DIE GLOSSE #03

M. Steingass —  5.4.13

Käufliche Liebe

Ich wollte mich heute über die Liebe im Museum aufregen. Darüber, daß die Liebe nun tatsächlich im Museum gegen Geld zu haben ist. Daß sie ein Kunstprodukt ist, endgültig entschärft dadurch, daß sie als Performance zur Show wird – ein ‚Event‘. Hinter der Kasse, hinter Glas, nur während der Öffnungszeiten usw.

Leider kam mir Harald Schmidt dazwischen. Nur mal kurz das aktuelle Interview im Frankfurter Allgemeine Magazin überflogen und schon frage ich mich, ob die ganze Aufregung es eigentlich wert ist? Ich habe Schmidt seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Ich erinnere mich an Sendungen, in denen er  auf wunderbare Weise das Medium, dessen zwanghafte Unterhaltungswut und sich selbst ironisiert. Etwa wenn er Becketts Endspiel mit seinen Komparsen nachstellt oder eine Weihnachtssendung lang Tannenbäume an das Publikum verteilt.

Die Liebe im Museum – die käufliche Liebe im Museum – das ist natürlich etwas anderes als das SexGeflimmer  auf dem Bildschirm wenn auch die letzte LateNightShow endlich aus ist. Etwas anderes als der Strich, Paarship oder ein Ehe die dem Zwang der Ökonomie untersteht. Die Liebe im Museum ist der Augenblick, wenn einem ein Mensch direkt in die Augen sieht. Ein Mensch der einem gegenüber sitzt, vielleicht eineinhalb Meter entfernt. Ein Mensch der mit gesenktem Haupt darauf wartet, daß man Platz genommen hat. Der dann den Kopf hebt, die Augen öffnet und einen anblickt. Unverwandt, andauernd, voraussetzungs- und bedingungslos mir völlig zugewandt. Ohne den leisesten Hauch von etwas anderem als dem reinen Blick der Augen eines Menschen der nichts will als diesen Blick. Einen Blick, der nur zu einem Blick wird indem er einem anderen Blick begegnet.

Darüber könnte man sich aufregen, daß Marina Abramović im Museum Liebe macht. Daß sie Liebe macht im MoMa. 736 Stunden und eine Halbe, 2010 in New York, im Museum of Modern Art. Da gehört die Liebe nun hin. Die Liebe, die durch eine Überraschung entsteht. Wobei das Paradox ist, daß sie nun im Museum ja nicht mehr überraschend auftritt. Vielmehr geht man hin weil man weiss, daß sie einen dort erwartet. Und trotzdem, obwohl der ersten Überraschung beraubt, bleibt der Blick den Zwei aufeinander richten doch überraschend. Wenn Marina Abramović den Kopf hebt, passiert etwas. Wenn man nicht da war, das Wunder zu erleben, kann man es im Film sehen: The Artist is present.

Das worüber man sich aufregen könnte, ist die Tatsache die Liebe gegen Bezahlung, nicht etwa auf dem Strich bei einer Prostituierten zu suchen, sondern im bekanntesten und berühmtesten Museum der Welt. An dem Ort also an dem alles wütende, gefährliche, wirklich neue endgültig domestiziert und damit unschädlich gemacht wurde. Dort wo die Entartung der Kunst, die darin besteht der Norm den Kampf anzusagen, kastriert wird. Das was Prostituierte meiden wie der Teufel das Weihwasser, mit dem Anderen einen wirklichen Rapport aufzubauen, aus purem Selbstschutz, findet nun im Museum statt. Das ist der wirkliche Skandal. Darüber könnte man sich empören.

Der demokratische Kapitalismus zeigt, wie er sich wirklich alles zu eigen machen kann. Und von allem das Wichtigste und Gefährlichste, die Liebe nämlich, die aus Einem ein Anderes macht indem sie Zwei (oder Mehr) zusammen führt und so die Vereinzelten über sich hinaus gehen lässt. Sie transzendiert, sie aufhebt und verschwinden lässt. Das was die Ökonomie so sehr braucht, das einzige überhaupt mit dem sie funktioniert: das vereinzelte, abmessbare, manipulierbare Wesen, das sich der Ökonomie in dem Augenblick entzieht, in  dem es wirklich liebt. Das ist das wirklich paradoxe und grausame an dieser Performance: Sie lässt die Menschen das tun, was sie sich von einer gewalttätigen Ökonomie befreien liesse, sie tun es aber nur noch dort, wo es die Ökonomie endgültig entschärft hat – im Museum. Im Mausoleum.

Aber soll man sich darüber noch aufregen? Schmidt erinnert daran, daß schon längst alles gesagt und getan ist. Zumindest innerhalb des Systems, das seine Verbraucher verwaltet (und das ein Ausserhalb für unmöglich erklärt). Sein Endspiel ist die ultimative Performance. Er fesselt sein Publikum mit einer Vorführung deren Gag gerade darin besteht keinerlei Sinn zu haben. Und das nicht etwa mit einer nichtigen SamstagabendShow, sondern indem er es sagt: Es geht um nichts. Ihr werdet mit Nichts unterhalten. Nicht einmal mehr der Hass und die gegenseitige Abhängigkeit von Ham und Clov sind etwas, worüber man noch nachdenken müsste (geschweige denn die ganz platte Interpretation, ob wir das sind, denen wir da zusehen?). Die andere Performance, die von Abramović im MoMa, das ist nicht die ultimative, das war die letzte. Die Liebe wird jetzt nur noch in Retrospektiven zu sehen sein. Als Erinnerung die keine Spur der Gewalt mehr enthält, die zu entfesseln sie in der Lage ist. Abramovićs Liebe war die letzte. Das Endspiel geht derweil noch ein wenig weiter. Soll man sich darüber aufregen?

(Horst Bollmann als Clov in Samuel Beckektts Endspiel, inszeniert vom Autor, in der Werkstatt des Berliner Schillertheaters anlässlich der Berliner Festwochen 1967.)

5 Antworten zu DIE GLOSSE #03

  1. 

    Matthias,

    Was wäre die Alternative um Liebe mit Geld zu bekommen? Die war noch nie ohne Geld zu bekommen, warum sollte das heute so sein.

    „Soll man sich darüber aufregen?“ Klar, aber man kann auch nach einer Lösung, einer Lösung, suchen.

    Zum Schlagwort „Kontrollgesellschaft“, wer kontrolliert dich den? Wer hat den die Liebe unter Kontrolle?

  2. 

    Das Missverstaendnis, dass es „kaeufliche Liebe“ gaebe, ruiniert insbesondere in Suedostasien jaehrlich Abertausende von Westlern. Es heisst richtig „kaeuflicher Sex“. Kaeuflich ist in vielen Gesellschaften auch die Bindung eines Partners, sofern man fuer ihn/sie oder deren Familie sorgt. Die Liebe ist es nicht, sie ist ein illusionaeres Fantasieprodukt, das keinen Handelswert hat. Ganz im Gegensatz zum Sex, dessen Gegenwert sich sogar (landesbezogen) recht gut errechnen laesst.

  3. 

    Es gibt keine Bindung ohne Geschäft und kein Geschäft ohne Bindung.

  4. 

    dooyen, es geht dezidiert um „käufliche Liebe“ und nicht um Sex. Es geht in dem Text um eine Performance von Marina Abramovic und nicht um ein „Missverständnis“, wie du es nennst, in Südostasien. Ich bitte darum zu lesen über was ich schreibe – bevor du kommentierst. Danke

  5. 

    Und mir geht es darum: Auch Marina Abramovic hat nicht verstanden. Wie Hanzze sitzt sie einem Missverstaendnis auf, das auf einem gedanklichen Klischee beruht, einem Dogma. Liebe bedeutet auch nicht Bindung.