Dieser Text ist Teil einer dreiteiligen Publikation des Spekulativen Non-Buddhismus. Die beiden anderen Texte sind die Anleitung zur Benutzung der Heuristik des Spekulativen Non-Buddhismus und Die Heuristik des Spekulativen Non-Buddhismus. Zentraler Link für alle Texte. Bibliografie hier. Fettdruck verweist auf Einträge in der Heuristik. CTSP ist die Sigle für Cruel Theory | Sublime Practice.
In Sum
Spekulativer Non-Buddhismus ist eine Versündigung an der buddhistischen Transzendenz – dem abgründigen Verlangen, sich über den Homo sapiens zu erheben und so ungeschoren einer leeren Realität zu entkommen. Der spekulative Non-Buddhismus ermöglicht Einsicht in das, was ein in sich selbst und in den Dharma verliebter buddhistischer Diskurs mit seiner Spiegelfechterei höchst effizient verbirgt. Der spekulative Non-Buddhismus ist der Tod dünkelhafter buddhistischer Eitelkeit. Er blüht über den trüben Wassern der Guten Nachricht vom Dharma und vergeht sich an allem, was die Interessen individualistischer Identität schützen, festigen oder garantieren würde. Die Blossstellung dieses transzendenten Mummenschanzes ist eine befreiende Untat, die Befreiung des zum Narziss verkommenen Menschen von sich selbst, zurück in das blinde, höllische und zügellose Wüten der solaren Fackel.
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„Was wahr ist, kann sich nicht ändern; was sich verändert, ist nicht wahr“ – ist das nicht der erbärmliche Traum, mit dem viel zu viele ihren Witz verwässert haben? – François Laruelle
Der spekulative Non-Buddhismus ist eine Art des Denkens und des Sehens, die den Buddhismus als Rohmaterial benutzt. Es ist ein Gedankenexperiment und stellt die Frage: Was bleibt vom Buddhismus übrig, wenn man ihn all seiner transzendentalen Repräsentation beraubt? Spekulativer Non-Buddhismus ist eine krische Praxis. Eine, aus der eine kritisch-konstruktive Methode entstehen könnte. Seine Ideen und seine Praxis allerdings machen den Buddhismus für sich selbst unkenntlich. Spekulativer Non-Buddhismus ist ein bestimmter Ansatz, buddhistische Lehren zu analysieren und zu interpretieren. Dabei münden seine Ergebnisse in für den Buddhismus selbst unhaltbare und sogar unverständliche Theoreme. Während es sich dabei um eine Um-Schreibung des Buddhismus handelt, ist der spekulative Non-Buddhismus aber keine Versuch einer Neuformulierung oder gar Reform, noch ein Versuch der Annäherung des Buddhismus an zeitgenössische, westliche, säkulare Werte. Er hat vor allem drei primäre Funktionen: 1) Aufdecken der syntaktischen Struktur des Buddhismus (die vom Buddhismus selbst nicht gesehen wird); 2) Untersuchung der Bedeutung und Tauglichkeit buddhistischer Sätze; 3) Prüfung aller zeitgenössischen Formen des Buddhismus in Bezug auf ihre Tendenz zum ideologischen Exzess.
Da der spekulative Non-Buddhismus eine Praxis ist, die den Korpus eines vorgeblichen Wissens namens „Buddhismus“ zur Grundlage hat, ist es zunächst wichtig, seine ihn konstituierende Methodologie sowie einige ihr zu Grunde liegenden Annahmen aufzuzeigen. Zuvor jedoch wird es für den Leser hilfreich sein, zu erläutern, was es mit den Begriffen „spekulativ“ und „Non-Buddhismus“ auf sich hat.
Spekulativ
Ironischer Weise wird das Substantiv welches die kritische Praxis beschreibt, um die es hier geht, von einer geistigen Herangehensweise näher bestimmt, die der Buddhismus selbst allgemein scheut (diṭṭhi, dṛṣṭi). Das paradigmatische Beispiel hierfür findet sich im Culamalukya Sutta. Hier warnt der Buddha vor der Vergeblichkeit der Spekulation über unentscheidbare Fragen und Angelegenheiten, die er, in seiner Weisheit, „nicht erwogen“ hat. So wie ich den Terminus benutze, verweist er daher darauf, daß spekulativer Non-Buddhismus notwendiger Weise kein Interesse an dem hat, „was der Buddha sagte“ und sich buddhistischen Werten gegenüber nicht verpflichtet fühlt. Mehr noch und am wichtigsten, er erreicht seine neutrale Haltung gerade durch die Spekulation. Es zeigt sich nämlich, daß spekulativ, wie auch z.B. das über das lateinische specere verwandte perspektivisch, in seiner Etymologie auf das klare, scharfe, intelligente, geistige Durchdringen einer Angelegenheit verweist. Ein solches Sehen setzt ein besonderes Verhältnis zur fraglichen Sache voraus. In unserem Fall handelt es sich dabei um „Die Lehre Buddhas“, „Buddhismus“ oder den „Säkularen Buddhismus“. Eine spekulative Position gegenüber irgend einer Form des Buddhismus lehnt seine Lehrsätze weder ab, noch lässt sie sich von ihnen vereinnahmen. Im Gegenteil, diese Praxis erfordert die volle Akzeptanz des buddhistischen Status quo, so wie er ist – nichts verändert sich. Wäre das nicht so, würden sich die Spekulationen in Aussagen verwandeln, die mit denjenigen konkurrieren, die sie untersucht.
Die Spekulation beginnt daher mit einer Befragung. In ihr liegt der Wert der kritischen Methode. Dabei muss man sich auch klar machen, was es mit dem Begriff kritisch auf sich hat. Das Wort entstammt dem griechischen krinein mit der Bedeutung „unterscheiden“, „urteilen“. Der Scheidevorgang, der die Untersuchung des vermeintlich homogenen, statischen Ganzen wesentlich ausmacht, führt zur crisis, d.h. in einen kritischen, instabilen Zustand. Nur solch eine Person, die diese Separation ermöglicht und die crisis entfacht, ist als Richter, krities, qualifiziert. Der Bürge dieser Qualifikation des Richters ist seine Fähigkeit als kritikos – als Person, die unterscheiden kann und eben dadurch fähig ist zu beurteilen. Darüber hinaus beinhaltet der Begriff kritikos eine weitere wichtige Nuance: Die Separation, die Unterscheidung und die Beurteilung finden mit Sorgfalt statt.
Ein wichtiger Ansatzpunkt der Kritik des spekulativen Non-Buddhismus ist, daß der „X-Buddhismus“ in seiner ganzen Laufbahn, bis auf den heutigen Tag, nie in der Lage war eine selbstkritische Perspektive einzunehmen. In all seinen dichotomen Varianten, als östlicher- oder westlicher-, ur- oder moderner, konservativer- oder liberaler-, religiöser- oder säkularer Buddhisms; als Zen, Vipassana, MBSR oder einfach als Achtsamkeit – der Buddhismus als X-Buddhismus weigert sich oder ist einfach nicht in der Lage, erwachsen zu werden und diese austauschbaren Versatzstücke in einer Art und Weise einer kritischen Prüfung zu unterziehen, die sie zu mehr machen würden als Formen visionärer Wissens. Das Resultat aus Sicht des Spekulativen Non-Buddhismus ist, daß diese unkritische Borniertheit zu nichts führt als zu einem endlos redundanten, stetigen Kreisen um sich selbst.
Spekulation dient dem kritischen Projekt, indem die Fragen die ich im Sinn habe, einen Bruch vorbereiten und schließlich eine Störung auslösen. Das heisst, die Spekulation bricht das geschlossene System, das Eine, das Ganze des Buddhismus auf. Es ist nicht schwierig zu sehen, wie diese Brechung zu einem Halt führt: Seine durch normative Sätze begründete scheinbare Einheitlichkeit und stetige, elegante Bewegung, zum Beispiel als „der Dharma„, bzw. tatsächlich als „der Buddhismus“, wird durch die spekulative Untersuchung zerlegt. Was folgt auf diese Zerlegung? Es könnte der Verlust der Zusammenhänge sein, vielleicht ein Zerfall in disparate Einzelteile, vielleicht eine radikale Umwandlung oder einfach der Untergang. Sicherlich aber bis zu einem gewissen Grad eine Störung – was wir aber nicht wissen werden, solange wir nicht beginnen zu spekulieren.
Non-Buddhismus
Mein ursprünglicher Impuls für die Formulierung des „Non-Buddhismus“ entstand als ich François Laruelles „A Summary of Non-Philosophy“ las (Pli 8, 1999, S. 138-148; ins Englische übersetzt von Ray Brassier), zusammen mit seinem Dictionary of Non-Philosophy (Paris: Editions Kimé, 1998; ins Englische übersetzt von Taylor Adkins). Laruelle ist gleichzeitig begeisternd und frustrierend. Ich finde nur schon den Versuch, seinen Gedanken zu folgen, anregend. Am interessantesten ist aber, daß er keinen inhaltlich neue Philosophie entwirft, daß er zu keinen spektakulären neuen Durchbrüchen in puncto Sein, Wahrheit oder Wissen käme – den üblichen Besessenheiten der Philosophie (er selbst sieht sein Werk weder als kritisch noch als konstruktiv). Es ist seine Art, im Denken und Schreiben zu agieren, die einen gefangen nimmt. Indem ich versuchte seinem Denken zu folgen und es zu verstehen, wurde mir klar, daß es andere Möglichkeiten gibt, Buddhismus zu denken und über ihn zu schreiben. Gleichzeitig ist Laruelle aber bis zum Überdruss frustrierend. Er denkt und schreibt auf einer Ebene unerhörter Abstraktion. Ray Brassier merkt über diesen Aspekt des Werkes von Laruell an:
Diejenigen, die denken, formale Innovation sollte der substanziellen untergeordnet werden, werden unzweifelhaft Laruelles Arbeit abstoßend finden. Diejenigen, die glauben, formale Innovation von den Einschränkungen substantieller Innovation zu entbinden – und dabei letztere zu transformieren – sei ein wichtige philosophische Herausforderung, könnten Laruelles Werk als wichtigen Impuls empfinden. Unabhängig von der Reaktion – ob Abscheu oder Faszination – Laruelle bleibt indifferent. Er ist nur allzu bereit, den Preis der Abstraktion für eine methodologische Innovation zu zahlen, die verspricht, die Möglichkeiten konzeptioneller Erneuerung bis weit jenseits der Grenzen philosophischer Ressourcen zu erweitern. (Axiomatic Heresy: The non-philosophy of François Laruelle, in Radical Philosophie, September/October 2003: 25 f.)
Ich sollte hier erwähnen, daß Ray Brassiers Laruelle-Erläuterung im gerade erwähnten Artikel eine dritte unverzichtbare Quelle für meine Begegnung mit Laruelles Gedanken war.
Non-Buddhismus ist keine Überführung des Verfahrens der Non-Philosophie zum Verständnis der Natur der Philosophie in eine Untersuchung des Buddhismus. Vielmehr erhielt meine Idee des Non-Buddhismus ihren ersten Impuls von der Non-Philosophie, um dann ihren eigenen Weg zu nehmen. Vier besondere Begriffe waren anfänglich ausschlaggebend: Entscheidung, Auto-Position, Irisation und radikale Immanenz (vgl. Leere Realität). (Aus Platzgründen wird hier zunächst nur der erste Begriff ausführlicher besprochen.) Laruelle deutet diese Konzepte in den folgenden Definitionen an, zunächst für Non-Philosophie an sich, dann für den Gegenstand der Non-Philosophie, der Philosophie. Nach den Definitionen Laruelles werde ich mit der Hilfe Brassiers, Laruelles Konzepte anpassen und verwenden, um zu zeigen, wie sie meine Idee vom Non-Buddhismus stützen.
Non-Philosophie arbeitet typischer Weise folgendermaßen: Alles wird dem Verfahren einer Dualität (von Problemen) unterworfen, die weder eine Zwei noch ein Paar konstituiert, und dem einer Identität (von Problemen, und daher einer Lösung), die keine Einheit oder Synthese konstituiert. (François Laruelle, A Summary of Non-Philosophie, 2.1.2)
[Philosophie] ist ein Glaube, mit der alleinigen Rechtfertigung durch den Glauben, der von Rechts wegen dazu bestimmt ist, leer zu bleiben, der sich aber gezwungenermaßen dieser Leerheit entzieht, indem er sie mit Zielen und fremden Objekten, die sich ihm durch Erfahrung, Kultur, Geschichte, Sprache etc. anbieten, wiederbevölkert. In Kommunikationsstil und „Wissen“ ist sie ein Gerücht – das abendländische Gerücht – das durch Hörensagen, Mimikry, Irisation und Wiederholung übermittelt wird. Durch ihre interne Struktur, durch die „philosophische Entscheidung“, ist sie der Ausdruck einer Dyade kontrastierender Begriffe und eine geteilte Einheit, die sich zur Dyade immanent und transzendent verhält; oder anders gesagt, sie ist der Ausdruck eines universellen Marktes, auf dem Konzepte nach den Regeln der jeweiligen Systeme gehandelt werden und der Ausdruck einer Instanz mit zwei Gesichtern: das der philosophischen Arbeitsteilung und das der Übernahme von Anteilen dessen was der Markt der Konzepte produziert. Demzufolge ist Philosophie das Kapital oder ein Quasi-Kapital in der Ordnung des Denkens, oder, besser noch, die Form der Welt, wenn man sie in ihrem verhülltesten Sinn versteht. (François Laruelle, Dictionary of Non-philosophy, 119)
Jede Behauptung, jedes geschriebene Wort, jede Äusserung wie „der Buddha hat gelehrt“, „nach dem was im Herz Sutra/Pali Kanon/Shobogenzo steht“, „nach dem was dieser oder jener Lehrer lehrt“, jeder „buddhistische“ (oder kryptobuddhistische) Versuch mit einem solchen Bezug eine Frage oder ein Problem X zu lösen, macht ausnahmslos klar, dass es sich um die buddhistische Entscheidung handelt. Dieses Entscheidungs-Verfahren konstituiert die strukturelle Syntax des buddhistischen Diskurses an sich und bestimmt damit alle diese Diskurse. Den vermeintlich wissenschaftlichen, den höchst säkular-liberalen und nicht weniger den offen religiösen oder den konservativ orthodoxen. Ohne es gäbe es keinen buddhistischen Diskurs, keine solchen Äusserungen, keinen Buddhismus, keine Buddhisten. Mehr noch, Buddhisten als solche sind nicht in der Lage, diese Entscheidungs-Struktur wahrzunehmen, die ihrer Zugehörigkeit Gestalt gibt, da die Aufnahme in die Gemeinschaft auf eine Verblendung baut: Reflexivität. Sie korreliert direkt mit dieser Zugehörigkeit. Je instinktiver jene, desto sicherer diese. Und wie alle ideologischen Systeme strebt der Buddhismus eine Hyper-Reflexivität an. Je höher ihr Grad ist, desto weniger wird die Entscheidungs-Struktur als grundlegende Gesetzmäßigkeit allen buddhistischen Diskurses für den Buddhisten selbst erkennbar. Teil der Aufgabe des Non-Buddhismus ist es, diese Entscheidungs-Maschinerie des Buddhismus kenntlich zu machen, denn „in der selben Semiotik“ (Laruelle) wie der Buddhismus selbst, ist eine schiere Negation des Buddhismus angelegt: obwohl seine Termini und Ziele sich notwendigerweise unterscheiden, wird eine Negation des Buddhismus durch die selbe Grammatik wie die des „Buddhismus“ erreicht – durch Entscheidung und Ideologie. Non-Buddhismus, weder als Buddhismus noch als dessen Negation, erfüllt die kognitiven und affektiven Bedingungen, die Entscheidung sichtbar zu machen.
Was also ist die Entscheidungs-Struktur, die alle „buddhistischen“ Angelegenheiten steuert? Zunächst denke ich, dass, anders als bei Laruelle, die Entscheidung eine affektive und kognitive Dimension hat, die beide gleichermaßen, je nach Grad der Selbstbezüglichkeit, nicht sichtbar sind. Das Wort „Buddhist“ bezeichnet eine Person, die mittels eines psychologisch motivierten Aktes zu der Auffassung gelangt ist, der Buddhismus sei eine Art magisches Asyl. So gesehen ist die Entscheidung ein emotionales Vertrauen auf, oder Hoffnung in, die Wahrhaftigkeit buddhistischer Lehren. Als solche aber vergeht sich die affektive Entscheidung am methodologischen Geist aller legitimen Wissenssysteme der Natur- oder Geisteswissenschaften. Da sich der Buddhismus als der Überbringer des höchsten und anspruchsvollsten Wissens ausgibt, das Menschen zugänglich ist, entwertet dieses Vergehen gerade die Vollmacht, die er sich selbst als dem überragenden Organon der Weisheit ausstellt. Insofern als die affektive Entscheidung identitätsstiftend wirkt und somit Weltanschauung wird, öffnet dieser spezielle Winkelzug der Entscheidung der Ideologie Tür und Tor zur Vereinnahmung des Buddhismus.
Wir können Laruelles Definition in Bezug auf den Buddhismus modifizieren und Folgendes sagen: Die Entscheidung in ihrer kognitiven Dimension besteht darin, eine Dyade (und zahllose Sub-Dichotomien) zu postulieren, die dazu dient, Realität, beim Versuch sie zu verstehen, aufzuspalten – gemeinsam mit einer vereinheitlichenden Struktur, die die Dyade transzendental verankert und die simultan, über die notwendige Intermixtur, an der Immanenz Teil hat. „Entscheidung“ ist so wörtlich zu nehmen. Sie beinhaltet eine (Ab)Spaltung der Realität durch die Postulierung bestimmter Begriffe der Repräsentation. Das Ziel der Spaltung ist der Versuch, zu einem Verständnis der eigentlichen, immanenten Welt zu gelangen. Gerade im Prozess des Verstehens aber teilt die Entscheidung die Welt auf in scheinbar evidente Immanenz und ideal begründete Transzendenz. Die entscheidende Teilung geschieht zwischen (1) einer übergeordneten Dyade, die aus einem bedingt Gegebenen (dem Datum) und dem Bedingenden besteht (dem Faktum), und (2) einer vorhergegangenen notwendigen Synthesis, die die Dyade transzendental verankert und ihre immanente Einheit garantiert. Indem die Synthesis der Dyade einerseits wesentlich ist, sie aber andererseits von außen garantiert, ist die Synthese eine „geteilte Einheit“.
Die Entscheidung ist, wenn man von ihren spezifisch buddhistischen Termini und den aus ihnen folgenden Repräsentationen ausgeht, schon immer und ausschließlich ein buddhistisches Verständnis der Welt. Die Buddhistische Entscheidung ist genau für dieses Verständnis konstitutiv. Obwohl die Termini Gegebenes (Datum), Tatsache (Factum) und Synthesis Phänomenalität implizieren, muß kein Element der buddhistischen Entscheidung notwendiger Weise empirisch oder rational sein. Wie alle ideologischen Systeme nimmt auch der Buddhismus für sich in Anspruch, dass seine Postulate durch phänomenale Realität impliziert, unauflösbar mit dieser verbunden und einem wirklich scharfsinnigen Denken auch zugänglich sind – obwohl, wie ein wichtiges buddhistisches Axiom besagt, Realität „leer von inhärenter Existenz“ ist. Somit erweist sich ein Buddhismus, der sich mit seinen axiomatischen Aussagen über die Realität als Paladin der Leerheit ausgibt, als „ein Glaube, mit dem ihm eigenen umfassenden Erklärungsanspruch, der notwendig leer bleiben sollte, der sich aber diesem Nichts entzieht indem er es mit Objekten und fremden Zielen, die sich ihm durch Erfahrung, Kultur, Geschichte, Sprache etc. anbieten, wiederbevölkert.“
Die kognitive Entscheidung des Buddhismus besteht aus dem Postulat der raumzeitlichen Wechselhaftigkeit (samsara) als bedingt Gegebenem und aus demjenigen der Kontingenz (paticcasamuppada) als dessen bedingender Tatsache. Die Maschinerie der buddhistischen Entscheidung ist besonders unbarmherzig darin, aus dieser Dyade einen schier endlosen Reigen an Sub-Dichotomien zu generieren: Leid & Wohlgefühl, Form & Leerheit, Wahn & Erwachen, Fessel & Freiheit, Halten & Lassen, Verlangen & Entsagung, Nutzen & Schaden, Ursache & Wirkung, Verwirrung & Konzentration usw. Die Struktur schließlich, die die Syntax buddhistischer Entscheidung synthetisiert und dadurch zum Ausdruck bringt, ist Die Norm (Dharma; und man kann sicher sein, dass immer, wenn der zeitgenössische Buddhismus diesen Begriff benutzt, das mit einer Geste der Heiligenverehrung geschieht. Mit allem, was den Hauptmann von Köpenik zu dem machte, was er war). Dharma ist ein vieldeutiger Begriff, aber seine ausschlaggebende Bedeutung für non-buddhistische Absichten kann man zusammenfassen, indem man sagt, der Dharma ist der Dharma, weil er den Dharma widerspiegelt: die buddhistische Lehre (der Dharma) ist die Norm der Existenz (der Dharma), da sie die kosmische Ordnung (den Dharma) widerspiegelt. Daher Dharma als Die Norm: die kosmische Moral-Maschine, die die Richtschnur des Großen Ganzen, des physischen perzeptuell-konzeptuellen Kosmos, an den Menschen anlegt; die dadurch die Gesetzmäßigkeiten offenlegt, denen der Mensch im Angesicht des Kosmischen Großen Ganzen unterworfen ist; die die Maßstäbe setzt, nach denen sich Menschen untereinander und gegenüber allen fühlenden Wesen zu verhalten haben; die ewig wahre Gleichung verkündigend, die beweist, dass das Kosmische Große Ganze und die Buddhistischer Lehre Eins sind; die diese Lehre in der weltlichen Sphäre menschlicher Wesen verkündigt und die, nicht zuletzt, in Bezug auf diese Lehre, dem Menschen Prüfstein ist. (Aus Gründen, die noch klarer werden, wird der Begriff Dharma meistens nicht übersetzt.)
In der buddhistischen Entscheidung ist der Dharma diejenige Funktion, die die Dyade der raumzeitlichen Wechselhaftigkeit und der Kontingenz synthetisiert. Wichtig dabei ist, die Dyade erscheint nirgends jenseits dieser idealisierten Repräsentation und sie ergibt dort auch keinen Sinn. Um aber diese Dyade zu synthetisieren und um als der notwenige Garant für sie zu fungieren, innerhalb einer Welt, die sie versucht glaubwürdig darzustellen, muß der Dharma gleichzeitig auch außerhalb dieser Welt sein, die durch die Dyade gegeben ist. Die Funktion des Dharma, nichts sonst, macht das syntaktische Verhältnis von Kontingenz und raumzeitlicher Wechselhaftigkeit deutlich.
Der Dharma – die Trinität der buddhistischen Fügung, der Wahrheit und des kosmischen Ordnung – kittet das disparate Ganze der Realität. Der Dharma muss dabei gleichzeitig als der Realität wesentlich innewohnend fungieren, d.h. immanent, und als ihr äußerlich, also transzendent: ihr innewohnend, weil die raumzeitliche Wechselhaftigkeit und die Kontingenz ihn konkret, immanent, zum Ausdruck bringen; ihr äußerlich, weil er diese Konkretisierung transzendent (ideal – gedanklich) verankert. Dieser Mechanismus konstituiert einen unentrinnbaren Zirkelschluss. Die Voraussetzung (aus geht um Den Dharma) ist in der Schlussfolgerung enthalten (daher raumzeitliche Wechselhaftigkeit und Kontingenz), und die Schlussfolgerung in der Voraussetzung. Die Entscheidungs-Struktur des Buddhismus entpuppt sich also als Explanans (Die Norm: Der Dharma), das immer schon im Explanandum (phänomenale Manifestation: raumzeitliche Wechselhaftigkeitskontingenz) enthalten ist und aus einem Explanandum, das in jedem Fall die Wahrheit des Explanans bezeugt. In buddhistischen Termini: Die Dyade samsara-paticcasamuppada (und all die zahllosen postulierten dichotomen Realitäten, die sonst noch aus dieser reichen Quelle fliessen) wird durch das makellose Objektiv des Dharma sichtbar. Und der Dharma wird in der kontingenten dichotomen Entfaltung der samsarische Wirbel sichtbar, die er so minutiös beschreibt. In der Tat: der Dharma ist der Dharma, weil er den Dharma spiegelt.
Dieser Zirkelschluss der Entscheidung, oder wie Laruelle sagt, die „Auto-Positionierung“, konstituiert das „Irisieren“ des Buddhismus. Die buddhistische Entscheidung macht den Buddhismus zu einer Krake, der nichts entkommt. Seine Parteigänger, Buddhisten jeglicher Couleur – diejenigen, die das entsprechende reflexive Engagement für die buddhistische Entscheidung mitbringen – erhalten bevorzugten Zugang zu jeglichem, höchsten Ansprüchen genügenden, die Menschheit betreffenden Wissen. Der „Buddhist“ ist eine Person, wie es Brassier über den Philosophen sagt, „die alles (Begriffe und ihre Relationen) von oben sieht.“ Um Brassier zu zitieren:
Das Irisieren der Entscheidung sorgt dafür, dass die Welt immer das Widerbild des [Buddhismus] bleibt. [Buddhistische Theorie] macht die Welt zum Vorwand endloser [buddhistischer] Selbstinterpretation. Und da Interpretation eher eine Sache des Talents ist, denn der Strenge, verewigt die Vielgestaltigkeit der miteinander nicht kompatiblen und nicht falsifizierbaren Interpretationen die unbegrenzbare Allgegenwärtigkeit der [buddhistischen] Selbstbespiegelung. Absolute Irisation erzeugt unendliche Interpretation – das ist die Norm der [buddhistischen] Praxis des Denkens. (Axiomatic Heresy: The non-philosophy of François Laruelle, in Radical Philosophy, September/October 2003, 26 f.)
Die endlosen vergangenen und gegenwärtigen Debatten („unendliche Interpretationen“) was die Zukunft des Buddhismus angeht – seine angemessene Darstellung, seine dem Ort und der Zeit entsprechende Formulierung usw. – sind lediglich besondere Fälle dessen, was Laruelle, wie schon zitiert, „Ausdruck eines universellen Marktes [nennt], auf dem Konzepte nach den Regeln der jeweiligen Systeme gehandelt werden und der Ausdruck einer Autorität mit zwei Seiten [ist]: die eine als die der [buddhistischen] Arbeitsteilung, die andere als die Verwendung von Teilen dessen, was der Markt der Konzepte produziert. Demzufolge ist der [Buddhist als einfacher Gläubiger oder Praktizierender] das Kapital oder ein Quasi-Kapital in der Ordnung des Denkens, oder, besser noch, die Gestalt der Welt, wenn man sie in ihrem verhülltesten [x-buddhistischen] Sinn versteht.“
„Die Welt“ eines Buddhisten ist eine „Kopfgeburt“, die von der buddhistischen Entscheidung geprägt ist. In diesem Sinne ist „ein Buddhist“ der Repräsentant dieser Kopfgeburt „in der Ordnung des Denkens“, die exakt der buddhistischen Fügung entspricht. Genau hierin liegt eine eminent wichtige Aufgabe des spekulativen Non-Buddhismus. Es geht dabei um die leere Realität bzw. das, was Laruelle „radikale Immanenz“ nennt – Realität abzüglich ihrer „halluzinatorischen“ Repräsentationen. Nirgendwo in der konkreten Wirklichkeit gibt es das Inventar des Dharma. Im Gegensatz zu seiner narzisstisch verzerrten Selbsteinschätzung als Hüter der „Dinge wie sie sind“, bezeichnet der „Buddhismus“ nichts in der Welt. Tatsächlich ist er, in Übererfüllung seiner Rolle als erster und einziger Repräsentant unentbehrlichen menschlichen Wissens, eine Lähmung der Welt. Das buddhistische Irisieren ist nicht möglich, ohne den so genannten Dharma in eine immanente und eine transzendentale Funktion zu zerlegen. Diese Teilung untergräbt aber unwiederbringlich die Integrität des Buddhismus als Herr und Gebieter über die leere Realität – der radikalen Immanenz. Unterbindet man die buddhistische Irisation, hat der Buddhismus in jedweder Hinsicht seiner gnädigen Fügung gegenüber Natur- und Geisteswissenschaften nichts mehr zu bieten. Die buddhistische Entscheidung begründet damit einen entschlossenen Widerstand gegenüber gerade der Welt, die sie sich erschliessen will, indem sie in ihrer Selbstbezüglichkeit ihren Traum vom Dharma in jeden Moment der Entfaltung der leeren Realität projiziert. Tatsächlich gibt es ohne diesen Widerstand keinen Buddhismus – aber, im gleichen Atemzug, ohne diesen Widerstand gibt es auch keinen Non-Buddhismus, denn, wie Brassier bezüglich der Non-Philosophie sagt:
Der Widerstand der Entscheidung gegen radikale Immanenz gibt dem [Non-Buddhismus] den jeweiligen Anlass für seine Arbeit. Er ist der Auslöser, um mit [non-buddhistischem] Denken zu beginnen… [Non-Buddhismus] ist die Umwandlung der irisierenden [buddhistischen] Aversion gegen die Immanenz in eine Form des nicht-irisierenden Denkens, das gemäß dieser Immanenz gestimmt ist. (Axiomatic Heresy: The non-philosophy of François Laruelle, in Radical Philosophy, September/October 2003, 29 f.)
Die gegenwärtigen Diskussionen über all die möglichen Arten von X-Buddhismus laufen auf endlose Permutationen des immer Selben hinaus: Die buddhistische Entscheidung verbunden mit der Aversion gegen radikale Immanenz – radikal als leer von jeglicher Repräsentation, kulturell nicht spezifiziert und als Objekt der Wissenschaft. Wenn man sich ansieht, wie viele Tropen des Buddhismus leere Realität zum Thema haben – sunyta, anatta, yathabhuta, tathta, nirvana, bedingtes Entstehen, der Finger, der zum Mond zeigt, das Floss zurück lassen, vom Esel absteigen, den Buddha töten – erscheint diese Aversion als ungewollte Ironie. Das lässt vermuten, dass der Doppelimpuls, erstens vor der leeren Realität zurückzuschrecken und zweitens der Erkenntnis auszuweichen, der Buddhismus selbst könne letzten Endes eine die Realität verschleiernde Repräsentation sein, eine der Reflexivität eingeborene Notwendigkeit ist, um den Buddhismus wirklich anzunehmen. Aus der Perspektive des Non-Buddhismus ist das Ergebnis die fiebrige Überspanntheit, deren Zeuge wir gegenwärtig sind.
Heuristiken
Die Zielsetzung des spekulativen Non-Buddhismus ist es, diese fiebrige Überspanntheit zu beenden, so dass wir, wenn sich die Aufregung einmal gelegt hat, eine neue Perspektive in Bezug auf buddhistische Gedanken und Praktiken aufbauen können. Im Licht der Ränkespiele buddhistischer Entscheidung wird diese Perspektive ihren Standpunkt notwendiger Weise weder von innerhalb noch von außerhalb des Buddhismus selbst einnehmen. Die Prüfung darf buddhistischen Schemata, deren rhetorischen Tropen und ihren Entscheidungs-Strategien gegenüber keine Verpflichtung eingehen. Zu diesem Zwecke entwickelt der spekulative Non-Buddhismus spezifische methodologische Vorgehensweisen bzw. eine Heuristik. Die Termini dieser Heuristik können zunächst als sondierende Postulate gesehen werden. Die Untersuchung kann die Form eines kritisch-konstruktiven Dialoges mit dem Buddhismus annehmen, der als Basis die durch die Heuristik möglichen Entdeckungen hat – indem er zum Beispiel artikuliert, wie ein „Säkularer Buddhismus“ aussieht, den man den Überlegungen, die aus den Postulaten eines spekulativen Non-Buddhismus folgen, aussetzt. Allerdings gilt, wie anfangs gesagt, dass der spekulative Non-Buddhismus in keiner Weise an einer wie auch immer gearteten Neubegründung des Buddhismus interessiert ist. Aus Sicht eines Spekulativen Non-Buddhismus wäre eine Neuformulierung ein von vorne herein zum Scheitern verurteiltes Unternehmen, da der Buddhismus, egal welcher Varietät, mit „gezinkten Karten“ spielt (Laruelles Terminus): Der Buddhismus, und per Definition seine Akolyten, sind immer schon längst im Besitz der Wahrheit (Irisation). „Buddhist sein“ bedeutet, sich zu weigern den Sirenengesang, das Vibrato buddhistischer Entscheidung, zum Schweigen zu bringen. Daher geht es bei der Anwendung der Heuristik auch darum, Wege zu finden, die gefrässigen Skylla buddhistischer Repräsentation zu umschiffen.
Das heisst nicht, dass der Spekulative Non-Buddhismus lediglich ein destruktives Projekt ist (vgl. Destruktion). Um seinen konstruktiven und tatsächlich wiederbelebenden Beitrag zu verstehen, können wir uns kurz die Funktion des Non in „Non-Buddhismus“ ansehen.
Laruelle merkt an, dass das Non in Non-Philosophie mit demjenigen in der non-euklid’schen Geometrie verwandt ist. Der Unterschied zwischen euklidischer und nicht-euklidischer Geometrie besteht im unterschiedlichen Verhalten der Geraden. Euklids fünftes Postulat nimmt die Parallelität an. Indem dieses Postulat, zusammen mit den anderen vier, aufrecht erhalten wird, beschränken Euklidianer das Feld möglicher Formen radikal. Indem dieses Postulat, unter Beibehaltung der anderen vier, aufgegeben wird, ergeben sich radikal neue Möglichkeiten – namentlich elliptische und hyperbolische Krümmungen.
Dies ist ein bezeichnendes Bild. „Non-Buddhismus“ entscheidet weder über (1) Werte, Wahrheiten oder Behauptungen, die im Namen des Buddhismus gemacht werden, noch darüber, (2) welche Strukturen oder Postulate „Buddhismus“ richtig beschreiben. Eine solche Nicht-Entscheidung ermöglicht eine spekulative oder sogar angewandte Bewegung hin zu oder weg von dem, was „buddhistischen Lehren“ beschreiben. Überaus wichtig dabei ist, dass alle Kriterien für jede gegebene Bewegung außerhalb des Wertesystems des „Buddhismus'“ liegen. Aus der Gemeinde heraus ist eine solche Bewegung unverständlich oder sogar häretisch, da die axiomatische Setzung der Integrität des Systems – durch seine Prämissen, Autoritäten und Institutionen – unberührt bleiben muss. Diese Setzungen sind es ja gerade, die den „Buddhismus“ ausmachen. Der Non-Buddhismus steht ausserhalb der Gemeinde. Allerdings nicht als gewalttätiger Revolutionär, der die Bastion einer ehrwürdigen Tradition stürmt. Non-Buddhismus, in seiner Ernüchterung, die ihn überhaupt erst möglich macht, ist an einer derart destruktiven Haltung nicht interessiert. Dieses Desinteresse führt auch nicht zur grundsätzlichen Ablehnung oder zum Verwerfen des Buddhismus. Gerade an der Potenz buddhistischer Lehren ist der Non-Buddhismus interessiert. Allerdings in einer Art und Weise, die sich den Normen gegenüber die diese Lehren maßgeblich regulieren, nicht verpflichtet fühlt, daher frei bleibt und ihnen gegenüber nicht rechenschaftspflichtig. Was Laruelle für die Non-Philosophie in Anspruch nimmt, erkläre ich für den Non-Buddhismus: Erst wenn wir das kosmische Vibrato des Buddhismus zum Schweigen gebracht haben, sind wir frei, neue irdische Resonanzen zu hören.
=> Die Heuristik des Spekulativen Non-Buddhismus <=
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