Realität und Traum

M. Steingass —  1.2.12 — 5 Kommentare

Der Dalai Lama und die Wissenschaft, geht das?

Stoky hat auf seinem Blog „Säkularer Buddhismus“ einen kurzen Text mit einem bekannten Zitat des Dalai Lama gepostet. In diesem Zitat spricht der Dalai Lama davon, das er gerne bereit ist buddhistische Behauptungen zu revidieren, wenn die wissenschaftliche Erkenntnis das erfordert. Ist er dazu wirklich bereit? Geht es im heutigen Normalbuddhismus wirklich um „Verstehen“ statt um „Glauben“?

Der Dalai Lama verspricht: „My confidence in venturing into science lies in my basic belief that as in science so in Buddhism, understanding the nature of reality is pursued by means of critical investigation: if scientific analysis were conclusively to demonstrate certain claims in Buddhism to be false, then we must accept the findings of science and abandon those claims.

Ich hatte auch mal den Eindruck, daß es im Buddhismus unserer Zeit um „Verstehen“, statt um „Glauben“ geht. Ich muß aber sagen, daß ich nach meinem Einstieg in den Buddhismus recht schnell zu der Auffassung kommen musste, daß wirkliches „Verstehen“ (meistens) nicht erwünscht ist. Meine Sichtweise ist natürlich eingeschränkt, ich bin zwar ziemlich herumgekommen in Zirkeln des Tibetischen Buddhismus, aber ich kann wenig über andere Buddhismen sagen.

Natürlich könnte man versuchen den „Buddhismus unserer Zeit“ genauer beschreiben – Was ist das? – aber es wird nicht leicht sein eine umfassende Beschreibung dieses Phänomens zu leisten. Selbst wenn man nur die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg nimmt wird es ein Unterfangen das einen polyglotten Universalhistoriker erfordert, der auch noch eine Menge an Spezialgebieten abdeckt um diese kaum übersehbare Landschaft zu beschreiben. Die Dharma Bums in den Fünfzigern, Allen Ginsberg auf dem Weg nach Indien in den Sechzigern, der Dalai Lama in Europa und Amerika in den Siebzigern und weitere dreißig Jahre an deren Endpunkt, jetzt, ein Buddhismus steht der beinahe vollständig von einer Konsumideologie absorbiert wird und in weiten Bereichen Erwachen einfach ,produzieren‘ will. Kaum sind Ansätze zu sehen die ein Verständnis dafür haben wie unserer Kultur uns formt – und zwar nicht nur einfach zwanghaft von außen, wie in den alten Dystopien von der „Schönen neuen Welt“ oder damals „1984“, sondern in einer Art die uns geradezu erzeugt, von innen, so daß wir nicht sehen können was die Alternativen sein könnten weil die Alternativen aus uns kommen müßten, von uns entwickelt  werden müßten, während wir aber immer nur auf ein weiteres Produkt hoffen können, weil nur das gedacht werden kann.

Der Eindruck der sich heute ergibt ist der, daß der Buddhismus sich immer in einem Kreis bewegt wenn es darum geht sich mit der Realität auseinander zu setzen. Grundsätzlich wird immer ausgehend von einem so genannten  Dharma argumentiert, der die Voraussetzung für die Analyse der Welt liefert, um über diese Analyse dann eine Beurteilung der Realität zu liefern. Es ist immer ein schließen in Zirkeln.

Der Buddhist müsste zeigen, daß er den „Dharma“ wirklich verlässt und sich sämtlichen Widersprüchen öffnet um zu zeigen das er „verstehen“ will und nicht „glauben“.

In dieser Hinsicht ist das Zitat des Dalai Lama wichtig. Es macht den Eindruck, als wäre der Dalai Lama wirklich offen für die Wissenschaften und eine eventuelle Revision buddhistischer Glaubenssätze. Ist dem aber wirklich so?

Hier zwei Beispiele die dazu anregen könnten den Blick auf einen Buddhismus zu schärfen, der sich zwar aufgeschlossen gibt, sich dann aber doch sträubt wenn es um die Realität geht.

1.  Tom Pepper hat kürzlich auf der Website „Speculative Non-Buddhism“ das Buch „Meditations of a Buddhist Skeptic“ von Alan Wallace analysiert. Alan Wallace ist vermutlich einer der einflussreichsten Buddhisten in Amerika, der sowohl den gläubigen Buddhisten wie auch den wissenschaftlich Interessierten anspricht. Von daher scheint er perfekt geeignet das wissenschaftsfreundliche Weltbild des Dalai Lama zu verkörpern.  Tom Pepper kommt allerdings zu einem ganz anderen Schluss.

Er schreibt: „Wallace hängt einer Auffassung an die wir die Nur-Geist-Schule der Physik nennen könnten. Das erlaubt ihm »die Möglichkeit eines nichtphysischen Einflusses auf die materielle Welt zu denken«, womit er eine radikale Dualität zwischen einem Atman und dem gewöhnlichen Samsara produziert, die Einfluss nur in eine Richtung erlaubt“ (1) – nämlich nur vom Geist auf die Materie!

D.h. Wallace entwirft, als Wissenschaftler der er ja auch ist, eine (scheinbar) modernes, wissenschaftlich begründetes Weltbild das im Prinzip davon ausgeht, daß die Welt vom Geist erschaffen ist und daß außer diesem Geist nichts ist.

Als höchst wichtiger Einfluss im engeren Kreis um den Dalai Lama, erlaubt er ihm damit die Wissenschaften als Konstrukt des Geistes zu betrachten, womit er sich gegen jedes Argument immunisiert welches fordert, der Buddhismus solle sich doch modernen wissenschaftlichen Erkenntnissen anpassen. Das Zitat des Dalai Lama ist also tatsächlich unter diesen Vorzeichen zu sehen und zu relativieren.

Es lohnt sich Peppers Analyse genau zu lesen um das Argument wirklich nach vollziehen zu können.

2. In dem Buch aus dem der vom Dalai Lama zitierte Text stammt, „Die Welt in einem einzigen Atom“, gibt es eine Stelle die illustriert, wie der Dalai Lama selbst vorgeht, wenn er moderne Wissenschaft und tibetischen Buddhismus verbindet. Im Kapitel „Meine Begegnung mit der Wissenschaft“ bewegt er sich in einer kaum nachvollziehbaren Argumentation von Karl Poppers Falsifikationismus über den tibetischen Gelehrten des 14. Jhdts. Tsongkhapa zu der Auffassung das die bisher nicht erfolgte Entdeckung außerirdischen Lebens den gleichen erkenntnistheoretischen Status hat, wie die bisher nicht bewiesene Reinkarnation. Er schliesst den entsprechenden Abschnitt mit folgendem Vergleich ab: „Obwohl die Wissenschaft bisher nicht zweifelsfrei nachweisen konnte, dass Wesen wiedergeboren werden, bedeutet das noch lange nicht, dass es nicht doch so sein könnte. Zwar hat die Wissenschaft bisher noch keine Leben außerhalb unseres Planeten entdeckt, doch beweist das noch lange nicht die Nichtexistenz anderer Lebewesen im Kosmos.“ (2)

Zum einen übergeht er das Falsifikationskriterium Poppers in Bezug auf die Reinkarnationstheorie, das er kurz zuvor eingeführt hat – wobei allerdings der Abschnitt sowieso derart formuliert ist, dass gar nicht klar wird, ob er es überhaupt anwenden will.

Zum anderen ist der Vergleich einfach ein Trick. Er suggeriert eine gleichwertige Ausgangslage für beide Fragen – Reinkarnation und außerirdisches Leben – obwohl diese so nicht gegeben ist. Vom Leben wissen wir, daß es existiert und wir können über naturwissenschaftliches Wissen eine rationale Kalkulation aufmachen wie wahrscheinlich extraterrestrisches Leben ist. Von der Reinkarnation ist nicht bekannt, daß sie existiert. Es handelt sich bei dieser ,Theorie‘, höflich gesagt, bestenfalls um eine Vermutung und man müsste erstmal eine stichhaltige, d.h. falsifizierbare, Theorie über ihre Existenz aufstellen, bevor man daran geht sie wie die mögliche Existenz der Außerirdischen behandeln zu wollen. Der Unterschied ist, ob man von etwas bekanntem begründet auf etwas nicht bekanntes schließen kann, oder von einer blossen Vermutung auf deren Richtigkeit.

Der Vergleich spielt aber auch auf der psychologischen Ebene mit dem Leser. Er impliziert, daß die Wissenschaftlichkeit und Rationalität die bei der Vermutung über Außerirdischen wichtig ist, übertragbar ist auf die Beweismöglichkeit der Reinkarnation, die gänzlich dem Bereich des Glaubens angehört.

Da der tibetische Buddhismus von der Reinkarnation als Tatsache ausgeht, mag es für den Dalai Lama richtig sein so zu argumentieren. Er kann aber nicht eine religiöse Theorie mit einer naturwissenschaftlichen vergleichen. Genau das tut er aber hier. Es ist, wie wenn der Papst die Jungfernzeugung als naturwissenschaftliche Theorie darstellen würde. Beim Papst gäbe es einen Aufschrei, beim Dalai Lama akzeptiert man das wie selbstverständlich.

Muß man also wirklich einen universal gelehrten polyglotten Dharmahistoriker bemühen um das ganze Feld des Buddhismus daraufhin zu prüfen, ob er wirklich Antworten gibt, die hier und heute von Bedeutung sind?

Diese Prüfung können wir auch selber erledigen. „Die Welt“ ist für einen Buddhisten ist immer schon eine erdachte Welt, die schon lange vor ihrem Erscheinung durch die Entscheidung für den Buddhismus geformt ist. Die tatsächliche Welt radikaler Immanenz aber ist eine Welt die von jeglicher halluzinatorischer Repräsentation frei ist. Es gibt nirgendwo das Inventar des Dharma. Im Gegensatz zu seiner narzisstisch verzerrten Wahrnehmung seiner selbst als Hüter der „Dinge wie sie sind“ bezeichnet der Buddhismus nichts. Tatsächlich versperrt er die Sicht auf die Welt. Die transzendenten Halluzinationen des Buddhismus, wie die Reinkarnation im obigen Beispiel, erzeugen eine Lichtspielprojektion auf die Realität, die sie erst zu dem macht, was er in ihr sieht. Die „Leerheit“ von der er spricht wird so aufgefüllt mit Spiegelungen des Dharma. Es entsteht eine Halluzination der Befreiung, die die Leerheit, Offenheit oder radikale Immanenz der Wirklichkeit mit ihrem Erscheinen als Dharma verwechselt. Wenn man den Buddhismus dieser Projektionsmaschine beraubt wird er von allen Human- und Naturwissenschaften sofort überrannt. Die Entscheidung sich auf die Halluzination transzendenter Buddhistischer Weisheit fraglos zu verlassen bedeutet also eine Verdunklung gerade der Welt, die er erleuchten will – indem sie auf alles und jeden ihren dharmischen Traum projiziert. Man muß nur einmal die Prämisse, „den Dharma“, ausschalten: Was sieht man? Menschen aus Fleisch und Blut, Menschen die schlafen, essen, ficken, scheissen, sterben. Die lachen, weinen, fragen und sich täuschen. Der Dalai Lama ohne Dharma, das ist ein Mensch, ein einfacher Mensch. Ein einfacher Mensch, der die Welt ohne Karma erklären könnte, der verstehen würde, das zum Beispiel Systemtheorie, Evolutionstheorie, Biologie, Soziologie, die Philosophie des Geistes, Neurologie und wer weiss noch welche Wissenschaften das Leben des Menschen, sein Warum? Woher? Wohin? einfacher und eleganter, mit ontologischer Sparsamkeit, erklären könnte. Muß man das alles im Detail wissen, wird die Welt deswegen ärmer? Ganz bestimmt nicht. Im Gegenteil, man könnte sich von seiner schuldbeladenen altchristlichen Gestalt im neubuddhistischen Gewand befreien und tatsächlich mehr sehen. Wir könnten, wenn wir die Strukturen die den Buddhismus konstituieren stilllegen, wenn wir seinen kosmischen Vollkommenheitsanspruch zum schweigen bringen, frei sein die Aussicht zu geniessen. (3)

(1) Tom Pepper; Atman, Aporia and Atomism; S. 3 f. Meine Übersetzung.

(2) Dalai Lama; Die Welt in einem einzigen Atom; S. 45 f.

(3) Teile des letzten Absatzes sind Paraphrasen aus: Glenn Wallis; Nascent Speculative Non-Buddhism; vgl. dort S. 9 und 11.

4.2. Titel geändert, Untertitel eingefügt.

5 Antworten zu Realität und Traum

  1. 

    Danke für den interessanten Kommentar dazu. Ich werde noch etwas nachdenken müssen und auch das Buch des Dalai Lama erst noch lesen müssen bevor ich mir eine abschließende Meinung dazu bilde.

    Eine wichtige Beobachtung, die ich schon jetzt herausgelesen habe und die mir bei anderen Religionen auch oft auffällt, ist die, dass Religionen oft dort vereinfachen wo es ihnen gerade in den Kram passt.

    In der Religion wird aus verschiedenen Gründen oft sehr unpräzise argumentiert. Das macht aus meiner Sicht sehr viel Sinn, aber ist natürlich völlig illegitim sobald man über Wissenschaft redet. Ich denke es ist sehr wichtig hier klar zu trennen. Zum Schutz der Wissenschaft und zum Schutz der Religion (z.B. vor falschen Tatsachenbehauptungen). Schonmal Danke dafür.

  2. 

    Gut, gut, gut …

  3. 

    Hi Mat – interesting Dalai critique. I came to read here on Muho’s recommendation, nice to see some more reasonable Buddhism. Sadly can only view this via proxies – not easy. What do you think about the critique I attempted here:
    http://www.science20.com/alpha_meme/tibet_and_buddhism_stay_liberated-86473

  4. 

    Du schreibst: „Der Buddhist müsste zeigen, daß er den „Dharma“ wirklich verlässt und sich sämtlichen Widersprüchen öffnet um zu zeigen das er „verstehen“ will und nicht „glauben“.“

    Genau das ist mein Problem. Es wird weniger auf das Erleben/Beobachten/Nachdenken/Hinterfragen geachtet, sondern vielmehr dem Lesestoff den man vor sich hat geglaubt.

    Für mich bedeutet Buddhismus sich im Alltag mit den Dingen die da sind, auseinander zu setzten. Das können banale Dinge sein, oder auch Gedankengebäude die man mit sich herum schleppt. Wenn du das nicht lösen kannst, wie willst du dann den Buddhismus verstehen lernen.

    Nicht das Dharma bestimmt den Menschen, sondern der Alltag das Dharma.
    Natürlich gibt es in den Silas Regeln die einen tieferen Einblick in den Buddhismus verlangen. Aber wir können doch nur unser Leben verstehen lernen, wenn wir anfangen es zu leben.

    Da gehören alltägliche Querelleien genauso dazu, wie sich mit der Macht der Gewalt in den eigenen Reihen auseinander zu setzten. Man muss erkennen lernen, das der Buddhismus eine Freiheit bedeutet, die dahingehend gelebt werden möchte. Egal ob es nun die Sexualität ist, oder der eigene Wert des ICH´s.

    Solche Gedanken geben Angriffsflächen… ich weiß.

Trackbacks und Pingbacks:

  1. Religion als Wissenschaft des Geistes « Säkularer Buddhismus - Februar 1, 2012

    […] seinen Erfahrungen aus dem tibetischen Buddhismus auf alle Schulen verallgemeinert. Völlig zurecht widerspricht er nun der Aussage aus diesem Artikel. Da ist mir schlicht derselbe Fehler […]

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