Kürzlich wurde ich in einer Diskussion aufgefordert, zu „meiner“ Philosophie und zu „meinen Ideengebern“ Glenn Wallis und François Laruelle etwas zu sagen.
Die Ideengeber die mich und die Gedanken auf diesem Block beeinflussen, gehen über die beiden genannten weit hinaus. Das Folgende soll eine Lücke füllen, die dadurch entsteht, dass man dieses Blog anscheinend zum Teil immer noch in einem Kontinuum mit dem Projekt Spekulativer Non-Buddhismus sieht, wo dieses doch nicht mehr existiert. Dieses Projekt ist schon lange tot und ich habe mich von ihm distanziert, da es inhaltliche Mängel aufweist und autoritäre Strukturen entwickelte. Allerdings habe ich dieses bisher nie angesprochen.
Zu meinem Background ein paar Worte um „meine“ Philosophie etwas zu verdeutlichen: Als ich 2004 began mich ernsthaft mit Buddhismus zu befassen hatte ich viele Jahre Berufserfahrung im Finanzsektor hinter mir. Ich war Trader, Spekulant, Portfolioverwalter und Handelssystementwickler. Ich kann für die Zeit vor dieser Arbeit aus einigen Erinnerungen schliessen, dass ich dem Buddhismus relativ naiv gegenüberstand. Die Zeit als jemand der an der Börse mit Preisdifferenzen Geld verdienen muss, hat mich den Auswüchsen menschlicher Kreativität gegenüber sehr skeptisch werden lassen und mir diese Naivität zumindest teilweise genommen.
An der Börse, so könnte man kurz zusammenfassen, gibt es drei Methoden Geld zu verdienen: 1. als Bank, Broker o.ä., d.h. man verdient Geld über Kommission, Courtage und über das Anbieten von Marktzugang. 2. man verschafft sich Marktzugang und verdient Geld über Preisdifferenzen und/oder Renditen und Dividenden. 3. man hat beides nicht, weder Marktzugang noch die Fähigkeit und das Wissen Preisdifferenzen zu nutzen, dann entwickelt man fantasievolle Handelssysteme, die zwar nicht funktionieren, die sich aber an gutgläubigen Menschen verkaufen lassen.
Als ich also 2004 zum Buddhismus kam, wusste ich, dass Menschen sich die abstrusesten Ideen andrehen lassen. Akademiker wie Hauptschulabsolventen gleichermaßen – höchstens, dass Erstere ihren Unsinn besser rationalisieren können.
Man ahnt schon was passierte als ich begann Dharmazentren zu besuchen, an Retreats teilzunehmen, mir verschiedenste Lehrer anhörte (und mich mit einigen auch ganz gut anfreundete). Ich erinnere mich an den Germanisten, Teilnehmer eines ‚Retreats‘, der mir allen Ernstes erklärte, der Baum da drüben würde mich ansehen und der mir bedeutete, mein Unglaube diesbezüglich sei einfach „fehlende Einsicht in das was ist“, wobei fortgesetzter Widerspruch von mir ihn schnell ziemlich rappelig machte. Da war der studierte Physiker, mit einem hoch dotierten Job in der Telekommunikationsbranche, mit dem ich ziemlich aneinander geriet, als ich eine kritische Bemerkung zur personalen Reinkarnation machte. Ich dachte, der ist doch studiert, also dem kann man auch mal was zumuten. Nicht gerade gelyncht wurde ich, aber dennoch heftig gemaßregelt, als ich den Dalai Lama als Popstar bezeichnete. Das sei respektlos und auch mein Versuch Popkultur und ihre Mechanismen etwas zu erklären half nicht. Ein deutscher Kagyü-Mönch, mit sechs Jahren Retreat-Erfahrung – was soviel heisst wie: dem widerspricht man nicht – setzte mich vor die Tür, als ich das Ngöndro nicht prinzipiell aber in seiner kulturellen Ausprägung in Frage stellte.
Neben den wenigen wirklich guten Leuten die ich traf, war für mich schnell klar, dass die meisten sich jeden Mist verkaufen lassen. Das ist die Parallelität zur Börse. Es ist ein gut erforschtes Phänomen, dass Menschen Zufallsmuster, die ihnen präsentiert werde – eine Preiszeitreihe als Diagramm ist vereinfacht gesagt ein solches – als sinnvolle und daher aussagefähige Zeichen deuten. Die Elliott-Wellen-Theorie z.B. ist eine solche Deutung. Die Deutung von Zeichen wie Kleidung, Ritual, die Deutung der Erzählung vom Wissenden, seiner Texte usw. im Buddhismus dürften einen vergleichbaren Effekt haben. Ich habe u.a. in Der Zauberer darüber geschrieben.
Fast forward to 2011. Ich hatte schon lange begonnen Heidegger, Foucault, Derrida, Bertrand Stiegler und andere solche Kaliber zu lesen. Nicht gegen den Buddhismus wie ich ihn verstand, sondern mit ihm. Der grosse Tibetologe und Dzogchenübersetzter bzw. -deuter Herbert Guenther muss hier als jemand genannt werden, der solche Übergänge möglich machte. Mir schien die Destruierung, Dekonstruktion, die Ausleuchtung unserer Episteme usw. unmittelbar kompatibel mit Nagarjuna MMK 24:18. Man vergleiche hierzu einmal Derridas Kritik metaphysischer Systeme.
Wenn man Schopenhauer als den ersten grossen deutschsprachigen Buddhismusinterpreten setzt, sieht man gewissermaßen zwei buddhistische Linien sich von ihm aus entwickeln: Die von Karl-Eugen Neumann und die von Friedrich Nitzsche. Die pseudobuddhistische und die Ohne Buddhismus. Neumanns Linie ist die, deren Blüte, die sich seit den 1960er Jahren entwickelt hat, wir derzeit dahin welken sehen. Es ist der Buddhismus von dem ich 2010/11 endgültig die Nase voll hatte. Selbst die besten Lehrer in dieser Linie sehen sich durch ihre Schüler einer Erwartungshaltung ausgesetzt, die sie nur unerfüllt lassen, wenn sie riskieren wollen, dass sich ihre Sangha in Luft auflöst. Die Erwartung die da im Raum steht ist immer wieder das christliche Erlösungsideal. Die Linie Ohne Buddhismus war definitiv diejenige, der ich zu folgen hatte.
Enter Spekulativer Non-Buddhismus. Als ich im Sommer 2011 erstmals die Website von Glenn Wallis besuchte, war ich begeistert. Hier war jemand der dem Pseudo-Buddhismus kritisch gegenüberstand, moderne Philosophen las und dazu einlud, sich mit ihm zusammen spekulativ und spielerisch darüber Gedanken zu machen, was passieren würde, wenn man folgende Frage stellt:
Was bleibt vom Buddhismus übrig, wenn man ihn all seiner transzendentalen Repräsentation beraubt? (Quelle)
Das war der zentrale Punkt. Und nun darüber, auf einem Blog, und, wie sich schnell herausstellte, mit ein paar Gleichgesinnten aus aller Welt – in spiritu ludi, wie Wallis betonte – zu spekulieren, war plötzlich eine sehr vielversprechende Aussicht.
Was daraus wurde, ist schnell erzählt. Innerhalb ca. eines Jahres bildete sich auf dem Blog eine stark zentralisierte und autoritäre Struktur heraus. Zentralisiert auf die Auffassungen des Marxisten Tom Pepper, die dieser autoritär verteidigte, charakterisiert durch eine Ideologieauffassung nach Louis Althusser, kombiniert mit einigen psychoanalytischen Versatzstücken nach Lacan. Hinzu kam der völlige Ausschluss bestimmter Felder. Völlig heisst, nicht einmal ein Pro-und-Contra durfte diskutiert werden. Einzig die völlig Verurteilung war erlaubt. Das betraf z.B. Themen der sozusagen klassischen Mystik, also alles was mit Meditation, Gebet, Yoga etc. zu tun hat und bei denen man durchaus diskutieren könnte, welche Effekte sie denn haben, selbst wenn ein Transzendenzglaube damit verbunden ist. Weiter war es völlig ausgeschlossen Psychotherapie im Kontrast zur Psychoanalyse zu diskutieren. Themen wie Kognitionswissenschaften oder Evolutionspsychologie durften ebenfalls nicht behandelt werden, es sei denn man bezeichnete Leute wie Thomas Metzinger oder Pascal Boyer gleich als faschistoid. Wer sich ein Bild dieser Form der Diskussion machen will, kann den Thread zu Peppers Text Metzinger’s Atman and Capitalist Ideology lesen. Der Text zeigt, dass Pepper auch nicht davor zurückschreckte, Zitate völlig aus dem Kontext zu nehmen und umzuinterpretieren, um damit seine private Ideologie zu behaupten.
War man bei Pepper noch wohl gelitten, wenn man nur gelegentlich vorsichtig Einspruch erhob, wurde man schlicht zum kapitalistisch-faschistoiden Idioten gestempelt, wenn man offen in Dissidenz zu ihm ging. Dieses Abstempeln geschah dabei in einer brutalen und brachialen Sprache, die Frauen gegenüber auch misogyne Züge annahm. Im scharfen Kontrast das alles übrigens zu Peppers konkreter Erscheinung beim direkten Zusammentreffen. Da war er eine bleiche, etwas schwammig wirkende, leise sprechende, sehr zurückhaltende und schüchtern bzw. unsicher wirkende Erscheinung.
Mit in spiritu ludi war das also nix. Die Laruelle’sche Non-Philosophie geriet im Prinzip sofort aus dem Visier und wurde bis heute nicht weiter ausgewertet. Immerhin hatte sich ja Wallis auf sie berufen. Was tatsächlich geschah, war die Etablierung eines autoritär-marxistischen Klubs, der die Psychoanalyse dazu nutze, Dissidenten damit abzukanzeln, dass man ihnen vorwarf mit Pepper ein Vaterproblem zu haben. So Wallis in einer Diskussion. Das war eine Selbstimmunisierung die durchaus auch in einem Kult zu finden ist.
Das war dann auch etwa im Mai 2013 der Punkt an dem das Projekt endgültig zerbrach. Wallis hatte Pepper immer schalten und walten lassen ohne einzugreifen. Im Prinzip bedeutete das, dass Wallis Pepper als Meinungsführer ohne Wenn-und-Aber akzeptierte. Damit hat er allerdings sein eigenes Konzept der spielerischen Spekulation verraten – und damit hat er das Projekt letztlich auch kaputt gemacht.
Der Gipfel der Absurdität wurde erreicht, als Wallis, uns Dissidenten, die Pepper nicht als Führer akzeptierten, diesen als den neuen Rinzai empfahl, als einen neuen Bodhidharma. Halb im Scherz zwar, aber zur anderen Hälfte mit der Aufforderung, Pepper nun endlich als maßgebliche Autorität zu akzeptieren.
Ich persönlich war einem Kult nie näher. Vielleicht ist es das was einen sich in sowas verirren lässt: Man geht voller Enthusiasmus in eine Sache rein von der man glaubt, dass sie einen emanzipativ weiter bringen würde, nur um irgendwann festzustellen, wenn man Glück hat, dass man sich doch wieder einer ordinären Autorität unterwerfen soll, die keinerlei abweichenden Gedanken zulässt.
Das Projekt im ganzen war deswegen nicht sinnlos. Es hat sicher zu einigem Nachdenken bei den etablierten Pseudobuddhisten geführt. Auch war die oft scharfe Kritik an ihren Praktiken, an ihrem Glauben an den originalen Buddha, an ihrer Scheinheiligkeit, ihrer passiven Aggressivität, ihrem Totschweigen jeder Kritik, ihrem Unverständnis überhaupt davon, was Kritik bedeutet, ihrer Hörigkeit usw. usv. sicher berechtigt. Auch nehmen die Medien jetzt allmählich Abschied von einem kindischen Buddhismusbild, das geprägt ist von Leuten wie z.B. Robert Thurman, die Buddhismus als Tor zum ewigen Leben darstellen, ohne dabei zu sehen, wie mit solchen Interpretationen christliche Muster im neuen Gewand daher gewandelt kommen. Die Richtung war also zum Teil schon richtig.
Inhaltlich muss man dem Projekt allerdings weitere Vorwürfe machen. Das gewalttätige Verhalten Peppers ist eine Sache der Form, die ganz bestimmte Inhalte nicht zuliess. Das ist ein Aspekt der Geschichte. Es gibt andere, die im Projekt selten diskutiert wurden, die aber einige Kritiker von aussen gesehen haben.
Glenn Wallis wirft mit dem Begriff X-Buddhismus so ziemlich alles in einen Topf, was überhaupt jemals unter dem Label Buddhismus aufgetaucht ist. Das betrifft nicht nur seine zahlreichen historischen Erscheinungen und seine Ausprägungen im Westen seit dem 19. Jahrhundert, sondern es betrifft auch die Buddhismusforschung. Diese wurde so gut wie nie behandelt und in Hinsicht auf das vermeintliche Ziel des Projektes fruchtbar gemacht. Dieses Ziel bzw. den Prozess der von Wallis vielleicht einmal angedacht war liest sich wie folgt:
Der spekulative Non-Buddhismus ist eine Art des Denkens und des Sehens, die den Buddhismus als Rohmaterial benutzt. Es ist ein Gedankenexperiment […]. (Quelle)
Wenn man vom Pseudobuddhismus absieht – von dem was sich gerade mit dem spektakulären Auffliegen eines Sogyal aus Lakar in seiner ganzen Verworrenheit, gedanklichen Armut und Verherrlichung soziopathischer Charismatiker zeigt –, dann fände sich in der Buddhismusforschung ein Fülle von „Rohmaterial“ für das Gedankenexperiment Non-Buddhismus. Aber genau wie das Non von Laruelle nie entwickelt wurde, so wenig wurde in dieser Richtung etwas gemacht. Weder wurden Versuche zugelassen, verschiedene historische und zeitgenössische Richtungen zu differenzieren, noch wurde je, über wenige Versuche hinaus, versucht, Buddhismus aus einer Sicht fassbar zu machen, die ihn durchaus als äusserst radikal erscheinen lassen kann.
Der Begriff X-Buddhismus ist also ein allgemeiner und undifferenzierter Angriff, der zwar manches zu Recht trifft, anderes Nützliche aber bedauerlicher Weise weg kartätscht. Der Begriff Non-Buddhimus wurde nie entwickelt und sein Schemen ist auf Grund seiner Kontaminierung mit der Entwicklung des Projektes in eine autoritäre Struktur verbrannt.
Nur ganz selten spricht Wallis an, was „Rohmaterial“ sein könnte. Im Stichwort Gotamischer Kalkül zum Beispiel:
Das Beispiel eines klassisch-buddhistischen Kalküls mag folgendermaßen aussehen: Ernüchterung, anzestrale Anamnesis, Verschwinden, Symbolische Identität, Nullheit, konzeptionelle Wucherung, Kontingenz, Welt, Oberfläche, Klarheit, Lösen-Erlöschen (nibbida, sati, anicca, anattā, suññatā, papañca, paticcasamuppāda, loka, sabba, paññā, nibbāna). Diese grundlegenden Konzepte sind brauchbare Kandidaten für einen gotamischen Kalkül, denn sie sind wohl die sine qua non des klassischen Buddhismus […].
Aber selbst in diesem Artikel von Wallis‘ Heuristik findet man die seltsame Vermischung dieser potenten Elemente eines vielleicht möglichen neuen gotamischen Kalküls mit dem allgemein abwertenden Begriff des X-Buddhismus…
Zusammenfassend: Das Projekt krankte einerseits an konzeptionellen Schwächen, die aber hätte aufgearbeitet werden können. Dies geschah jedoch nicht, da wir uns einerseits fast ausschliesslich auf die Kritik des vulgären Esoterikbuddhismus konzentrierten und andererseits uns dann aber selbst in die Luft jagten, weil es wegen der Entwicklung starker autoritärer Tendenzen in der Gruppe zu zu grossen Spannungen kam.
Die Kritik an so manchen Erscheinungen des Buddhismus im Westen war allerdings gut und richtig. Eine böse Ironie ist natürlich, dass das Projekt die autoritäre Haltung, die es vehement verurteilte, selbst entwickelte. Im Lichte der derzeitigen Erscheinungen aber – Rassist Nydahl, Kinderschänder Döring, Sogyal Lakar – wird unsere Kritik gerechtfertigt. Gerade im Fall Sogyal zeigt sich, dass ein Blender, ein Choleriker, ein PappLama, ein Verschwender von Spendengeldern gutmeinender aber naiver Menschen, es mit einem Buddhismus-Branding, das nichts als heiße Luft verkauft, zu einem lukrativen Weltkonzern bringen kann, der Null und Nichts, aber auch gar nichts, mit dem Anspruch eines ernsthaften Buddhismus zu tun hat. Die Kritik an solchen Erscheinungen und ihren Unterstützern in Form von Totschweige- und Zensur-Institutionen sollte unbedingt jetzt erst recht fortgesetzt werden.
In diesem Sinne also mag der Spekulative Non-Buddhismus ein wichtiger Ideengeber (gewesen) sein. Im Hinblick auf einen ernsthaften Buddhismus, der sich das „Rohmaterial“ zu nutze machen würde das sich uns bietet, ist er gescheitert.
Die prinzipielle Idee, um die es geht, ist antiautoritär und skeptisch. Antiautoritär gegen jede Autorität die sich nicht dem Argument stellt. Skeptisch im Sinne Nagarjunas, der auch dem letzten Krümel an Essenz den Garaus machte und es trotzdem schafft, auf dieser Bodenlosigkeit eine Ethik zu gründen.