Anleitung zur Benutzung der Heuristik des Spekulativen Non-Buddhismus

M. Steingass —  12.9.14

Dieser Text ist Teil einer dreiteiligen Publikation des Spekulativen Non-Buddhismus. Die beiden anderen Texte sind die Einführung in den Spekulativen Non-Buddhismus und Die Heuristik des Spekulativen Non-BuddhismusZentraler Link für alle Texte. Bibliografie hier. Fettdruck verweist auf Einträge in der Heuristik. CTSP ist die Sigle für Cruel Theory | Sublime Practice.

Einleitung

Die Heuristik des Spekulativen Non-Buddhismus ist eine Stichwortliste, die Werkzeuge zur Analyse des X-Buddhismus bereitstellt. Das X in diesem Begriff steht für ein Regelsystem, welches die Struktur unseres Denkens bestimmt. Dabei geht es nicht nur um den Buddhismus, sondern grundsätzlich darum, die Fähigkeit zu entwickeln, ideologische Bestimmungen zu transzendieren. Das X genauer zu bestimmen, zu verstehen und im besten Fall hinter sich zu lassen, ist Ansatz des Projektes Spekulativer Non-Buddhismus. Die Differenz zwischen dem X und dem Non ist dem analog der entsteht, wenn man das Parallelen-Axiom aus der Euklidischen Geometrie streicht (vgl. Krümmung). Anders ausgedrückt: Es handelt sich um zwei Paradigmen, bei dem das Ältere X dem Neueren Non nur verständnislos gegenüberstehen kann.

Die Heuristik richten sich an Menschen, die Buddhismus kennen, denen Widersprüchlichkeiten des Buddhismus Kopfzerbrechen bereiten und die nicht bereit sind, sich mit trivialen Ad-hoc-Hypothesen zufriedenzugeben, wenn sie X-Buddhisten mit den Kontradiktionen des X-Buddhismus konfrontieren. Sie richten sich nicht an Menschen, die gerade damit beginnen, sich mit Buddhismus zu beschäftigen. Genauso wenig sind Buddhisten adressiert, denen nicht mindestens eine Kontradiktion in ihrem jeweiligen Buddhismus zu schaffen macht. Die Kontradiktion ist das erste Erfordernis, welches es ermöglicht, mit der Heuristik etwas anfangen zu können.

Die Heuristik des Spekulative Non-Buddhismus ist Teil des englischsprachigen Textes Spekulative Non-Buddhism: X-buddhist Hallucination and its Decimation von Glenn Wallis, erschienen in Cruel Theory | Sublime Practice, Toward a Revaluation of Buddhism (abgekürzt CTSP) von Glenn Wallis, Tom Pepper, Matthias Steingass. Wallis‘ Text besteht aus zwei Teilen, einer Kritik und einer Aktion. Die hier in deutscher Übersetzung wiedergegebene Heuristik ist der zweite Teil: Aktion. Die Übersetzung des ersten Teils steht noch aus, ist aber in einer Version von 2011 verfügbar, die auf diesem Blog gleichzeitig veröffentlicht wird: Einführung in den Spekulativen Non-Buddhismus. Die Version von 2011 unterschiedet sich wesentlich von der von 2013. Deshalb wird in der anschließenden Einführung der Versuch gemacht, einen Überblick über wichtige Teile der Kritik in CTSP zu geben.

Im Text fett gedruckte Wörter verweisen auf Stichworte in der Heuristik. Jedes Stichwort in der Heuristik ist individuell verlinkt und kann aus dem Heuristik-Index heraus angewählt werden.

Einführung

Im Vergleich zur Einführung in den Spekulativen Non-Buddhismus von 2011 fügt Wallis der Kritik in CTSP von 2013 eine eingehende Diskussion der Subjektivität bei (CTSP, 93 ff.). Diese Diskussion ist zum Teil Ergebnis der Diskussionen auf Wallis‘ Blog Spekulative Non-Buddhism. Die Frage, um die es in diesem Textabschnitt geht, ist – vor dem Hintergrund der Entscheidung, wie sie der Franzose François Laruelle entziffert –, „wie man die Person charakterisieren kann, für die x-buddhistische Formen der Repräsentation durchsichtig werden?“ (CTSP, 112) Wallis‘ Formulierung vom „durchsichtig werden“ zeigt, dass er, wie erwähnt, nicht den Buddhismusneuling anspricht, oder einen Buddhisten, der fest in einer buddhistischen Glaubensform (einer Form X des Buddhismus) verankert ist, sondern die Person, die sich aus welchen Gründen auch immer, dem Buddhismus zugewandt hat, aber feststellen muss, dass eine vielleicht vorausgesetzte ‚aufklärerische‘ Haltung des Buddhismus in den weitaus meisten Fällen buddhistischer Praxis nicht zu finden ist. Wallis spricht die Person an, die in der Lage ist, die Brüche und Widersprüche in der real existierenden buddhistischen Praxis auszuhalten, anstatt sie zu leugnen, und diese dann zu nutzen, um aus ihnen das Neue zu entwickeln – wobei dieses Neue die Sache der betreffenden Personen bleibt, denn die Heuristik führt lediglich zur Ernüchterung. Das ist ihr Ziel. Im ersten, kritischen Teil seines Textes befasst sich Wallis daher mit der Frage, wie die Person zu denken sei, die diesen Prozess durchmacht. Diese Frage ist umso wichtiger, weil hier der von uns so bezeichnete X-Buddhismus (dessen X der Laruelle’schen Entscheidung entspricht) scheinbar sofort eine Antwort bereithält: Die Person ist nicht-wesentlich, leer, ohne inhärentes Sein, anattā. So richtig und revolutionär für die Zeit, in der dieses Wissen produziert wurde, diese Einsicht auch gewesen sein mag, so wenig entspricht ihr die heutige x-buddhistische Praxis und es ist fraglich, ob sie jemals über dieses Rudiment hinaus weiter entwickelt wurde – im Gegensatz zu dem, was in unserem Kulturraum an Wissen über die Person produziert wurde. In dieser Hinsicht folgt Wallis im ersten Teil seines Textes drei Gedankensträngen, um die Person, um die es geht, besser zu verstehen: „Louis Althussers Idee der Anrufung, Michel Pêcheux‘ Konzept der Disidentifikation und Laruelles Gedanke vom Fremdling.“ (CTSP, 112) Es geht darum, zu fragen, wie wir werden, was wir sind – eine Frage die dem X-Buddhismus fremd ist. Die Person, ein Mensch des 21. Jahrhunderts, ist bedingt, was bringt sie also dazu, in bestimmter Weise zu glauben, zu handeln, zu sprechen, zu denken und Alltagsereignisse in dieser oder jener Weise zu interpretieren?

Althussers Denken über Ideologie und Subjektivität ist hier aus verschiedenen Gründen hilfreich. Zuallererst anerkennt es die Unmöglichkeit nicht in irgend einer Form zu einem Subjekt geformt zu werden. Wir entgehen nie dem subjektformenden Zusammenhang aus biologischen, sozialen und symbolischen Systemen. […] Des Weiteren ist Ideologie nicht als Verzerrung zu sehen, sondern vielmehr als die jeweilige Sichtweise, das jeweilige Verständnis der Welt, welches eine Person erwirbt, indem sie den Ansprüchen der jeweiligen Institutionen einer Gesellschaft folgt. (CTSP, 113 f.)

Es gibt im X-Buddhismus Begriffe von einem reinen Sein oder von einer Art wahrem Selbst, das einem in Illusionen befangenen Ego entgegengesetzt wird. Diese Sichtweisen, die sich mit einem streng interpretierten anattā sowieso nicht zur Deckung bringen lassen, werden aus Althussers Perspektive ausgeschlossen. Der springende Punkt an Althussers Ideologiebegriff ist nun, dass, wenn es eine bestimmte Ideologie ist, die die Person in jedem Fall formt, es auch andere Ideologien geben kann. An dieser Stelle wird der sonst umgangssprachlich negativ konnotierte Ideologie-Begriff zu einem Werkzeug, das es ermöglicht, eine andere Sichtweise einzunehmen und es ist auch der Punkt, an dem aus eigentlich buddhistischer Perspektive dieser Begriff wertvoll wird. Und dieser Ideologie-Begriff bedeutet auch, dass das x-buddhistische Subjekt, welches seine Ideologie nicht transparent macht, auch im Buddhismus nie etwas anderes finden wird, als eben die Ideologie, die die Matrix seines Denken, Handelns und Fühlens ist. Im Umkehrschluss bedeutet dies aber auch, dass Buddhismus unter Umständen, unter den Vorzeichen einer anderen Ideologie, völlig anders aussehen kann als die herrschende x-buddhistische Affirmation der Verhältnisse. Und es bedeutet, dass Buddhismus für X-Buddhisten – als vom ideologischen Zauber gebannte Subjekte – uninterpretierbare Formen annehmen kann. Die entscheidende Frage ist aber, wie das Neue oder Andere überhaupt unter der Herrschaft einer einzigen Ideologie, die ja dann per Definition nichts Anderes als sich selbst, also nicht Neues, zulässt, entstehen kann? Der erste Ansatz hierfür ist die Kontradiktion, das Widersprüchliche, das, was nicht zusammenpasst, das Paradox oder einfach das, was trotz anderweitigem Versprechen nicht eintritt (die Erleuchtung, Befreiung vom Leid, Einsicht in die Natur der Dinge, Sosein, ultimative meditative Ausgeglichenheit, Aufgehobensein im Kreise der Wissenden, zeitloses Wissen und Antwort auf jede nur erdenkliche Frage, all die schönen Heilsversprechen, mit denen der X-Buddhismus wirbt). Eine Person, die Widersprüche nicht nur beobachtet , sondern aushält, nicht verdrängt und ihnen aktiv nachgeht, wird in Bezug auf die in Frage stehende Ideologie eine oppositionelle Haltung entwickeln können. Sie wird zu einem „bösen Subjekt“, da sie den Konsens der „guten Subjekte“ nicht mehr fraglos mitträgt. Allerdings ist das nur ein erster sozusagen unwillkürlicher Reflex. Dieser wird aber dadurch verstärkt, dass die guten Subjekte die objektive Erkenntnis einer Kontradiktion durch das böse Subjekt als Häresie, als nicht erlaubte, da den herrschenden Diskurs störende Heterodoxie abtun und bekämpfen und das böse Subjekt damit in eine Position bringen, in der es Stellung beziehen muss. D. h., es muss beginnen, seine zunächst vielleicht nur diffuse Erkenntnis x-buddhistischer Unstimmigkeiten zu artikulieren. Das böse Subjekt wird durch seine unwillkürliche Opposition gezwungen, die objektive Erkenntnis einer Kontradiktion zu klarem konzeptionellen Wissen darüber auszubauen, wie es zur Kontradiktion kommt und welche Gesetzmäßigkeiten ihr zugrunde liegen. Wallis erläutert diese Schritte, die dann erst auf das zulaufen, was Pêcheux Disidentifikation nennt, anhand der Effekte von Kunst und Wissenschaft im Denken. Die Kunst ermögliche es zu sehen, aus welcher Ideologie heraus sie erschaffen wurde (womit ein ganz bestimmter Kunstbegriff gesetzt wird!). Sie zeigt, dass und wie Bedeutung geschaffen wird. Die Wissenschaft übt dann eine bestimmte Funktion aus, indem sie, in ihrer „theoretischen Praxis“ (in Abgrenzung zu einer unbewusst ideologisierten Empirie) Konzepte entwickelt, die Ideologie und damit die Subjektformation, die Entstehung der Person, erklären. (vgl. CTSP, 114 ff.) In diesem Zusammenhang Pêcheux:

In diesem konzeptionellen Prozess des Wissens materialisiert sich die Bestimmung des Realen und seine Notwendigkeit als eine klar gegliederte Menge an Konzepten, die gleichzeitig die „blinde“ Aktion dieser Bestimmung als Subjekt aufweisen und unterbrechen. (CTSP, 118)

Im Moment der Unterbrechung einer ideologischen Repräsentation wird Disidentifikation möglich, d. h. das was über eine Opposition, die sich immer noch auf das beziehen muss, gegen das sie Opposition wird, hinausgeht. Erst dieses Hinausgehen über das Feld, in dem sich die Opposition der bösen Subjekte und der Konsens der guten Subjekte in einem Spannungsfeld gegenseitig bedingen, ermöglicht eine wirkliche Lösung aus dem ideologischen Feld. Nicht allerdings als sein Ende, sondern als eine Umkehrung seiner Operation. Nicht mehr operiert das ideologische Feld stabilisierend und selbstreproduzierend, sondern es beginnt sich zu destabilisieren. Durch die Analyse ideologischer Formationen und der sie bekleidenden, stützenden und immer auch rekursiv aus ihnen hervorgehenden Diskurse, wird es möglich – so jedenfalls Pêcheux, Althusser, Wallis – die Formationen und Diskurse zu verschieben und sie somit in Bewegungen zu versetzen. Dabei handelt es sich nicht um einen simplen dialektischen Prozess (was Wallis nicht ausdrücklich erwähnt), sondern um eine vielschichtige komplexe Modulation sozusagen, die in der Verschiebung einzelner Komponenten Neues riskiert. Das heißt, es handelt sich nicht um Planbares oder um einen Prozess, der planvoll Neues erschafft. Damit sollte auch klar werden, dass der Spekulative Non-Buddhismus weder ein weiterer X-Buddhismus ist, noch dass er für sich in Anspruch nehmen könnte, für die einzelne Person im Voraus zu wissen, wohin die Anwendung der Heuristik führen kann. Das hat auch mit dem dritten Gedanken zu tun, den Wallis in seiner Kritik der Subjektivität anspricht: Laruelles Fremdling.

Doch von diesen Erwägungen bis zum Fremdling ist es gutes Stück. Zunächst setzte die Heuristik bei der Kontradiktion an. Letztere muss erst über eine reflexhafte Ablehnung hinaus weiter entwickelt werden, bevor der Fremdling möglich wird. Die Kontradiktion ist der Ansatz, an der der Hebel der Heuristik angesetzt wird, um die Außerkraftsetzung der Ermächtigung zu vollziehen. Eine Person, die keine Kontradiktion im X-Buddhismus sieht, kann die Heuristik nicht nutzen. Das ist der Grund, weshalb weder die Heuristik noch der Spekulative Non-Buddhismus überhaupt für diejenigen bestimmt sind, die im guten Glauben darauf vertrauen, dass ihnen Buddhismus simple Antworten auf die vielen Probleme schenkt, die sich in unserem Leben auftun. Dabei ist es allerdings nicht schwierig, auf Kontradiktionen im Buddhismus zu stoßen. Allein die Frage, wie die Wiedergeburt mit anattā zu verbinden sei, hat Generationen von Denkern beschäftigt und mag, in den Worten von Michael von Brück, die Antriebsfeder überhaupt gewesen sein, die den Buddhismus vorantrieb. Wie als Pointe dieser Aussage findet die Kontradiktion Wiedergeburt vs. anattā ihren abstrusen Höhepunkt ausgerechnet im tibetischen Buddhismus, dessen Exponent der Dalai Lama global der prominenteste Buddhist überhaupt sein dürfte und der weitgehend unwidersprochen eine individuelle Wiedergeburt vertritt (zum Wirkmechanismus, den der Lama hier entfaltet, siehe das Stichwort Zauberzuflucht). Eine andere Kontradiktion betrifft den sogenannten historischen Buddha. Wenn X-Buddhisten den Buddha zitieren, dann tun sie dies, als ob es sich um ein Zitat aus der Tagespresse von einem Prominenten handele. Der Widerspruch liegt aber darin, dass diese sogenannten Zitate einem fünfundzwanzig Jahrhunderte langen Redaktionsprozess entstammen, der Dialekte, Sprachen, Grammatiken, ganze Episteme (im Sinne Foucaults) und die Entwicklung von der Oralität zur Schrift selbst überbrücken soll. „Der Buddha hat gesagt“ ist so bestenfalls eine begründete Vermutung (wie man sie unter Gelehrten finden mag), meistens jedoch handelt es sich um schlichte Fantasiegebilde (vgl. hierzu beispielsweise die Stichworte Destruktion und Protagonist). Wenn man als einen ersten Schritt mit den zwei genannten Beispielen zwei wichtige Kontradiktionen identifiziert hat – was durchaus noch als trivial erscheinen mag –, geht es im nächsten Schritt darum, die Mechanismen zu klären, die dazu führen, dass eine Person tatsächlich vom X-Buddhismus im Althusser’schen Sinne angerufen werden kann, d. h., warum sie dem Charisma des Dharma ideologisch verfällt. Das ist der Zeitpunkt, an dem eine theoretische Praxis notwenig wird. Die Glaubwürdigkeit der Aussagen des Lamas über die Wiedergeburt wird dann zum Beispiel deutbar als Effekt kognitiver Mechanismen und die Aussage eines angeblich historischen Buddha mag sich als Effekt jeweiliger historischer Aprioris (wieder Foucault) entpuppen. Das ist erst der Punkt, an dem das Gefüge einer Ideologie sichtbar wird, an dem man aus einer naiven Opposition heraustritt und an dem das Gefüge möglicherweise beginnt, sich gegen jenes zu wenden, welches es vormals in einem unbewussten Prozess erzeugt hat. Die Heuristik dient dazu, diesen Punkt zu erreichen.

Der Fremdling

Die Frage war, „wie man die Person charakterisieren kann, für die x-buddhistische Formen der Repräsentation durchsichtig werden?“ Die gerade (als Beispiele) angesprochenen Projektionen kognitiver Strukturen, die durch eine bestimmte Ideologie determiniert sind, betreffen nicht irgendwen, sondern die Person, die das schreibt und jene, die das liest. Hier nähert sich mir an, was sich sonst vermeintlich entfernt abspielt, von dem ich mich distanzieren kann, indem ich es z. B. in ferne historischen Zeitläufe verlege. Diese Annäherung bis auf einen Nullpunkt in der eigenen Subjektivität zuzulassen, d. h. selbst noch die ureigensten, innersten, privatesten Gedanken und Gefühle als solcherart determiniert zu erleben, bedeutet zum Fremdling zu werden. Es geht um die eigene Person, die den Prozessen der Ideologisierung, bis ins Mark sozusagen, ausgesetzt ist. Es geht darum, den Punkt zu verstehen, dass die Person selbst Wirkung einer Kognition ist. Das Problem ist aber immer noch, obwohl man nun schon ein entscheidendes Stück weiter ist, der infinite Regress: Die Entscheidung. Wenn Wallis mit seiner Heuristik bis an den Punkt der Ernüchterung heranführt, so hat man dort immer noch nicht den abendländischen Teufel der Zirkularität gebannt, aus der sich jede totalitäre Autorität entwickelt (auch die buddhistische). Wirkung einer Kognition, einer Ideologie oder eines historischen Apriori zu sein, setzt immer noch Vorstellungen von Kognition und historischem Apriori voraus – plus dasjenige, was sich diese Vorstellungen macht – wobei Letzteres durch Kognition, Ideologie oder historisches Apriori erklärt werden soll – ad infinitum. Zwar ist Foucaults historisches Apriori beispielsweise eine „rein empirische Figur“, eine „Positivität“, die „nicht Gültigkeitsbedingung für Urteile (das wäre Kant), sondern Realitätsbedingung für Aussagen ist“ (vgl. Archäologie des Wissens, Suhrkamp, Frankfurt, 2013, S. 184), und Foucault meint mit „Realitätsbedingungen für Aussagen“ ausdrücklich nicht Aussagen über etwas was vor der Aussage präexistent war, denn: Nur unter bestimmten Realitätsbedingungen sind bestimmte Objekte überhaupt möglich – aber im Denken bleiben wir doch irgendwie in Aussagen von Subjekten über Objekte befangen. An dieser Stelle hakt Laruelles Analyse der Syntax unseres Denkens ein. Wir vernachlässigen das Irgendwie in seiner Funktionsweise. Die theoretische Praxis muss aber auch das – in einem weiteren Schritt – deutlich machen. An dieser Stelle führt Wallis in seinem Text Laruelles Determination-in-der-letzten-Instanz ein (CTSP, 120). Laruelle identifiziert die gerade betrachtete reziproke Kausalität als Grundproblem abendländischen Denkens und begegnet dieser Zirkularität mit einer radikalen Wendung (die hier, wie in Wallis‘ Text, nur in aller Kürze angedeutet werden kann). Er macht klar, dass jegliches totalisierende Denken immer im Zirkelschluss gefangen bleibt und nie eine allgemein gültige, totale Aussage über das Ganze machen kann. Man kann dieses Problem mit der Menge aller Mengen verdeutlichen. Diese Menge müsste sich selbst enthalten, würde aber, wenn sie das wirklich täte, lediglich eine Aussage über sich selbst machen, bliebe also Tautologie. Laruelle identifiziert philosophisches Denken als eine solche Tautologie und Wallis wendet diesen Gedanken auf den Buddhismus an. Laruelle erzeugt eine Syntax des Denkens, die diese Tautologie implodieren lässt, oder die, in den Worten von Achim Szepanski, es dem Realen ermöglicht „als schieres Ereignis den brutalen Einbruch in jeden sinnvollen Diskurs zu erzeugen.“ (vgl. Kapitalisierung, Bd. 1, Hamburg, Laika, 2014, S. 66) Das Reale ist dabei die völlige Nicht-Repräsentanz und das Denken ist vom Realen determiniert-in-letzter-Instanz. D. h. es ist Effekt einer unilateralen (nicht mehr reziproken) Kausalität, ein Effekt, der nicht auf das Reale zurückwirken kann – oder von dem man zumindest nie wissen kann, was er bewirkt, da das Reale prinzipiell nicht repräsentiert werden kann. Alles was möglich bleibt, ist, Axiome zu setzen mit denen man entlang des Realen zu denken in der Lage ist. Althussers Ideologiebegriff, die Kognitionstheorien der Evolutionspsychologie oder das historische Apriori können unter Umständen solche Axiome werden. Laruelles Syntax des Denkens ist komplex und vor allem auch deswegen schwierig, weil er konsequent abstrahiert, um auf bildhaftes, tautologisches Denken in Analogien zu verzichten. Diese Komplexität kann an dieser Stelle nicht ausgeführt werden. Allerdings: Der Fremdling erlebt sich als der brutale Einbruch in den Sinn eines Diskurses. Dabei geht es aber nicht um ein Anything-Goes, denn alle anderen Personen werden als Fremdlinge zu ebensolchen Einbrüchen. Daraus ergibt sich, das sie in dieser Hinsicht gleich sind. Es gibt eine UniVersalität der Fremdlinge, die bedeutet, das sie von vorne herein in eine Demokratie der Fremdlinge eingebunden sind, in der sie ihre Einbrüche verhandeln müssen. Es gibt keine Dominanz. Die einzige Dominanz geht vom Realen aus. Die Person, für die x-buddhistische Formen der Repräsentation durchsichtig werden, oder besser gesagt: die sich in die Lage versetzt, diese Repräsentationen erstens in ihren Kontradiktionen zu sehen, zweitens aus einer einfache Opposition herauszutreten, um in theoretischer Praxis die Mechanismen zu verstehen, die diese Kontradiktionen erzeugen, wird sich drittens disidentifizieren, indem sie die verstandenen Mechanismen in neue Bewegung versetzt, d. h. indem sie sie im Laruell’schen Sinne axiomatisiert, wobei sie viertens, um der Tautologie endgültig zu entkommen, ihre Syntax des Denkens dergestalt verändert, dass sie sich als determiniert-in-der-letzten-Instanz versteht.

Non-buddhistische Kritik ist die Formulierung eines Subjektes, welches sich von den Repräsentationen der Entscheidung disidentifiziert – obwohl ursprünglich vom X-Buddhismus in den Bann geschlagen – und das Denken als Fremdling entlang dem Realen wieder Kraft schöpfen lässt. (CTSP, 121)

 Damit wird der Non-Buddhist zu einer dezidiert emanzipatorischen Kraft. Der X-Buddhist dagegen, der die Selbstreferenzialität in seinem Denken nicht wahrnehmen kann und deshalb der jeweiligen Ideologie ahnungslos ausgeliefert bleibt und lediglich die Verhältnisse reproduziert, in denen er sich zufällig findet, wird sich, kraft des ideologischen Bannes dem er unterworfen ist, immer für ein naturgegebenes Spitzenprodukt halten: Die Krone der Schöpfung. Dies gilt für jede Praxis, ob esoterisch oder politisch, insofern sie nicht die oben beschriebenen Prozesse realisiert. „Non-Buddhist ist ein Begriff, der ein Subjekt der theoretischen Praxis bezeichnet.“ (CTSP, 122) Und man kann sagen, der Non-Buddhist wird zum Fremdling. Sein Spezifikum ist lediglich, dass er „fortfährt x-buddhistisches Material zu nutzen, mit ihm zu denken und es vielleicht sogar auszuagieren. Dies aber gerade nicht, um (zirkuläre, vom Dharma vorgegebenen) Ansprüche zu erfüllen, sondern um sich von ihnen zu emanzipieren und so weit wie möglich radikale Immanenz zu bewirken.“ (CTSP, 123) Denn:

Wenn klassisch-buddhistische Befreiung beinhaltet, sich von den Fesseln der Täuschung zu befreien, kann das befreite Subjekt – per Definition – nicht das x-buddhistische Programm der Subjektformation mittragen. (CTSP, 122)

Damit muss klar werden, was der eingangs gebrauchte Begriff vom eigentlichen Buddhismus meint. Nicht nämlich ein von obskuren, in einer vertikalen Hierarchie beheimateten Herolden des Dharma, gehütetes zeitloses Geheimnis, das an artige Günstlinge „übertragen“ wird, sondern eine im Sinne Laruelles axiomatisierte und demokratische, d. h. horizontal vermittelte Anwendung, die zu radikaler Immanenz führt – dem Ausdruck des Realen im Fremdling, den er in einer minimal-transzendentalen Bewegung bewirkt. Damit sollte auch klar werden, dass dies ein genuin buddhistisches Projekt ist. Wieder aber nicht mit dem Anspruch, einen wahren, zeitlosen Kern des Dharma oder ähnlichen Unsinn zu repräsentieren, sondern im Gegenteil, mit dem Wissen, dass dem Fremdling jede Vergangenheit verschlossen bleibt, aus der er einen solchen Kern bergen könnte (da ihm das jeweilige historische Apriori verschlossen bleiben muss) und dass der Non-Buddhist durch seine Außerkraftsetzung der x-buddhistischen Entscheidung lediglich das überlieferte Material in seiner theoretischen Praxis neu ordnet. Dies aber in einer Weise, die die alte Ordnung zerstört.

Aktion

Es geht also darum, x-buddhistisches Material neu zu verwenden, um zu sehen, was passiert, wenn man konstitutive Teile einer x-buddhistischen Ideologie so gegeneinander verschiebt, dass sie beginnen, ein anderes Bild, eine andere Ideologie zu ergeben. Die hier übersetzte Heuristik bietet dazu einen Werkzeugkasten der Begrifflichkeiten, mit denen man das x-buddhistische Vibrato heruntertakten kann. Das x-buddhistische Vibrato dient dem Schutz vor der Rekonfiguration x-buddhistischer Ideologie. Es ist das Gespinst an Aussagen, Theorien, Glaubensätzen, Beschwörungen, Texten in multiplen Auslegungen, Ritualen, stillschweigend praktizierten Verhaltensformen usw. usf., das in seiner Summe einer stetigen Beschwörung des X-Buddhismus gleichkommt. Es dient dem Zweck, den Anschein einer natürlichen x-buddhistischen Philosophie der Befreiung zu erzeugen. Mit der Heruntertaktung dieses Hypnotikums unter Zuhilfenahme der Heuristik, werden Teile aus dem Vibrato herausgelöst und genauer untersucht. Wallis verwendet den Begriff Heruntertaktung (im Deutschen auch Downsampling, im Englischen Decimation) zur Beschreibung seiner heuristischen Strategie. Im Lichte des oben gesagten ist es zunächst nötig, überhaupt diskrete, d. h. abgegrenzte Elemente sichtbar zu machen, um den Schritt von der reflexhaften Opposition zur theoretischen Praxis zu ermöglichen. Das x-buddhistische Vibrato will sich dem verweigern, um seine konstruierte totale Integrität zu schützen.

Non-Buddhismus kann daher als Störung des stetigen Ganzen des X-Buddhismus durch Analyse diskreter Teile verstanden werden. Durch die non-buddhistische Heuristik wird das x-buddhistische Signal gefiltert und reduziert. (CTSP, 95)

Der gesamte Prozess mündet schließlich in die Entwicklung non-buddhistischer UrWorte (vgl. Gotamischer Kalkül), die im Sinne Laruelle’scher „first names“ entwickelt werden. Laruelle beschreibt diese UrWorte als „symbolische Elemente einer transzendentalen Axiomatik, die auf der Basis eines philosophischen [d. h. in unserem Falle eines x-buddhistischen] Konzeptes gebildet werden und die dann ein Axiom konstituieren, welches das Eine [d. h. das Reale] beschreibt.“ (Laruelle, Dictionary of Non-Philosophie, Éditions Kimé, Mineapolis, 2013, S. 62). Wallis fügt seiner Heuristik einige Beispiele solcher UrWorte an, unter anderem das schon erwähnte anattā. Denken entlang des Realen heißt nun mit diesem geklonten, in Laruelle’schem Sinne in neuer Syntax gedachtem, axiomatisierenden UrWort, dass die Identität des Fremdlings Effekt einer sozio-symbolischen, intersubjektiven Verhandlung mittels ideologischer Konventionen und Praktiken ist. (vgl. CTSP, 148) Und man kann hinzufügen, der Fremdling ist ein Effekt bedeutungsloser neurologischer Bahnungen des Sub-Persönlichen und a-persönlicher Strukturen des Sozio-Ökonomischen. (Vgl. Kapitalisierung, Bd. 1, S. 58) Derart heruntergetaktet lässt anattā keinen Spielraum mehr für x-buddhistische Narzissmen, die über Das Prinzip des suffizienten Buddhismus und sein Vibrato, seine Buddheme, die Erklärungswut und die Ideologische Opazität, über seine ganze Rhetorik der Selbstdarstellung und über die Zauberzuflucht in nichts mündet als in den Spirituellen Narzissmus und damit in den Suizid. In einen Suizid des Menschen durch die Identifikation mit dem X-Buddhismus.

Denn nichts kann für den Menschen gesetzt werden und der Mensch kann sich selbst für nichts setzten. Der Mensch ist unveräußerbar und es gibt zwischen ihm und dem X-Buddhismus keine Austauschbarkeit. Der Mensch ist die einzige Mitteilung die man über den Menschen machen kann. Diese Mitteilung ist identisch mit der Beseitigung des Diktates des X-Buddhismus. (Vgl. François Laruelle, Theorems on the Good News)

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