Der Fall Genpo D. und seine Irrelevanz

Felix Mayer —  26.8.17

M.St.: Dies war ursprünglich ein Kommentar von Felix auf Facebook zum Fall Genpo D. Er posted ihn hier in erweiterter Form. Obwohl Der Fall Sogyal nicht zur Sprache kommt, trifft vieles von dem was Felix sagt auf diesen Fall ebenfalls zu. Man sollte den Text auch vor diesem Hintergrund lesen.

Des Weiteren hebt Felix eine andere Ebene hervor, die in all den Diskussionen um die jüngsten Ereignisse nicht zur Sprache kommt. Das kulturelle und ökonomische Feld in dem sich diese Dinge abspielen. Die guten Buddhisten diskutieren darüber was die schlechten Buddhisten am Buddhismus falsch verstanden haben. Die meisten dieser guten Buddhisten handeln dabei wie in einem luftleeren Raum – als ob es die Gesellschaft nicht gäbe, in der das alles passiert.


Es wäre echt interessant mitzuerleben, was in dieser Hakuin-Gemeinschaft gerade abgeht. Überrascht gar nicht, dass da lange nichts kam. Für manche stirbt da vielleicht gerade ein Heiliger. In der vollen Tragweite dieses Begriffs.

Dementsprechend auch logisch, dass die anderen Gruppen zero Problem haben sich von dem Typ zu distanzieren oder „Kritik“ zu üben (echte Kritik wäre natürlich die Frage, wie dann jemand überhaupt noch als ethische Autorität gelten kann, wenn die Selektionsmechanismen offensichtlich nicht sicher funktionieren). Genpo war eben der Hausheilige der Hakuin-Sekte, die kannten ihn persönlich, waren unter dem Bann seines Charismas, deshalb jetzt Schock und Stille. Für den grossbuddhistischen Apparat ist er hingegen nur ein Fremdkörper, den man einfach ausscheidet, um das eigene Image so weit wie möglich unbefleckt zu lassen.

(Aus sozialdarwinistisch-zynischer Sicht wäre die optimale Strategie der DBU, wie eigentlich jedes Buddhisten, sich so weit wie möglich von Genpo oder sogar Hakuin zu distanzieren. Aus dieser Sicht lesen sich die meisten Statements zu dem Fall daher  vielleicht angemessen aber auch nicht wirklich respektabel. Respektabel wäre es für mich, sich vielleicht gerade nicht zu distanzieren, der Möglichkeit ins Auge zu sehen dass das auch durchaus im eigenen Sangha passieren hätte können, und dass die Massnahmen und Aufarbeitung die jetzt von Hakuin eingefordert werden, vielleicht für die Buddha-Szene im grossen angemessen wären, sollte es wirklich um zukünftige Verhinderung gehen.)

Es verblüfft mich selbst, wie sehr die ganzen Statements sich zu vergleichbaren katholischen Skandalen lesen. Diese DBU-Typen haben wirklich total diesen Funktionärs-/Bischofs-Charakter. Ob Gott oder Buddha oder Mohammed in der Kiste steckt ist wohl völlig austauschbar. Die Typen die ihn vertreten, sind alle die gleichen und wohl primär dadurch ausgezeichnet, dass man so einen Polit-Sprech beherrscht. Die Aufrechterhaltung des oberflächlichen Alleinstellungsmerkmals, in dem Fall dieses pseudospirituellen Sozpäd/Wellness-Images, wie es normal von Buddhismus aktuell etc. transportiert wird, tritt in der Survival-Situation zurück und es zeigt sich die Gleichheit, die ganz normale Pfaffenhaftigkeit des Betriebes.

Dementsprechend eigentlich logisch, dass das die grössere Gesellschaft, also sichtbar vor allem die Presse, auch genau so reagiert. Es überrascht hier natürlich niemanden wirklich, dass es jetzt auch mal ein Buddhist war. Hier kann man vielleicht ganz gut die Stärke des restlichen buddhistischen Charismas in der breiteren Wahrnehmung ablesen. Nach meiner Wahrnehmung sowohl des generellen Tonfalls wie auch des Faktes, dass der Fall primär in der Augsburger Lokalpresse behandelt wird, liegt der Buddha wohl also genauso tot/röchelnd am Boden wie der liebe Gott.

Interessant auch, dass der Apparat wirklich im Stil der 1950er reagiert. Wirklich beängstigend wäre eher, was zumindest vorstellbar wäre, dass Buddhismus ein Subjekt ist, dem man zumindest partiell zutraute, dass es spätkapitalistisch „dynamisch“ reagiert, dass er es also schafft das liberale Sozpäd-Image der Buddhismus aktuell aufrecht zu erhalten, im Extremfall postmoderne Taktiken zu verwenden, um vielleicht sogar aus der Situation zu profitieren. In Amerika wäre das sogar noch denkbarer, die Buddhist Geeks und diese Tricycle-Leute könnten den Fall verwenden, um das Konkurrenzmodell als „hierarchisch-traditionell“ zu kritisieren und ihre eigenen „anarchistischen“ Brand zu pushen, in dem die ethische Autorität ist, wer wirklich am meisten Klicks auf Kickstarter bekommt.

Latestagecapitalism ist, wenn solche altmodischen Machtstrukturen, wie sie hier noch Genpo getragen haben –  Autoritätshörigkeit, Klüngelei, Verschwiegenheit – mit voller Bereitschaft fallen gelassen werden können und macht- und statusgeile Leute kommen trotzdem voll auf ihre Kosten.

Die späte Stellungnahme der Hakuin-Sekte liest sich für mich eigentlich sogar in dieser Richtung:

„Wir werden alles tun, um Missbrauch in jeglicher Form in Zukunft zu verhindern. Wir müssen uns selbst anschauen, die Strukturen des Vereins beleuchten, Machtverhältnisse analysieren und Verantwortung übernehmen. Nach heutigen Erkenntnissen besteht ein weitaus höheres Risiko für sexuelle Gewalt in autoritären und hierarchisch strukturierten Institutionen sowie in Einrichtungen, die keine Präventionsstrukturen und kein Beschwerdemanagement haben (extern). Wir arbeiten daran verbindliche Verfahrensweisen im Umgang mit jeglicher Form von Gewalt und Präventionsmaßnahmen zu implementieren.“

Das liest sich für mich typisch juristisch-sozialpädagogisch, also postmodern. Genau so würde es auch klingen, wenn es eine kontemporäre Marketing Agentur zur maximalen Schadensbekämpfung geschrieben hätte. Das bedeutet aber auch, dass solche Statements eigentlich weitgehend bedeutungslos sind. Egal was der Skandal ist, es gibt ein optimal konstruiertes Statement, das alle hören wollen und das bekommt man halt dann.

Hakuins Statements ist jetzt natürlich noch recht zahm gegenüber der zynischen Gedankenspielerei oben, aber man kann daran doch ablesen, dass für den Buddhismus solche Skandale wie für den Katholizismus eigentlich kein Problem darstellen. Es ist so tot wie es ist und so ein Skandal ist eigentlich kein Skandal, es wirkt nicht entlarvend, man erwartet nicht, dass dadurch jetzt wirklich in grösserem Maße Leute ihren Bezug zu Buddhismus in Frage stellen.

All das liest sich hier vielleicht ein wenig seltsam, Kritik an allem und jedem ausser dem Täter. Dazu kann ich nur sagen, dass an der Figur Genpo D. für mich einerseits nichts Überraschendes ist, er auf der anderen Seite mir aber auch absolut fremd ist. Er wirkt wie ein archaisches Relikt aus einem Charles Dickens Roman oder einem Dogma 95 Film. Man kann ihn klischeehaft abhandeln wie irgend eine Figur im Germanistik-Studium und wer wirklich noch in einer Blase lebt, in der teerschwarzer Sumpf solche Gestalten gebiert, für den ist die Auseinandersetzung mit dem Fall vielleicht wichtig,  aber das ist nicht meine Blase, nicht meine Welt. Meine Welt ist weiss-glitzernd und offen und transparent, eine Welt in der unter Stadionbeleuchtung die volle Menschenverachtung einfach weiter geht, und niemand braucht Angst vor Kritik haben, weil es reicht zur Abwehr bloss ein Achselzucken.

Authentische Religion, sei es buddhistisch oder christlich, wie eigentlich auch Philosophie zeichnet sich in meinem Weltbild dadurch aus, dass man nicht mit dem Finger auf irgend einen Freak, wie verkommen auch immer, zeigt, sondern den Blick auf die allumfassende Korruption lenkt, inklusive und natürlich besonders der eigenen. Was sagt es über einen Menschen aus, wenn das Einzige worüber er sich noch wirklich moralisch echauffieren kann ein Kinderschänder ist? Wenn das das Einzige ist was noch übrig bleibt nachdem Fressen und Gefressenwerden selbstverständlich allgemeiner Lebensstil ist?

Zusammenfassend kann man also sagen, dass es auf den ersten Blick ermutigend erscheinen mag, wenn in der Folge des Schocks hier ein paar Gehirne ins Rattern kommen, aber selbst im realistischen Optimalfall wäre der Schritt der hier geschieht nur der vom Vorvorgestern ins Vorgestern. Ich muss mir hier widersprechen, denn das oben zitierte Statement der Hakuin liest sich wirklich intuitiv postmodern, und in seiner Bedeutungslosigkeit ist es vielleicht auch das, aber bei genauerer, inhaltlicher Betrachtung beinhaltet es eigentlich erstaunlich präzise genau den Schritt von Prämoderne zu Moderne: Vom Vertrauen in gottgegebene Autorität hin zu Machtkontrolle durch juristische Kontrollorgane.

„Es kann keine Reform des X-Buddhismus geben“ hiess es auf diesem Blog wiederholt, und man muss das hier vielleicht etwas umdenken, in etwa: Reformation passiert so oder so, aber sie ist bedeutungslos. Sie ist nur der verzweifelte Anschluss des Ewiggestrigen an eine längst vorangeschrittene Kultur. Alternativ könnte man sich auch vorstellen, dass der institutionalisierte Buddhismus tatsächlich den Schritt ins nächste Jahrtausend schafft,  sich eben wandelt zu einem wichtigeren Teil der dystopischen Seelenkontrollmaschine.  Halte ich aber für eher unwahrscheinlich.

Ich glaube weiterhin an die Grossartigkeit diverser asiatischer Philosophien, wie auch der  kontinentalen, westlichen Philosophie des letzten Jahrhunderts, oder auch an die poetische Wahrheit eines radikal interpretierten Christentums.

Die soziologischen Mechanismen die all diese Schulen in ihrer institutionalisierten Form zu einer traurigen Farce verkümmern lässt, ist hier von höchstem Interesse und, wohl nicht zufällig, stark im Blickwinkel eben jener westlichen Philosophie des letzten Jahrhunderts.

Interesse bedeutet aber nicht Obsession in dem Sinne, dass man schnell in eine Schiene gerät, zu meinen, dass am institutionalisiertem Buddhismus noch irgend etwas zu retten sei, wenn man es nur gut genug verstünde. Ich schliesse mich diesem Blog und allen Anderen ähnlicher  Meinung an, dass man da auch genauso gut versuchen könnte das ZDF zu einer positiven gesellschaftliche Strömung zu reformieren. Es macht einfach keinen Sinn.

Als nicht institutionalisierten Personen hier am Boden bleibt uns nichts anders übrig als alle Hoffnung auf jegliche Establishments aufzugeben und irgendwie zu versuchen unser eigenes Ding hochzuziehen, selbst wenn das mit mehr und quälenderem Aufwand verbunden wäre, als zu beten, dass einer mächtigen aber korrupten Maschine vielleicht doch plötzlich der heilige Geist einfährt. Und selbst wenn das bedeutete, dass man sich dann selber auch etwas institutionalisieren müsste, um dann vielleicht am Schluss genauso zu enden wie alle anderen auch.  Aber es gibt denke ich so ein paar Sachen die noch nicht versucht wurden und die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Und egal wie alles ausgeht, eine coole Action wäre es wohl so oder so. In spiritu ludi!