr wegzubekommen. Es ist eine Einheit auch mit der gegnerischen Mannschaft und mit dem Sterbenden, die der nicht so geübte Betrachter nicht erlebt.

    Als ich im Urlaub mal wieder ein unsicheres Fahrzeug besteigen musste und ein auf diesem Fahrzeug Erfahrener so ganz unbekümmert war und sich als Agnostiker outete, wusste ich wohl, dass solcherlei, also Eigenschaften wie Angstfreiheit usf. nicht von bestimmten religiösen Übungen abhängen und auch nicht mal als Ergebnis davon erwartet werden können. Doch wenn ich das Spiel sehe oder die Sterbenden, dann spüre ich genau, dass es meine spezifischen, auf dem Buddha-Weg gemachten Erfahrungen sind, die von anderen nicht geteilt werden. Es ist sozusagen die Möglichkeit, statt sich vom TV abzugrenzen, mit ihm zu verschmelzen. Diese Verschmelzung findet mit virtuellen wie nicht-virtuellen Realitäten gleichermaßen statt.

    Zum Schluss noch eins: In meinem Bekanntenkreis sind erstaunlich und überproportional viele Menschen ohne Fernsehgerät. Unter diesen sind überproportional viele depressiv und neigen zum Nörgeln. Das ist nur eine kleine empirische Studie, aber es gibt mir doch zu denken.

  17. 

    Hallo G

    Vielen Dank für die Mühe deine Gedanke so ausführlich aufzuschreiben.

    Du sprichst wesentlich zwei Punkte an. Praxis, Meditation, Sitzen, ZaZen und Fernsehen. Das entspricht in etwa meinen wesentlichen Punkten in dem Text – allerdings mit einem etwas anderen Dreh als den, den du beschreibst.

    Mir geht es zunächst um die Situation in der wir uns befinden: Die Kontrollgesellschaft. Der Begriff ist missverständlich, da eine Kontrolle im alt hergebrachten Sinn nicht ausgeübt wird. Es ist auch nicht so, daß ich das Fernsehen oder andere Medien per se kritisiere.

    Ich hatte schon einige Reaktionen, denen ich entnehme, die Kontrollgesellschaft sei die ständige Überwachung mit Video, via Datennetzwerke und die ständige Fütterung über Funk, Fernsehen, Internet usw. Das ist aber nicht gemeint. Kontrollgesellschaft meint „Selbstverwirklichung“. Die Freiheit sich selbst zu verwirklichen ist die eigentliche Kontrolle. Gemeint ist, daß sich die Freiheit zur Selbstverwirklichung über die Jahre, seit den wilden Sechzigern etwa, in einen Zwang zur Selbstverwirklichung verwandelt hat. Dieser Zwang ist nicht ohne weiteres sichtbar. Das ist die Situation, und ich werde das wohl weiter ausarbeiten müßen.

    Die Beziehung zum Buddhismus ist deshalb gegeben, da der ja Einsicht in die Funktionsweisen des (eigenen) Geistes, Verstandes (nenn es wie du willst) bringen soll. Also, wenn auch nur der Verdacht besteht, daß der Konsumkapitalismus mich manipuliert, dann sollte der Buddhismus da aktiv werden. Leider, leider macht der Buddhismus aber in weiten Bereichen den Eindruck, selbst ein Produkt zu sein. Siehe Dalai Lama in der Kochshow, die Esoecke im Buchladen, die Vermarkung von Einweihungen aller Art usw. usf. Daher steht auch eine Untersuchung des Buddhismus an. Das läuft über den Non-Buddhismus den unser Scheffkoch Glenn Wallis (siehe Blogroll: Non-Buddhism) bereitstellt. Non-Buddhismus ist eine Art Werkzeugkasten zur Demontage buddhistischer Weisheiten.

    Der andere Punkt, den du auch ansprichst, muß hier auch noch ausgearbeitet werden. Denken, nicht Meditiern! Du sprichst Erfahrungen an, Erfahrungen des Bewußtseins, bewusst sein in verschiedenen Weisen. Mein Punkt ist erstmal, hier in diesem Text „Meditation und Kontrolle“, ob bestimmte überlieferte Techniken helfen können, die Selbstverwirklichungsverblendung zu durchleuchten. Die Frage ist, sind wir selbstverwirklichungsverblendet, wie könnte man das rauskriegen (das lehnt in gewissem Sinne an die Frage an, die Neo in „Matrix“ von Morpheus gestellt bekommt) und wenn sich dieser Verdacht erhärtet, wie, mit welchen Techniken, könnten wir uns selbst helfen?

    Du sprichst einige Punkte der Erfahrung an und es wäre schön und wichtig darüber einen Dialog zu entwickeln. Das ist eigentlich meine Idee für dieses Blog.

    Ich komme auf einige deiner Punkte zurück, lasse es aber für diese Nacht mal hierbei.

    Thanks for your thought, Matthias

  18. 

    Ein paar Worte dazu. „Produktcharakter des Buddhismus“ – darf ich aus dem Zen antworten: Schon früher waren die Meister von ihrer Lehre überzeugt und verkündeten sie. Sie gründeten Tempel, ließen sich welche schenken, sie hielten Reden vor großen Laienscharen, und weil sie auch Bettelmönche waren, kann man sagen, der Buddhismus (Dharma, die Lehre) hatte von Anfang an diesen Charakter. Das ist das eine.

    „Wenn der Konsumkapitalismus mich manipuliert, sollte der Buddhismus aktiv werden“ – oder vielmehr Du selbst? Wir sagen ja, es gibt keinen Buddha außerhalb von Dir, also bist Du der Buddha, der die Manipulation ablegt. Wie legst Du sie ab? Indem Du nicht anhaftest und etwa die Leerheit von Marketingmechanismen durchschaust. Sind sie deshalb schlecht zu reden? Nicht unbedingt, Du könntest gleichzeitig in einer Agentur arbeiten und an eben solchen Mechanismen feilen – ohne davon selbst gegängelt zu werden. Manchmal ist Werbung auch Information. Ich stelle mir die Frage: Brauche ich das? Diese Frage ist wohl typisch für jemanden auf dem Zenweg. Meist lautet die Antwort: Nein. Jedoch darf ich auch die Frage stellen: Würde mir das Spaß machen? Es gibt Kritiker der Spaßgesellschaft, aber wer wüsste was Besseres? Solange wir nicht vergessen, dass es ein privilegierter Zustand ist. Wir können sie jederzeit verlassen, in Kriegsgebiete oder in Klöster gehen und uns dort ernähren. Der Witz der Teilnehmer einer Spaßgesellschaft ist, dass sie die Wahl haben.

    „Denken, nicht meditieren!“ Anlässlich Eurer Blogs, der hier verlinkten, derer des „Säkularen Buddhismus“ (einer Bewegung, der ich mich nicht anschließe, weil ich noch weiter gehe und auch an den Grundfesten der Lehre wie den Edlen Wahrheiten, den Zufluchtnahmen usf. rüttle), habe ich die Hauptthese des Buches „Unlearning Meditation“ zur Kenntnis genommen: Wenn wir sitzen und nachsinnen (oder auch denken), dann meditieren wir – ohne Anleitung zu Inhalten, Form usf. Genau so war es früher. Im Palikanon ist Versenkung nicht mal mit Sitzen verbunden, man kann also dabei auch gehen, auf dem Kopf stehen oder schwerelos in einem Raumschiff schweben. Im Grunde führt eine solche Kritik also zu den Ursprüngen der Versenkung und Meditation im Buddhismus und Zen zurück. Ich selbst bin nach wie vor der Meinung, dass eine Koan-Schulung auch eine Denkschulung ist. Ohne Hirn funktioniert eben nix. Und wenn wir nicht in der Lage sind, Gedanke a mit b und c undsofort zu verknüpfen, gibt es keine neuen kreativen Leistungen mehr. Betrachten der Gedanken oder „Ziehenlassen“ allein kann das Menschsein also nicht ausmachen.

    „Wird so die Selbstverwirklichungsverblendung durchschaut?“ Auch hier bietet der Buddhismus eine eigene Korrektur. In einigen Sutren spricht der Buddha vom „Selbst“ als einem ewigen und reinen und setzt dieses mit der Buddhanatur gleich, besser dem Tathagathagarbha. Dies ist unser eigentliches Selbst im Buddhismus. Um dessen Verwirklichung bemühen wir uns in der Versenkung, das Heilsziel heißt hier: Erwachen. Du jedoch sprichst wohl die Verwirklichung des individuellen Selbst an, deren Hype ja auch mit einer zunehmenden Kinderlosigkeit und dem Pflegen egozentrischer Bedürfnisse einhergeht. Ich sage, wenn wir dieses „wahre“ Selbst erkennen, dann wird das andere relativiert. Zweifellos durchschauen wir es, allerdings verlieren wir auch die Lust, es abzuwerten. Ich möchte keine Kinder – na und? Ich bin ganz auf meine Interessen und Hobbys fixiert – na und? Dies ist nur das vergängliche Selbst, es kann uns nicht schrecken, welche Formen es auch annimmt. Die Verblendung besteht nicht in dessen Verwirklichung, sondern in der Nichterkenntnis des wahren Selbst, der Buddha-Natur. Wenn wir unser individuelles Ich hier gewissermaßen „geborgen“ wissen, dann können wir ggf. auch dort aufbegehren, wo diesem Ich Deine „Kontrollgesellschaft“ begegnet.

    Deine These ist offenbar, die Freiheit zur Selbstverwirklichung würde zu einem Zwang gemacht, und so der Mensch kontrolliert und geführt. Ich möchte Dir eine einzige schockierende Frage stellen: Wie soll sich jemand verwirklichen, der ein Tier liebt, jetzt, wo in dieser Hinsicht eine Gesetzesverschärfung im Gange ist? Herrschaft und Kontrolle werden durch Legislative, Iudikative und Exekutive ausgeübt. Tatsächlich wird dem Einzelnen immer wieder klar gesagt: Bis hierhin und nicht weiter! Will sich der Tierliebende sexuell selbstverwirklichen, weil es ihm im Konsumkapitalismus eingeredet wurde? Ganz im Gegenteil. Er will es trotz aller Drohungen.

  19. 

    Lieber Guido

    Ich denke nicht, daß Herrschaft und Kontrolle durch die Gewaltenteilung erreicht werden. Ich denke dies Gewaltenteilung soll wohl eher Garant der Freiheit sein. Fragt sich bloss, ob sie heute auch noch Garant der Gleichheit sein kann und ob sie überhaupt noch weiss was Freiheit ist.

    Die hier vertretene These das es einen „Selbstverwirklichungszwang“ gibt ist eigentlich ein ziemlich alter Hut und stammt nicht von mir. Namen die mit ihr verbunden sind, sind Michel Foucault, William Burroughs, Gilles Delleuze, Axel Honneth, René Pollesch, Rober Pfaller und und und. Erich Fromms „Haben oder Sein“ hat damit zu tun. Die Frankfurter Schule und ihre Kritische Theorie hat es formuliert – 1968 hatte viel damit zu tun. Es gab viele intelligente Köpfe die sahen, daß ein moderner Kapitalismus Bedürfnisse überhaupt erst schafft und intelligent hervor ruft und dann mit entsprechenden Produkten versorgt – wobei diese Bedürfnisse und Produkte nicht etwa dem freien Wettbewerb entstammen sondern imm er schon ideologisch determiniert sind und daß diese ideologische Determiniertheit den eigentlichen subtilen Zwang darstellt. Allerdings befinden wir uns heute in einer generell anderen Situation. Die Volkszählung anno1982 oder 83 (?) war ein Problem in den Augen einer kritischen Öffentlichkeit. Datenschutz, oder Ideologie, sind heute von einem ganz anderen Kaliber – aber das interessiert nicht und wird aber trotzdem und gerade deswegen, was das perfide ist, immer subtiler genutzt.

    Es ist ein Fehler zu denken, es handele sich hier um eine Orwell‘sche Paranoia. „Selbstverwirklichungszwang“ meint, daß diejenigen Freiheiten, die vor vierzig oder fünfzig Jahren möglich wurden und dem Individuum neue Möglichkeiten der Selbst-Verwirklichung eröffneten, heute auf die Individuen als Zwang zur Flexibilität zurückgeworfen werden. Gerhard Schröders (und damit auch Joschka Fischers) Ich-AG ist ein Beispiel dafür: Plötzlich sind die Gesetzte der Börse maßgeblich für eine Norm, die besagt, daß du nicht nur möglichst kreativ sein sollst und mit deinen eigenen Mitteln und Fähigkeiten dein eigenes persönliches kleines Unternehmen entwirft – es war auch maßgeblich daß diese deine Kreativität sich an den Gesetzten der Marktwirtschaft zu messen hat. Die Ich-AG ist in der Hinsicht ein gutes Beispiel. Nicht nur weil sie die grundsätzlich Verschiebung der Norm aufzeigt, sondern weil sie auch aufzeigt, wie die Partei der Grünen, als ehemals kritische Instanz sich in das System der Zwangsbeglückung fügt. Das alles ist wirklich ein alter Hut und die Konsumkritik einer Frankfurter Schule oder eine 1968er Studentenbewegung ist (technisch) überholt und eine kritische Öffentlichkeit darüber wie gesellschaftliche Normen sich entwickeln und verbreiten fehlt weitestgehend.

    Der Buddhismus heute fügt sich in tiefer Bewusstlosigkeit in diese Gegebenheiten. Wenn der frühe Buddhismus dahin gehend zitiert wird, der Geist gehe der Tat voraus und sei daher vorzüglich zu bilden, so beherzigt der zeitgenössische Buddhismus dies in keiner Weise. Er kümmert sich in keiner Weise um moderne Erkenntnisse darüber wie Bewußtsein funktioniert. Man muß dabei nicht Fromm oder Foucault lesen es täte auch schon Thomas Metzinger mit seiner „intellektuellen Redlichkeit“ – aber Buddhisten tun das nicht.

    Sie glauben, der ,Dharma‘ sei eine alles erklärende Weltenlehre, die nicht zu überbieten ist.

    Hier geht es um dieses unausgesprocheneGlaubensbekenntnis, daß jede Konversation leitet die unter Buddhisten oder zwischen Buddhisten und Nicht-Buddhisten geführt wird. Um das grundsätzlich unausgesprochene und unbewusste Glaubensbekenntnis von der Erlöserlehre des Buddha reihen sich eine Vielzahl buddhistischer Begriffe, die den Anschein erwecken, sie würden Wissen über die Wirklichkeit beinhalten, obwohl sie sich bei näherer Betrachtung als leer heraus stellen – nicht im buddhistischen Sinne sondern im Sinne von: Inhaltsleer.

    Die Auffassung die ich hier vertrete lehnt diese Begriffe ab. Ich kann nichts mit ihnen anfangen. Was meinst du z.B. mit „nicht anhaften“? Was meinst du mit „der Buddha spricht“? Was ist „Tathagathagarbha“ das unser „eigentliches, wahres Selbst“ ein soll? Und was zum Teufel ist das „Heilsziel“, das „Erwachen“? Ich frage nicht nach Erläuterungen die ich selbst nachlesen kann – die zu zitierenden Stellen sind mir geläufig bzw. zugänglich – ich frage danach weil im ganzen angepassten Buddhismus der Spassgesellschaft nie über etwas anderes geredet wird als über diese inhaltsleeren Begriffe, die lediglich von einer magischen Aura leben, die sich aus einem unendlichen Strom von Sutras, Tantras, Shastras, Mantras etc. pp. speisen.

    Was heisst „wahres Selbst“ hier und jetzt, wirklich, ohne Ausflüchte oder ein tausend Jahre altes Zitat? Das ist die Frage auf die „Buddhismus Heute“ keine Antwort geben kann.

    Die Praxis besteht also mindestens darin, darüber nachzudenken und nicht über ominöse Begriffe zu meditieren. Da sind wir uns wahrscheinlich in einigen Punkten gar nicht so fern.

    Vermutlich vertreten wir zwei aber ansonsten recht verschiedene Positionen. Für mich zählt nur ein Wort, ein Begriff der lebendig ist, mit Blut gefüllt, der entweder ein Erfahrung ist oder zu einer Erfahrung führen kann. Buddhismus, Buddha und Meditation führen zu keinen Erfahrungen, sie lehren nichts und vertrösten nur. Tausend Jahre alte verstaubte Klamotten. Vielleicht könnte man sich ja darauf einigen, also ich meine Leute, die sich einen Rest an Denkfähigkeit bewahrt haben, daß das was du erwähnst in Bezug auf „Unlearning Meditation“ evtl. der eigentliche Punkt ist. Und das der eigentliche Punkt ist, daß wir es sowieso schon mindestens als Anlage haben und es eben kultivieren müßen. Ohne Bezug allerdings zu völlig überholten Traditionen die noch dazu, interkulturell verpflanzt, im neuen Ambiente eher musealen Charakter haben.

    Ganz sicher geht es nicht um Selbstverwirklichung.

    Beste Grüße

  20. 
    angkorverlag 20.3.12 um 17:37 UTC

    Es gibt also einen Selbstverwirklichungszwang. Will ich mich nicht selbst entwickeln und einbringen, wenn ich diesen Zwang durchschaut habe? Es gibt auch eine Art Masturbationszwang. Was nutzt es mir, wenn ich das weiß? Ich wichse trotzdem weiter. Bei mir ist diese Idee tatsächlich an der falschen Adresse, weil ich meine publizistischen Bemühungen vor meine Verwirklichung im künstlerischen Bereich gestellt habe. Mein Eindruck war, so lange es tolle Sachen von alten Zenmeistern zu übersetzen gibt, halte ich mich noch ein wenig zurück, werde ein bisschen reifer, und vielleicht kommt dann die Zeit, wo ich aus mir selbst Kunst in Form von Literatur schaffe. Das ist für mich Selbstverwirklichung. Das gibt mir einfach ein geiles Gefühl, weil ich es sporadisch schon gemacht habe. Sollte mir jemand diesen Drang eingeredet haben, müsste ich ihm also dankbar sein. Auch das Publizieren war eine Form der Selbstverwirklichung, aber weniger originell. Hat bisher auch überwiegend Freude bereitet. Wenn der geschätzte Scholl-Latour mal wieder vor der Spaßgesellschaft warnt, sage ich mir, die ist aber besser als im Iran zu leben, und auch angenehmer als ein Leben im Kloster (obwohl, für die, die drin sind – wenn man das messen könnte – ist vielleicht auch nur der Hedonismus entscheidend, die ticken halt anders). Der Hirnforscher Singer meinte ja mal, die Meditierenden würden sich wohl selbst belohnen (denn Meditieren macht ja offenbar glücklich) und darum an der Meditation festhalten. So einfach kann das sein. Und trotzdem legitim. Wenn man gerne Spaß hat. Ich verstehe also die Kritik, aber es ist trotzdem eine ganz brauchbare Welt, in der wir leben, und die Selbstverwirklichung hat ihren Sinn (in einem anderen Forum bei Glenn Wallis schrieb ich ja schon, dass bei der Zenübung dieses Selbst so dekonstruiert wird, dass man davon auch lassen kann, und das ist der Sinn der Übung, eine Option mehr zu haben, ggf. auch ohne den Spaß und Hedonismus klarzukommen).

    Ich versuche nun, die von Dir hinterfragten Begriffe anschaulich „mit Blut“ zu füllen.

    1) „nicht anhaften“ – es bedeutet, dass ich mein Leben für andere riskieren kann und materielle Statussymbole oder Überschüsse aufgeben kann, so weit sie nicht meinem Lebensunterhalt dienen oder dem, was ich als meinen hedonistischen Input zu brauchen meine (das sind bei mir unterdurchschnittlich viel Sex, Lektüre, Filme). Im Bezug auf das zwanghafte Denken bedeutet es, von neurotischen Mustern lassen zu können, also z.B. – wie es gerade einem Freund geschieht – sich nicht wegen einer Liebesgeschichte in eine Stalkerei hineinzusteigern oder wegen Hass in einen sich wiederholenden Gedankenkreislauf, der sich um bestimmte Personen dreht. (Wie du sicher bemerkst, habe ich mich hier bei hoffentlich hinreichen konkreten Beispielen an den buddhistischen Kernproblemen von Gier und Hass orientiert.)

    Ich möchte aber gleich einem möglichen Einwand vorbeugen, der in Bezug auf Holocaust oder andere ethische Großbaustellen in Glenns Blog gemacht wurde. Dieses Nicht-Anhaften bedeutet für mich nicht eindeutige Verhaltensmuster nach dem Schema gut-böse. Es ist wie gesagt eine weitere Option. Natürlich kann ich auch an einer Frau haften, wenn mir das sinnvoll erscheint, und ich kann auch jemandem den Schädel einschlagen, wenn es nötig ist, und ggf. den Hass dafür als treibende Kraft nutzen. Es geht hier darum, diesen Gefühlen und materiellen Angewohnheiten nicht ausgeliefert zu sein, sondern das Reaktionsspektrum zu erweitern. Das bedeutet „nicht anhaften“.

    2) „der Buddha spricht“: wenn nicht anders erwähnt (z.B. Jataka), dann ist Shakyamuni gemeint und genauer: das, was man ihm zuschreibt. Dies gilt natürlich auch für Bodhidharma etc. Ich weiß nicht, ob das eine historische Person Shakyamuni gesagt hat, ich zitiere diese Zuschreibung. Es ist mir nicht wichtig, weil ich keinen Personenkult betreibe, es ist eine Übereinkunft.

    3) „was zum Teufel ist das „Heilsziel“, das „Erwachen“?“
    Okay, „Heilsziel“ ist ein überkommener Begriff aus der Religionswissenschaft. Manche Dogen-Adepten mögen den Ausdruck „Ziel“ gar nicht. Ich beschränke mich auf „Erwachen“. Erwachen ist für mich die Erkenntnis, dass die Zuschreibung „ich“ oder „selbst“ nur auf einer gedanklichen Ebene existiert, ebenso wie die Phänomene. Dies ist der wahrscheinlich logisch nachvollziehbare Teil. Ein anderer Aspekt des Erwachens ist die körperliche Erfahrung einer Entgrenzung, also so etwas wie das Gefühl einer tatsächlichen Nicht-Existenz des eigenen Wesens/Daseins. Die üblichen Beschreibungen dieser Erfahrung ähneln meines Erachtens tatsächlich denen, die manche Menschen unter Drogeneinfluss machen, was den Verdacht nahelegt, dass es sich um rein physiologische Vorgänge im Hirn (wie etwa auch bei Nahtoderfahrungen mit Licht- und Tunnelsichtungen usf.) handelt. Der Unterschied besteht m.E. darin, dass sich das spirituelle Erwachen nicht mehr ablegen lässt. Es dürfte zwar sehr wohl eine Art Kenntnis davon mit Krankheiten wie etwa Alzheimer schwinden, aber so lange das Hirn auf gewöhnliche Weise tickt, wird der Erwachte im Gegensatz zum Drogenabhängigen nie Entzug empfinden, sondern sich seiner Sache sicher sein, nämlich dass für einen Moment etwas mit ihm geschah, was alle Vorstellungen überstieg und sein Selbstbild vollkommen vernichtet hat. Dies wird er nicht mehr los. Wie mit allen Schlüsselerlebnissen (so nennt es wohl die Psychologie) kann natürlich der Einfluss aufs Alltagsleben mit der Zeit schwinden, sehr wahrscheinlich gibt es aber sichtbare Folgen im Leben des Betroffenen. Im anderen Blog äußerte ich den Verdacht, dass es beim Erwachen nicht um die Stimulation von Gamma-Wellen geht, die für eine Subjekt-Objekt-Aufhebung zuständig sein könnten, sondern eher um einen (Teil)Ausfall von Gehirnarealen. Wir werden sehen. Erwachen ist wie Dasein ohne Gedanken (Vorstellungen). Dieses Erlebnis, das nur von kurzer Dauer ist, scheint im Hirn abgespeichert zu werden. So kann man diesem Erlebnis wieder nahekommen, falls es sich nicht sowieso wiederholt. Ich habe das schon an den Beispielen vom Vogelgesang geschildert, den man als nicht mehr von sich getrennt erlebt, oder dem Vogel selbst.

    4) „Was heisst „wahres Selbst“ hier und jetzt“
    Das, was du nicht denkst, was du nicht bist. Weder dein Körper (inclusive des Hirns) noch deine Selbstwahrnehmung oder dein Bewusstsein im Sinne eines Geistes sind alles, was da bist.

    Das, was da ist, neben deiner Persönlichkeit und dem Körper, die sich beide nicht nur ständig wandeln, sondern nur durch Wahrnehmung vorhanden sind. Das, was vor deinen Gedanken und vor deinem Körper und der Wahrnehmung ist.

    (Im Zen gibt es nur wenige, die glauben, man könne das adäquat beschreiben, es ist nur logisch, wenn du als wohl Nicht-Zenadept solche behelfsmäßigen Erklärungen ganz ablehnst. Als Betroffener vergleiche ich es gern mit Migräne: Bisher fehlen überzeugende Erklärungen, trotzdem hat es einen Namen, gibt es Umgangsformen damit usf. Das Bild ist jedoch schief, weil das, was als wahres Selbst erfahren wird, nicht den Charakter der Vergänglichkeit vermittelt.)

  21. 

    Lieber Guido, um in aller Kürze und an einem Beispiel zu antworten.

    Du beschreibst was du als nicht anhaften empfindest. Tatsächlich hast du damit den Begriff mit Blut gefüllt und ihn, so wie du ihn beschreibst, zu etwas gemacht, was man tatsächlich als erstrebenswert betrachten kann. Das ist gut und schön.

    Mein nächster Einwand ist folgender: Warum nicht anhaften in Buddhistische Klamotten kleiden? Warum ihm einen Zen-Fummel anziehen? Warum eine ganz gewöhnliche, alltägliche, erstrebenswerte Eigenschaft mit solch einem Brimborium ausstatten?

    Die Antwort ist: So lässt es sich besser verkaufen. Aus der ‚wertlosen‘ Eigenschaft nicht anhaften wird so ein Rohstoff gemacht der von der Konsumgüterindustrie verkauft werden kann.

    Genau das ist der Punkt, an dem der Buddhismus sich ausbeuten lässt und selber zum Komplizen einer Ausbeutungsmaschine wird. Er wird selber damit zu einer Institution die die Verblendung fördert und er wird zum Gegenteil dessen, was er fordert.

    Und genau das ist auch der Punkt wo du dich fragen lassen mußt, wieso du so eine gewöhnliche, alltägliche und nichts desto trotz ohne Zweifel erstrebenswerte Sache wie nicht anhaften so hoch hängen mußt indem du sie mit allem möglichen Zen-Zeug vermischst?

    Beste Grüße, Matthias

    P.S. Nicht daß wir uns mißverstehen, das betrifft nicht dein Engagement als (Zen)Verleger. Keineswegs, du machst gute Bücher und ich liebe gute Bücher.

    P.P.S. Zum Thema Wahres Selbst vgl. bitte hier!

  22. 
    angkorverlag 25.3.12 um 15:12 UTC

    Hallo Matthias, der Bildwitz im letzten Link ist spitze, ich bin zuweilen auf diesem Blog unterwegs. Aber was Menschen beschreiben, wenn sie auf so etwas wie „wahres Selbst“ hindeuten – ob nun nach Herzstilstand und Mangeldurchblutung (!) des Hirnes, nach Drogeneinnahme oder (meist exzessiver) Meditation -, das ist zumindest eine Auflösung ihres bisherigen Selbstverständnisses. Wie man dieses andere, was da erfahren wird (natürlich immer vom noch nicht hirntoten Individuum), auch immer bezeichnen mag – die Menschen haben den Eindruck, es könne nicht mit ihrem ansonsten erfahren „Selbst“ verglichen werden. Man könnte es auch das „unwahre Selbst“ nennen, um im Spaß des Cartoons zu bleiben. Trotzdem würden die Menschen, die so etwas erfahren haben, in der Regel diesen Zustand des „unwahren Selbst“ als erstrebenswerter betrachten als den anderen alltäglichen, sie würden ihn „höher hängen“. Unabhängig von der Verkleidung in Zen oder sonstwas. Wenn man natürlich wie der von dir empfohlene Philosoph Metzinger zwar über 30 Jahre regelmäßig meditiert, aber (selbst gemachte) außerkörperliche Erfahrungen nur unter ihrem Aspekt der Illusionhaftigkeit betrachtet (der ihnen natürlich wie allen Phänomenen anhaftet), könnte einem womöglich etwas entgehen, was als Potential dieser Erfahrungen vorhanden sein dürfte. Es gab Menschen, die dieses Potential sahen, behaupteten und auch lebten – und ich vertraue deren Erfahrungen und kann sie zuweilen reproduzieren (wenn ich z.B. meine eigene angeborene Hasenfußigkeit hinter mir lasse, oder in konkreten Fällen die Gier – und ich behaupte nicht mal, dass das ohne Leiden einhergeht). Jeder muss sich da natürlich selbst fragen, worin er die Ursachen für solche erweiterten Handlungsmöglichkeiten sieht, und manch einer mag trotz buddhistischer Praxis die Gründe ganz woanders finden. Oder er sieht keine signifikante Veränderung bei sich, was im Übrigen im Zen völlig okay ist, da jede Herleitung und intellektuelle Hinterfragung natürlich eine neue Täuschung oder Illusion birgt, auf die du ja im Grunde selbst hinweist, wenn du deren „institutionellen Charakter“ aufzeigst.

    Du fragst, warum „nicht anhaften“ in Zen-Kleidung wickeln? Da hast du vollkommen recht. Ich denke z.B. daran, literarisch mal ohne diese Kleidung das, was mir Zen gibt, aufzubereiten, also ohne es gleich erkennbar zu machen. So wird es allgemeinverständlicher. Ich habe Nicht-Anhaften bereits von meinen Eltern gelernt, das geschieht bereits in einer wohl allgemein gar nicht so seltenen Erziehung zur Bescheidenheit. Aber auf meinem persönlichen Weg hat Zen eben sein Schärflein zur „Erweiterung“ oder „Vertiefung“ bestimmter Eigenschaften beigetragen. Ich erinnere mich z.B., dass ich nach meinem Interesse für die Kampfkunst Konflikten mit Gewalttätigen nicht mehr so ausgewichen bin wie vorher – sowohl die Technik als das Selbstverständnis hatten meinen Handlungsspielraum erweitert, während mein (ansonsten vorbildlicher) Vater sich um Racheakte an seinem Auto Sorgen machte, als ich z.B. mit einer Jugendgang zu tun hatte. Ich fände es einfach nicht redlich, um mal mit der „intellektuellen Integrität“ Metzingers zu kommen, die mir gerade noch in Erinnerung ist, zu verschweigen, von wem ich starke Impulse auch zu konkretem Handeln und nicht nur verändertem Denken oder einer Wortwahl-Neigung (wie „nicht anhaften“) bekam. Diese Impulse kamen vor allem aus dem Zen, auf einer guten und wahrscheinlich entscheidenden Grundlage, die meine Eltern geschaffen hatten. Das Nicht-Anhaften des Zen ist nicht das gleiche wie das meiner Eltern, weswegen ich noch weniger brauche als sie (obwohl ich mir das und diese Einstellung teils nur WEGEN ihnen leisten konnte), darum hat es auch einen eigenen Namen (den meine Eltern nie benutzten) und eine andere Qualität. Und natürlich ein enormeres Potential zum Scheitern.

Kommentar

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..