Die Heuristik des Spekulativen Non-Buddhismus

Glenn Wallis —  12.9.14

Dieser Text ist Teil einer dreiteiligen Publikation des Spekulativen Non-Buddhismus. Die beiden anderen Texte sind die Einführung in den Spekulativen Non-Buddhismus und die Anleitung zur Benutzung der Heuristik des Spekulativen Non-BuddhismusZentraler Link für alle Texte. Bibliografie hier. Fettdruck verweist auf Einträge in der Heuristik. CTSP ist die Sigle für Cruel Theory | Sublime Practice.

Index

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Heuristik

 Abstand, gebührender (fitting proximity). Die Position des Forschers gegenüber der x-buddhistischen Wallanlage. Zu nahe, und sie betäuben einen mit ihrem Vibrato. Zu weit entfernt, und man kann keine Dezentrierung der Insassen mehr erreichen.

Aporetische Dissonanz (aporetic dissonance). Ein affektiver Zustand. Der dissonante Klang einstürzender Luftschlösser, die damit einhergehende Verstörung, die Verwirrung und der Orientierungsverlust im Suchenden – die Integrität buddhistischer Selbstdarstellung wird unglaubwürdig. Es ist die Ahnung, dass buddhistische Selbstdarstellungsrhetorik nichts ist als die Sackgasse des Unverstandes. Der Auftakt zur Aporetischen Prüfung.

Aporetische Prüfung (aporetic inquiry). Eine kognitive, interrogative Eigenschaft des Spekulativen Non-Buddhismus, die aus dem affektiven Zustand der aporetischen Dissonanz entsteht. Der Zerfall, den die Dissonanz initialisiert, setzt den buddhistischen Strom der Postulation außer Kraft und entkräftet sein Charisma. Eine derartige Zerfall macht dem Praktiker (i) Risse, Lücken, Aporien im buddhistischen Walten deutlich und (ii) die Möglichkeit, dass buddhistische Rhetorik nichts bewirkt, als Aporien mit buddhistischen Phantasmagorien zuzukleistern bzw. sich ihrer grundsätzlich zu entziehen.

Außerkraftsetzung der Ermächtigung (cancellation of warrant). Eine der wichtigen Konsequenzen aus der Anwendung der Heuristik des Spekulativen Non-Buddhismus: die Implosion buddhistischer Glaubwürdigkeit. Tatsächlich kann der Spekulative Non-Buddhismus, aufgrund des Zwangscharakters buddhistischer Entscheidung, seine Arbeit nicht beginnen, solange die Außerkraftsetzung der Ermächtigung nicht stattgefunden hat. Diese Außerkraftsetzung ist dabei kein willentlicher Akt. Es ist das plötzliche Verschwinden – affektiv wie kognitiv – einer Fata Morgana.

Bauchrednerei (ventriloquism). Der X-Buddhist erzeugt buddhistische Repräsentationen durch Rede und Schrift. In der Bauchrednerei findet der X-Buddhist zu seiner Inkarnation als Verkörperung der dharmischen Welt. Die Bauchrednerei zeigt sich in vorhersehbaren Wiederholungen von Buddhemen in kanonischer Literatur, buddhistischen Belehrungen oder Blogposts. In seiner extremsten Form äussert sich die Bauchrednerei so, dass sich im Dialog zwar der Mund des X-Buddhisten bewegt, tatsächlich aber die Tradition spricht. In der Schrift ist es eine Art spiritualisierter Automatisierung – eine Form medialer Kryptomnesie. Im Exzess ist es eine Form der Dummheit.

Begehren (desire). Laut x-buddhistischer Fügung ist das Begehren die charakteristische Ursache für Schmerz und Leid. Es ist eine Art unstillbares Verlangen, welches das der menschlichen Situation innewohnende Unbehagen eskaliert. Der X-Buddhismus nimmt für sich in Anspruch, Wissen darüber zu haben, wie dieses Begehren, diese Gier, zu eliminieren ist. Doch im gleichen Atemzug mit dem der X-Buddhismus diesen Anspruch formuliert, stellt er sicher, wie Lacan sagt, dass das Begehren das Begehren nicht aufgibt. (Wobei für Lacan natürlich diese Beharrungskraft vorteilhaft ist. Für den X-Buddhismus ist sie nachteilig.) Indem diesem Anspruch Ausdruck verliehen wird, wird im Hörer die affektive Entscheidung hervorgerufen. Die Entscheidung wiederum verlangt nach der Produktion einer speziellen Varietät des Verlangens: des Verlangens, die vom X-Buddhismus selbst erzeugte Spaltung der Welt zu sühnen. Ironischerweise ist X-Buddhismus das, was Barry Magid (Lehrer bei Ordinary Mind Zen) eine „heilende Fantasie“ nennt:

Eine heilende Fantasie ist ein Privatmythos, den wir nutzen, um zu erklären, was mit uns und unserem Leben falsch läuft und es ist eine Vorstellung davon, wie das alles besser zu machen sei. Manchmal ist das in aller Deutlichkeit zu sehen: wir sind sicher, was falsch läuft und wir sind sicher, wie es zu richten ist. (Ending the Pursuit of Happiness, Somerville, 2008, S. 6)

Um die Ironie in dieser Aussage zu sehen, muss man sie gegen Magids Absicht lesen. X-Buddhismus offenbart sich permanent als ein solcher Privatmythos der Erlösung. X-Buddhismus ist die „heilende Fantasie“ überhaupt. Er weiß was falsch läuft, er weiß wie man es richtet. X-Buddhismus versucht daher die korrekte Art und Wirkung seines spezifischen Begehrens in dir zu entwickeln – natürlich nur zu deinem Besten.

Buddheme (buddhemes). Das sich wiederholende Vokabular, die Phrasen und Sätze, die buchstäblich einhundert Prozent des x-buddhistischen Diskurses ausmachen. Buddheme werden uneingeschränkt in allen x-buddhistischen Journalen, Blogs, Magazinen, Dharma-Diskussionen, in kanonischer Literatur, Kommentaren, Sekundärliteratur, Dialogen und auf Facebook-Seiten zur Schau gestellt. Indem X-Buddhisten reflexiv in Buddhemen sprechen und schreiben, reduzieren sie Realität auf die deskriptiven Termini, die vom x-buddhistischen Diskurs zur Verfügung gestellt werden. Bezeichnenderweise wird durch den Gebrauch von Buddhemen die durch sie angebliche bewirkte Indexierung der leeren Realität vermieden, indem eine simultane Wiederauffüllung der Realität mit ihnen vorgenommen wird – nach den ihnen eigenen Vorgaben. Im Licht der Heuristik des Spekulativen Non-Buddhismus erscheint derartige Reflexivität nicht nur als symptomatisch für die Entscheidung, sondern auch als blinde ideologische Unterwerfung. Das Sprechen in Buddhemen usurpiert und überdeterminiert das Potenzial des Praktikers, seine gelebte Erfahrung auszudrücken. Der Spekulative Non-Buddhismus bezweifelt, ob die Verkündigung von Buddhemen, wie der Gebrauch aller entlehnter Sprachen, etwas anderes ist als eine Fluchtbewegung, eine, um Trost in der Umarmung der wundertätigen Sangha zu suchen. Um es deutlich zu sagen, derartige Verkündigung findet auf Kosten des eigentlichen Zieles statt, den die buddhistische Gemeinde (angeblich) zum Ziel hatte: das Abfackeln des Wahns der Repräsentation angesichts der leeren Realität.

Buddhismus. Eine explizite Repräsentation bzw. eine Gedankenwelt, die auf eine allgemein akzeptierte Syntax oder Entscheidungsstruktur gegründet ist. Wie es die Geschichte des Buddhismus veranschaulicht, erlaubt diese Struktur unaufhörliche Mutationen, in denen die Entscheidung immer wieder in neue, ewig sich entwickelnde Ausdrucksformen des „X-Buddhismus“ eingeschrieben wird. Gemäß der Lehre, bezeichnet „Buddhismus“ ein verdeckt operierendes, irisierendes, ideologisches System, das kanonisch als Belehrung eines literarischen Protagonisten namens „Buddha“ ausgegeben wird. Ästhetisch bezeichnet „Buddhismus“ eine durchgängig erkennbare Rhetorik der Selbst-Darstellung (Texte, Trachten, Bräuche der Namensgebung, Bildhauerei und Ikonografie, Haartrachten, Malerei, Ritualgegenstände, Architektur etc.). Institutionell bezeichnet „Buddhismus“ den Erzeuger und Bewahrer einer Varietät spiritualisierten Charismas. In Begriffen seiner Rhetorik der Selbst-Darstellung bezeichnet „Buddhismus“ den erstrangigen und überragenden Repräsentanten eines unabdingbaren Wissens. Ausgehend jedoch vom unerschöpflichen Vorrat an Realität welcher von der buddhistischen Entscheidung erzeugt wird – gerade wenn man von der Syntax der Entscheidung selbst ausgeht – kann „Buddhismus“ in unzähligen Arten der Erscheinungen formuliert und arrangiert werden. Das Wort „Buddhismus“ indiziert damit eine einheitliche Vielfalt: einheitlich aufgrund ihrer omnipräsenten Syntax der Entscheidung, Vielfalt aufgrund ihrer proteischen Anpassungsfähigkeit. Die Geschichte des Buddhismus zeigt, um Laruelle in diesem Kontext noch einmal zu zitieren, dass er „der Ausdruck eines universellen Marktes [ist], auf dem Konzepte nach den Regeln der jeweiligen Systeme gehandelt werden und der Ausdruck einer Instanz mit zwei Gesichtern: das der philosophischen Arbeitsteilung und das der Übernahme von Anteilen dessen, was der Markt der Konzepte produziert“ (François Laruelle, Dictionary of Non-Philosophy, S. 119) – zum Beispiel morphologische Inovationen wie Dzogchen, Soto Zen, Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion, Säkularer Buddhismus oder selbst Post-Traditioneller Buddhismus.

Buddhist (buddhist). Person, die in einer reflexiven Bewegung der strukturellen Syntax der buddhistischen Entscheidung verpflichtet ist. Die Verkörperung („die Gestalt“) der buddhistischen Gedankenwelt und daher ihr zentraler Akteur. Eine Person, deren Rede betreffend unabdingbarer Angelegenheiten aus Buddhemen konstruiert ist. Die radikal proteische Natur der Entscheidung zur Adaption gegeben, sind die möglichen Modifikationen (x-) des abstrakten Substantivs „Buddhist“ unbeschränkt, daher „X-Buddhist“.

Charisma, Devitalisierung des (Devitalization of charism). Die x-buddhistischen Wallanlagen werden durch Charisma abgeriegelt. Die x-buddhistischen Charismen sind nicht-greifbare „Geschenke“ die aus der Fügung des Dharma hervorquellen und von denen beteuert wird, sie bestünden aus Weisheit, Wissen, Gemeinschaft, wundertätigen Verhältnissen, Heilung usw. Solche Geschenke üben eine bindende Wirkung auf den X-Buddhisten aus. Aus ihren charismatischen Suggestionen resultiert eine Erblindung des X-Buddhisten gegenüber der Struktur der Entscheidung und den aus ihr resultierenden Verpflichtungen. Der Einsatz der Heuristiken des Spekulativen Non-Buddhismus ermöglicht es dem X-Buddhisten, sich aus diesen zwanghaften und größtenteils unbewussten Verstrickungen zu lösen und die Effekte des Charisma wahrzunehmen. Die kreative Verzerrung (vgl. Krümmung) – angewandte spekulative Rekonfiguration – ist nicht möglich, solange das Charisma nicht neutralisiert ist.

Desinteresse (disinterest). Eine affektive Qualität. Der Forscher des Spekulativen Non-Buddhismus verwirkt seinen Auftrag, wenn er sich für buddhistische Gedanken hergibt oder wenn er die x-buddhistischen Wallanlagen in revolutionärer Manier zu erstürmen versucht. Die physische Erscheinung des Desinteresses, das sich mit dem charismatischen x-buddhistischen Omen konfrontiert sieht, ist ein simples Schulterzucken, gefolgt von einem besorgten Blick auf die Delegierten des Omens. Für das Desinteresse erscheint das Interesse als Symptom der Gier nach Exklusivität in Form der wundertätigen Sangha.

Destruktion (destruction). Was nicht zerstört wird, ist die buddhistische Entscheidung. Damit der Spekulative Non-Buddhismus etwas erreichen kann, muss diese Struktur erhalten bleiben. Denn es ist klar, nur wenn sie intakt ist, kann sie entblößt werden. Wenn es allerdings soweit ist, vollzieht sich eine Neuformulierung, die zerstörerische Konsequenzen hat. Daher ist der Spekulative Non-Buddhismus sehr daran interessiert, die Nachbeben dieser Destruktion des X-Buddhismus zu beobachten. Aber wie schon erwähnt, die Destruktion, die aus seiner Analyse resultiert, ist Heideggers Destruktion in Sein und Zeit näher als einer Rhetorik vom Ende des Buddhismus oder vom Ende der Religion. Ein ausführliches Zitat von Heidegger wird das verdeutlichen:

Die hierbei zur Herrschaft kommende Tradition macht zunächst und zumeist das, was sie „übergibt“, so wenig zugänglich, dass sie es vielmehr verdeckt. Sie überantwortet das Überkommene der Selbstverständlichkeit und verlegt den Zugang zu den ursprünglichen „Quellen“, daraus die überlieferten Kategorien und Begriffe z. T. in echter Weise geschöpft wurden. Die Tradition macht sogar eine solche Herkunft überhaupt vergessen. Sie bildet die Unbedürftigkeit aus, einen solchen Rückgang in seiner Notwendigkeit auch nur zu verstehen. (Martin Heidegger, Sein und Zeit, Tübingen, 2006, S. 21)

Detailfetischismus (detail fetish). Siehe Erklärungswut.

Dezentrierung (Ancoric loss). Ein affektiver Zustand. Das irreversible Ende der Hoffnung, dass „Buddhismus“ die magische Zuflucht ist, die er in seiner Selbstdarstellungsrhetorik für sich in Anspruch nimmt. Der spekulative Non-Buddhismus setzte eine Haltung des Nicht-Hoffens voraus. Interessanterweise gleicht die Dezentrierung der dem Buddhismus eigenen Ernüchterung und erinnert an seinen Tropus vom Verlassen der Heimat.

Dharma, Der (Dharma, The). Das irisierende Hyper-Zeichen samsarischer Kontingenz. Wie Gott, Recht, Logos, Rta, Der Dao usw. ist Der Dharma (zu Deutsch: Die Norm als buddhistische Trinität der Fügung, Wahrheit und kosmischen Struktur) der Architekt der großen kosmischen Schatzkammer und ihres Inventars. Als solcher verursacht er die buddhistische Halluzination der Realität. In seiner Funktion als Entscheidung ist Der Dharma der transzendental-immanente Operator, der die rein immanente Dyade aus raumzeitlicher Wechselhaftigkeit (Samsara) und Kontingenz (Paticcasamuppada) synthetisiert. Seine halluzinatorischen Fähigkeiten resultieren aus der Tatsache, dass Der Dharma eine völlig idealisierte Funktion aus (transzendentaler) Grammatik ist, die endlos Aussagen über eine endliche (immanente) Welt produziert. Der Dharma ist die Achse, um die sich der alles überwältigende x-buddhistische Götze dreht und dreht und dreht. Er ist das (durch Den Dharma autorisierte) buddhistische Kitten der angeblichen (durch Den Dharma bezeugten) Zersplitterung einer Ganzheit, die (indexiert durch Den Dharma) am Zustand der Welt exemplifiziert wird, welche (von Dem Dharma) als raumzeitliche Wechselhaftigkeit/Kontingenz beschrieben wird.

Entscheidung (decision). Eine affektive und kognitive Operation. Affektiv ist „Entscheidung“ umgangssprachlich zu verstehen. Dies beinhaltet eine psychologische und emotionale (und in vielen Fällen ökonomische) Entschlossenheit, eine bestimmte Voraussetzung oder einen bestimmten Zustand über oder gegen andere Möglichkeiten zu stellen. In diesem Fall beinhaltet Entscheidung (i) die Festlegung darauf, dass der X-Buddhismus eine grundsätzliche Wahrheit verkündet und (ii) die Abhängigkeit von seinem Charisma. Kognitiv ist Entscheidung technisch zu verstehen. Von Laruelle abgeleitet, beinhaltet sie die Spaltung in ein immanent und axiomatisch Gegebenes (leere Realität der Welt) und einem transzendental Idealisierten (die Welt als durch den Dharma repräsentiert). Diese Spaltung ermöglichen dem X-Buddhismus, die irisierenden Erscheinungen, die seine totalisierende Fügung begründen, welche wiederum in seiner rhetorischen Selbstdarstellung zum Tragen kommt. Gleichzeitig allerdings schließt diese Spaltung der Entscheidung den X-Buddhismus von der Gemeinschaft des Wissens aus. Der Spekulative Non-Buddhismus entlarvt diese Entscheidungs-Syntax, die ohne Ausnahme in jeder Inkarnation des X-Buddhismus wirkt.

Erklärungswut (exemplivicative braggadocio). Auch bekannt als x-buddhistischer Detailfetischismus. Verweis auf einen Verhaltensmodus. Eine Form der Argumentation in der winzige Details des X-Buddhismus zu tragenden Elementen der Verkündigung über Realität werden. Die x-buddhistische Erklärungswut ist eine primäre Manifestation des Prinzips des suffizienten Buddhismus. Es ist die Art, wie x-buddhistische Kommentatoren Beispiele zitieren: Sutta, Sutra oder Tantra a, b oder c sagt x, y oder z; die buddhistische Schule oder der buddhistische Lehrer a, b oder c sagt x, y oder z usw. Ich könnte ohne Übertreibung hinzufügen, dass sie ihre Beispiele ad infinitum zitieren, denn die Verbeispielisierung ist eine essenzieller Bestandteil dharmischen Diskurses. Die lange Geschichte und die gewaltige kulturell-geografische Ausdehnung der buddhistischen Fügung, bieten ein unüberschaubares und schier endloses Ersatzteillager, dessen sich die dharmische Verbeispielisierung bedienen kann. Deshalb betone ich, dass der X-Buddhismus ein alles verschlingender Moloch ist, dem nichts entgeht: Es gibt nichts unter der Sonne, für das der X-Buddhismus nicht ein Beispiel anführen könnte. Darüber hinaus lassen die aus der buddhistischen Entscheidung abgeleiteten Beispiele zu, dass der X-Buddhist zu einer Person wird, die, wie Ray Brassier vom Philosophen sagt, „alles (Verhältnisse und Begriffe) aus der Vogelperspektive sieht“. Was für Wittgenstein das Baumaterial und für Heidegger der Hammer, ist für den X-Buddhisten das Beispiel.

Im Gegensatz zum X-Buddhismus, sieht der Non-Buddhismus das beständige Gefasel der dharmischen Erklärungswut nicht als irisierte Momente der Realität, die seine Beispiele beleuchten sollen (den Geist betreffend, Materie, Bewusstsein, Wahrnehmung, Empfindung usw.), sondern als Symptome, die analysiert werden müssen. Eine Analyse der Formen buddhistischer Verbeispielisierung führte mich auch dazu, Laruelles Axiom der Entscheidung in der hier dargestellten Art auf den X-Buddhismus anzuwenden. Die endlose dharmischen Verbeispielisierungen zeigen im X-Buddhismus am besten die Zirkularität der Entscheidung bzw. das, was Laruelle „Autopositionierung“ (Irisation) nennt. An dieser Stelle ist es abermals hilfreich, Brassier zu zitieren:

Das Irisieren der Entscheidung sorgt dafür, dass die Welt der Spiegel [des Buddhismus] bleibt. Im Zuge [buddhistischer Theoriebildung] wird die Welt zum Vorwand endloser Selbst-Interpretation. Da Interpretation eher eine Sache des Talents als der Genauigkeit ist, verewigt die Vielzahl wechselseitig unvereinbarer und nicht-falsifizierbarer Interpretationen die unbegrenzte Allgegenwart auto-inkludierender [x-buddhistischer] Irisation. Absolute Irisation erzeugt infinite Interpretation – das ist die Norm der [x-buddhistischen] Form des Denkens. (Vgl. Ray Brassier, Axiomatic Heresy: The Non-Philosophy of François Laruelle. In: Radical Philosophy, September/October 2003, S. 26 f.)

Die Ironie aus non-buddhistischer Sicht, wenn X-Buddhisten andere X-Buddhisten mit Beispielen bombardieren, ist, dass sie lediglich – in einer Meta-Exemplifikation! – die Einheit buddhistischer Syntax ausdrücken. Das ist umso aufschlussreicher, da ihre Beispiele, anders als sie behaupten, nicht der Realität entnommen sind oder diese beleuchten, sondern reine Selbstbeschreibungen sind.

Ernüchterung, notwendige (saliency of requisite disenchantment). „Ernüchterung“ ist ein wichtiger buddhistischer Begriff. Der Protagonist setzt sie als Katalysator par excellence. Beispielsweise ist das Haus verlassen“, oder „das Leben dem Dharma weihen“ ohne diese affektive Voraussetzung nicht möglich. In Manier des Spekulativen Non-Buddhismus können wir hier eine Devestitur des Begriffes vornehmen und ihn damit von der Beschränktheit des X-Buddhismus befreien. Indem wir das tun, beanspruchen wir ihn als einen Wert für den Menschen. Wir wenden ihn gegen „das Haus verlassen“, „das Leben dem Dharma weihen“, gegen den X-Buddhismus selbst! Die Ernüchterung über das irisierende buddhistische Orakel ist der Auslöser für die Analyse durch den Spekulativen Non-Buddhismus.

Gotamischer Kalkül (gotamic calculus). Die ersten Benennungen oder UrWorte – hergeleitet vom kanonischen Protagonisten, Siddhattha Gotama, dem Buddha – die ein gegebener X-Buddhist anwendet, um sein Modell von Sein und Werden darzustellen. Im Allgemeinen betrifft ein Kalkül (der Infinitesimalrechnung) die Tangente oder den Bahnverlauf stetiger, unmittelbarer Veränderung und die Fläche oder den Raum, der sich daraus, wenn auch nur vorübergehend, ergibt. Als solcher betrifft der Kalkül die Quantifizierung von Grenzwerten der realen Welt. Newtons Gebrauch des Kalküls erlaubte eine mathematische Beschreibung physischer Phänomene. Im Gegensatz dazu befasst sich Gotama mit qualitativen Grenzwerten der realen Welt. Seine wichtigsten Begriffe sind die Konzepte die das Inventar des Dharma ausmachen. Dabei wenden verschiedene X-Buddhismen wechselnde Oberbegriffe an. Das Beispiel eines klassisch-buddhistischen Kalküls mag folgendermaßen aussehen: Ernüchterung, anzestrale Anamnesis, Verschwinden, Symbolische Identität, Nullheit, konzeptionelle Wucherung, Kontingenz, Welt, Oberfläche, Klarheit, Lösen-Erlöschen (nibbida, sati, anicca, anattā, suññatā, papañca, paticcasamuppāda, loka, sabba, paññā, nibbāna). Diese grundlegenden Konzepte sind brauchbare Kandidaten für einen gotamischen Kalkül, denn sie sind wohl die sine qua non des klassischen Buddhismus (daher sind sie erste Benennungen oder UrWorte). Ohne sie ist die früheste (buddhistische) Fügung wenig mehr als ein platitüdenhaftes ethisches System, verbunden mit frommen Praktiken, situiert in einem langweiligen philosophischen Rahmen. Es ist gerade wegen robuster existentieller Postulate wie „Verschwinden“ und „radikale Kontingenz“, dass der klassische Buddhismus das Interesse der Denker dieser Welt, von Philosophen, Physikern und Künstlern, auf sich gezogen hat. Die große Ironie hierbei ist, dass klassisch orientierte X-Buddhismen selbst (z. B. säkulare, atheistische, agnostische, die der Waldtraditionen, traditionelle Theravada, Vipassana, MBSR und einige andere) sich den ultimativen und stimulierenden Schlussfolgerungen entziehen, die aus ihren eigenen Begriffen folgen – dem, oder einem, unausweichlichen Resultat. Das Ergebnis dieser Vermeidung ist, dass diese Begriffe den x-buddhistischen Diskurs wie ein Spuk verfolgen. Der Kalkül scheint einen anderen Bahnverlauf nicht nur zu erlauben, sondern geradezu zu fordern. Diese Fixpunkte im Netzwerk x-buddhistischer Postulate führen daher zu berechtigten, bisher aber nicht untersuchten Fragen: Ist es nicht so, dass Konzepte wie Nullheit und radikale Kontingenz einen Schatten auf den heutigen x-buddhistisch-epikureischen Pfad der Eudaimonie werfen? Hängen nicht Ideen wie Verschwinden und Erlöschen wie eine dunkle Wolke über dem Ziel des Pfades, Nirvana, wenn dieses als heilender Ort ausgelegt wird, an dem „der Durst auf ganz natürliche Art gelöscht“ wird? Das heuristische Werkzeug „gotamischer Kalkül“ fordert vom Fragenden, derartige Neuberechnungen x-buddhistischer UrWorte durchzuspielen und unerbittlich über jedes noch so unerwartete Ergebnis nachzudenken – wohin auch immer derartige Gedanken führen mögen.

Großes Fest des Wissens (Great Feast of Knowledge). Die buddhistische Entscheidung ist ein willkürliches Gesetz der Arroganz. Seine Vertreter sind unter anderem Erleuchtung, Mitgefühl, Leid, Illusion und Achtsamkeit. Wägt man sie, ohne ihre Ermächtigung durch die buddhistische Entscheidung in Betracht zu ziehen, stellt sich heraus, dass es sich um unqualifizierte, unbrauchbare, unzuverlässige oder sogar suspekte Charaktere handelt. Bei genauer Betrachtung wird deutlich, wie sehr sie sich auf ihre angebliche Wichtigkeit, Notwendigkeit, Offensichtlichkeit, Erwünschtheit und ihre geheuchelte Natürlichkeit verlassen. Der Spekulative Non-Buddhismus geleitet diese Vertreter des X-Buddhismus zum großen Fest des Wissens. Dort müssen sie sich beispielsweise gegenüber der Kunst, Philosophy, Literatur, Biologie, Physik usw. behaupten. Aus Sicht des Spekulativen Non-Buddhismus verlieren die Vertreter des X-Buddhismus bei einem solchen Austausch, bei dem ihre Immunität nicht mehr durch den Leibwächter des Dharma (und dem Strom der Postulation) garantiert wird, jeglichen Status quo. Letzterer, begründet auf dem willkürlichen Gesetz der Entscheidung, wird damit annulliert. Derart im Großen Fest des Wissens positioniert, verändert sich das, was die Repräsentanten des X-Buddhismus zu bieten haben, radikal. (So ist zum Beispiel die „Illusion“, das erste aller Übel von denen der X-Buddhismus zu heilen trachtet, aus Kunst oder Evolutionsbiologie überhaupt nicht wegzudenken.)

Humophobia (Humophobia). „Zuallererst sollten wir damit aufhören, zu zögern das zu werden, was wir tatsächlich und essentiell sind“, sagt Henry Miller. Tatsächlich und essenziell sind wir Menschen. Die Macht der x-buddhistischen Unterwerfung kann als Versuch verstanden werden, diese „Essenz“ zum Verstummen zu bringen, umzukehren oder sogar auszulöschen. Sie tut dies, indem sie einen ganzen Pantheon „verwirklichter“ Vorbilder anbietet. Vom traditionellen Arhat und Bodhisattva bis zum zeitgenössischen Praktizierenden der Achtsamkeit, üben sie sich alle kunstfertig in den erleuchteten Künsten der Weisheit, des Mitgefühls, der Güte, der nicht-wertenden Aufmerksamkeit und in einer Menge anderer heilstiftender Vollkommenheiten. Eine derartige x-buddhistische Typologie täuscht zynisch über den Menschen aus Fleisch und Blut hinweg und gestaltet stattdessen Fantasiereiche, die mit erleuchteten Mutanten bevölkert werden. Die einzige Form wie diese x-buddhistische Typologie funktionieren kann, ist, dass sie den Menschen vereinnahmt und überwältigt. Das heißt, der X-Buddhismus legt zunächst fest, dass das „unwissende Kind dieser Welt“ geil, verblendet, bösartig und ahnungslos ist, um ihm dann den Weg zu zeigen, wie es sich aus dieser Misere herauswinden kann.

Ideologische Opazität (ideological opacity). Der X-Buddhismus ist nichts als ein Sog, der mit Teilhabe und Identitätsstiftung lockt. Er tut dies, indem er implizit und explizit danach trachtet, bestimmte Subjekte nach seinem Ebenbild zu schaffen. Die Basis seines transformierenden Schaffens besteht dabei aus selbstverordneten sozialen, linguistischen, frommen und meditativen Praktiken. All das wird darüber hinaus von starken institutionellen Verpflichtungen begleitet, was zu Hyper-Reflexivität führt. Diese Eigenschaften beschreiben nicht ein evtl. streitiges Programm der Wissensproduktion oder des Erwerbs von Fähigkeiten, sondern ein ideologisches System der Indoktrination. Sie beschreiben ein systematisches Programm der Persönlichkeitsumgestaltung und der sozialen Reproduktion, dessen Ideen, Glaubenssätze, Ziele und Handlungen nicht von individuellen Akteuren stammen, sondern von einer angeblich präexistenten Norm: Dem Dharma. Der Spekulative Non-Buddhismus ist stets misstrauisch gegenüber jedweder buddhistischer Verfügung allgemeiner Art, sei es das Selbst betreffend, die Gesellschaft oder den Kosmos. Allein die Tatsache, dass Der Dharma unbehelligt von jeglichen methodischen Einwänden z. B. des Spekulativen Non-Buddhismus, unbesehen als Wie-die-Dinge-sind, Natur oder Selbstverständlichkeit operieren soll, ist Beleg für seinen ideologischen Ursprung als Machenschaft des X-Buddhismus. Die Frage ist, ob das Dazwischentreten des Non-Buddhismus Transparenz und Einsicht in diese opaken Ränkespiele x-buddhistischer Ideologie bringt.

Krümmung (curvature). Analog zur Nicht- bzw. Non-Euklidischen Geometrie, in der durch die Aufhebung eines einzigen Postulates elliptische und hyperbolische Krümmungen möglich werden – wodurch der umfassende Anspruch der Euklidischen Geometrie aufgehoben wird. Die Heuristiken des Spekulativen Non-Buddhismus bringen die Verzerrungen, die der Buddhismus produziert, zum Vorschein. Verbindungslinien, Gegenüberstellungen und Überschneidungen, die durch die Rhetorik buddhistischer Selbstdarstellung nahegelegt werden, erscheinen wie die Täuschungen der Bilderflut in einem Spiegelkabinett. Dennoch: In Verzerrung und Verdrehung könnten neue Muster sichtbar werden.

Leere Realität (empty reality). Eine anderer Begriff für radikale Immanenz. Mit anderen Worten: die banalste, enttäuschendste, uninteressanteste, gewöhnlichste und nichtssagendeste Tatsache über das Leben, die man sich vorstellen kann. Auf einer Ebene ist es nichts, das die Welt nicht ist. Auf einer anderen ist es alles, was die Welt noch nicht ist und all dass, was sie schon ist. Ontisch gesehen kartiert die Wissenschaft die leere Realität. Entwicklungslinien die den Wachstumsprozess der Erde und die Entstehung erster Zellformen beschreiben, wie auch die damit zusammenhängenden Aussagen über Zellauflösung und den Zeitpunkt, zu dem die Erde zu Asche werden wird, deuten auf leere Realität. Die Kultur fügt dem ihre eigenen Repräsentationen zu. Die primäre Zielsetzung des Spekulativen Non-Buddhismus ist dabei, den 200.000 Jahre alten Homo Sapiens dazu zu ermuntern, sich entsprechend dieser leeren Realität einzurichten, und zwar zunächst mit der jeweils notwendigen, funktionierenden, kulturell minimierten Repräsentation. Die Bannung der x-buddhistische Umnachtung, die der X-Buddhismus aus seinen verworrenen Repräsentationen einer leeren Realität evoziert, bestimmt den eigentlichen Grund der Existenz des Spekulativen Non-Buddhismus. Entgegen den narzisstischen Impulsen eines Homo Sapiens, seine flüchtigen kulturellen Fiktionen zu überhöhen, ist es keineswegs nötig, in eine leere Realität so etwas wie śūnyatā, Nicht-Selbst, „die Dinge wie sie sind“, bedingtes Entstehen oder sonst irgendwas in der Art wieder einzuschreiben. Die leere Realität ist im „einfach so“ des Alltags gegeben. Der Begriff „leere Realität“ wird benutzt, da er das vertraute Reale, das radikal Immanente bezeichnet, ohne dabei in ein herzzerreißendes Vibrato der Seele zu zerfließen. Begriffe wie śūnyatā, die vom X-Buddhismus korrumpiert sind, tun genau das. Śūnyatā zum Beispiel ist Peter Dai Fu Genko Müller, während die „leere Realität“ einfach Peter Müller heißt. Es ist eine rhetorische Extravaganz die das verdunkelt, was sie zu bezeichnen vorgibt, indem sie überschreibt, was sie benennt (mit Grandiosität, kulturell-historischer Komplexität usw.). Der X-Buddhist, als ein Schemen des Buddhismus, mag vielleicht versuchen, leere Realität zu kommentieren, aber indem er das qua x-buddhistischer Verlautbarung in Form eines Buddhemes tut, kann das nur zu einer weiteren Variante buddhistischer Entscheidung werden – noch ein Dreh der ewig rotierenden dharmischen Weltenachse. Leere Realität ist nicht die Angelegenheit des X-Buddhismus. Leere Realität ist überhaupt nichts. Kann dieser Begriff diesen Punkt direkter und klarer ausdrücken? In weiten Bereichen bezeichnet Buddhismus nur die Art wie leere Realität mit bestimmten Repräsentationen stilisiert wird. Und schließlich legen Begriffe wie śūnyatā nahe, dass hier auch eine bittere Ironie zu finden ist: der X-Buddhismus codiert mit ihm seine eigene Annullierung. Allerdings ist es keinem X-Buddhist möglich, diese Annullierung tatsächlich durchzuführen. Das wäre unmöglich. Daher: Non-Buddhismus.

Material (material). Spekulativer Non-Buddhismus ist eine Kritik x-buddhistischen Materials. Das zu betrachtende Material beinhaltet diverse Formen des Denkens und der Praxis des X-Buddhismus: Sanghas, Praxisgruppen, Retreats, Retreatzentren, Rituale und Ritualisierung, Regelwerke, Konzepte, Sprachgebrauch, Rhetorik, Webseiten, Blogs, Foren, populäre und akademische Bücher, Magazine, kanonische Literatur, Paraphernalia, Altäre, Werkzeuge, Ikonographie, Frisuren, Praktiken der Namensgebung, Kleidung und vieles mehr. Wie der Begriff Material andeutet, treten bestimmte x-buddhistische Konfigurationen dieser Formen immer erst in zweiter Linie auf. Die Dezimierung des Materials (vgl. den Abschnitt Aktion in der Einführung) ist daher ein Einspruch des Menschen, vom Menschen, für den Menschen.

Postulatdeflation (postulate deflation). Ablehnung charismatischer Prahlerei x-buddhistischer Begriffsherrscher, so dass sie gezwungen sind, am allgemeinen Diskurs teilzunehmen. Siehe Großes Fest des Wissen.

Prinzip des suffizienten Buddhismus (oder auch: Prinzip des totalen Buddhismus) (principle of sufficient Buddhism). Konzept welches dem von Laruelle dargestellten „Prinzip der suffizienten Philosophie“ gleicht. Dieses besagt: Alles ist philosophierbar. Die x-buddhistische Entscheidung ist ebenfalls ein solcher Mechanismus, dessen Schöpfer (X-Buddhisten) in einem Akt der Anmaßung davon ausgehen, dass alles unter der Sonne Sache ihrer orakelhaften Verkündigungen ist, sowie, dass die Summe dieser Verkündigungen (der Strom der Postulation) eine adäquate Darstellung – eine einheitliche Vorstellung – der Realität bietet. „Buddhismus“ bedeutet daher für „Buddhisten“ eine Suffizienz. Wie die Postulatdeflation aber zeigt, kann der X-Buddhismus diesen Anschein der Suffizienz nur wahren, wenn er es vermeidet, mit dem großen Fest des Wissen in Kontakt zu geraten. Diese Haltung der Verdrängung zeigt sich dann als eine Kurzsichtigkeit, mit der Buddhismus lediglich als suffizient erscheint. Die so geschaute Realität zeigt sich wie von einem Brandpilz befallen. „Die x-buddhistische Sichtweise bezüglich Y“ wird verwechselt mit und erscheint an Stelle von „Y“.

Protagonist, Der (protagonist, the). Auch bekannt als „das Buddha-Idol“. Die Keimzelle buddhistischer Fügung. Sie wird mit diversen Namen bezeichnet, z. B. „Der Buddha“, „Gotama“ oder „Der Erwachte“. Die Benennung als „der Protagonist“ durch den Spekulativen Non-Buddhismus bezeichnet die unwiderlegbare Tatsache, dass „der Buddha“ eine historische Figur ist, die hinter einer literarischen völlig unsichtbar geworden ist. Es gibt nicht den Hauch eines Hinweises, der etwas Licht auf diese historische Keimzelle werfen würde. Jeder verlässliche historische Beleg, der existierte, wurde durch die Machenschaften sich gegenseitig in der Produktion von Mumpitz überbietenden x-buddhistischer Institutionen und durch ihre Täuschungsmanöver ideologischer Bauernfängerei zur Karikatur reduziert. Das Buddha-Idol in den klassischen Palitexten ist ein Gebräu kollektiver Fantasien zahlreicher Gemeinden, die über mehrere Jahrhunderte hinweg bei der Produktion des Kanons ihre Hände im Spiel hatten. Wenn man zu diesem Gemisch all die kulturellen, politischen, fantastischen und auch einfach nur dummen Iterationen sämtlicher Formen des X-Buddhismus hinzuzählt, ist das Resultat der Buddha als ein Grosser Magischer Spiegel, der alles für alle reflektiert. Eine realistische und menschliche Gestalt als „der Buddha“ kann aus diesem vielgestaltigen Symbol buddhistischer Eitelkeit nur gewonnen werden, wenn man den dunklen Kräften eines höchst atavistischen Verlangens, einer infantilen Nostalgie nach Dem Großen Vater nachgibt.

Rehabilitation der Postulate (recommission of postulates). Sind die Postulate des X-Buddhismus dezimiert, reduziert, verstummt, der Prüfung durch die Teilnehmer am Großen Fest des Wissens überantwortet und auch sonst auf jegliche Weise ihrer charismatischen Potenz verlustig gegangen, mögen sie wieder in die Welt entlassen werden. Das Resultat allerdings wird in jedem Fall für den Buddhismus unverständlich sein. Die zweite edle Wahrheit zum Beispiel (idaṃ dukkhasamudayaṃ ariyasaccam: taṇhā) postuliert zwingend notwendiges und überlegenes Wissen betreffend der Ursache menschlicher Unrast oder des sogenannten „Leidens“ (dukkha), namentlich „Gier“ (taṇhā). Ohne seine Irisation, so wie es vom transzendentalen dharmischen Inventar herstammt, könnte dieses Postulat in Bezug zum „biological incentive system“ (BIS) der Bio-Wissenschaften gesetzt werden (vgl. William B. Irvine, On Desire: Why We Want What We Want). Das BIS beschreibt das Belohnungssystem, welches menschliches Verlangen als evolutionäre Adaption erklärt. Kurz gesagt, Begriffe wie „das Verlangen mitsamt der Wurzel auszureissen“, das Verlangen „erlöschen lassen“ oder das Verlangen überhaupt „ausrotten“ (alles klassisch-buddhistische Postulate), stehen im Lichte des BIS als nicht praktikabel da und beginnen wie abgedroschene Klischees auszusehen. Oder auch nicht. Wir werden nicht wissen, wie gut sich das rehabilitierte Postulat gegenüber dem Großen Fest des Wissens hält, solange wir es nicht in einem ernsthaften Dialog erleben.

Rhetorik der Selbstdarstellung (rhetorics of self-display). Die berückende Glorie, die den Palast Des Dharma umstrahlt. Die ästhetische Affektion der Thaumaturgie – Tracht, Name, Frisur, Malerei, Skulptur, Architektur. Nämlich: Der Kult des Buches, die Entrückung beim Zeigen Des Dharma, die Apotheose des Lehrers. Nämlich: Buddhas und Bodhisattvas in kostbaren Gewändern, majestätisch in himmlischen Gefilden thronend – im Reinen Land – die Aura heilsamen Lichtes verströmend. Magisches Fleisch und Knochen, frisch wie der Atem des Gesegneten. Betörende Mantras – nembutsu, daimoku, dharani – das Universum durchflutende Klangwunderwelten. Die Paraphernalia des Rituals – Statuen, Glocken, ein wirbelndes Rad wie das rettende Kruzifix in der Finsternis. Mustergültige Beispiele heute, charismatisch und hellsichtig wie der Buddha selbst, unverfroren und in aller Öffentlichkeit: Brüllende Roshis, Schamanen-Lamas, Zauber-Tulkus und wunderwirkende Arhats ( = Eine phrasenhaft aufgeladene Zurschaustellung x-buddhistischer Selbstdarstellungsrhetorik).

Spiritueller Narzissmus (spiritual narcissism). Das x-buddhistische Subjekt ist zweifach narzisstisch. Zunächst ist es dies in Hinsicht auf die generellen, weit verbreiteten Zustände wie man sie unter Religiösen findet. Das x-buddhistische Subjekt geriert sich in einer überspannten Selbstgefälligkeit. Es ist in Besitzt des Schlüssels zur kosmischen Schatzkammer der Weisheit (d. i. Der Dharma). Es gehört zur Nachkommenschaft des Erwachten. Der Heiltrank des Mannas der Achtsamkeit durchströmt sein Bewusstsein. Derart gewappnet hat jedes x-buddhistische Subjekt die Möglichkeit – und das Recht – Gesprächspartner in jeglicher Hinsicht zu übertrumpfen, egal ob es um Natur-, Geistes-, Sozial- oder Humanwissenschaften geht, und sich, wie die Freiheit von Delacroix, an die Spitze der kampfbereiten Massen zu stellen. Diese Form des x-buddhistischen Narzissmus ist offensichtlich. Die zweite Form ist subtiler. Diese heimtückische Form des spirituellen Narzissmus hat das Potenzial zum „Selbstmord, der sich als Mord ausgibt“. So formuliert es Laruelle in „Theorem 000000“. Und er sagt weiter:

[X-Buddhismus] hat nur das eine Ziel: den Menschen glauben zu machen, er müsse sich mit dem [X-Buddhismus] identifizieren; ihn dazu zubringen, diesen Selbstmord zu begehen, einen Selbstmord, der als Mord ausgegeben wird, dessen der Mensch angeklagt ist. [vgl. François Laruell, Theorems on the Good News]

Es ist, wie Ovid in den Metamorphosen sagt, Narziss starb „da er seiner selbst nicht habhaft werden konnte und dabei sich selbst als den Anderen sah.“ Wie Narziss ist auch der Nachkomme des Buddha (gleich dem Stammvater selbst) „vom Eifer der Jagd und von Hitze müde“ – vom Stress und vom Unbehagen, nistend im schwelenden samsarischen Brand. Auch er lässt sich nieder „gelockt von dem Quell und der Schöne der Stätte“ – dem Versprechen, welches die Rede von der „Zuflucht“ durchtränkt. Und doch ergeht es dem X-Buddhisten wie Narziss:

Während den Durst zu löschen er strebt, wird anderer Durst wach. Denn im Trinken vom Schein des gesehenen Bildes bezaubert, liebt er einen Wahn: er hält für Körper, was Schatten. Sich anstaunt er selbst, und starr mit dem selbigen Blicke ist er gebannt.

Wie Narziss ist der X-Buddhist verzaubert vom wässrigen Wiederbild seines verklärten Selbst – der Erscheinung in der dharmischen Fügung, dem „verwirklichten“ Subjekt. Oder anders gesagt, er ist der Illusion zum Opfer gefallen, das x-buddhistische Subjekt könne seine Identität ersetzen. Die Heuristik beschwört daher den X-Buddhisten, wie Ovids Erzähler den Narziss:

Nirgends ist, was du begehrst. Sieh weg, und es flieht das Geliebte. Schatten ist, was du gewahrst, vom widergespiegelten Bilde! Nichts ist eigen daran. Mit dir nur kam und verbleibt er. Weggehn wird er mit dir, wenn wegzugehn du vermöchtest.

Natürlich ist diese Beschwörung vergebens – die lustvolle Fantasie des „verwirklichten“ Subjektes hat nun eine reale Form, obwohl diese fliessend und flüchtig bleibt. Und so muss der x-buddhistische Narziss schließlich eingestehen:

Vor mir steht es und lockt, doch was dasteht so verlockend, ach, ich find‘ es ja nicht.

Störung (disruption). Die x-buddhistische Weltanschauung gleicht einem Energieversorgungsunternehmen, das Charisma durch die Leitungsnetze der ehrenwerten buddhistischen Übertragung pumpt. Gleichgerichtet durch ihre Rhetorik der Selbstdarstellung, breitet sich die Spannung in untergeordnete Sangha-Stationen und bis in den affektiv-kognitiven Entscheidungsapparat des Individuums aus. Die Heuristik des Spekulativen Non-Buddhismus ermöglicht eine Blockade der Energieübertragung und damit eine Untersuchung der x-buddhistischen Maschinerie sowie eine Analyse seiner Energieträger.

Strom der Postulation (voltaic network of postulation). Eine selbst-generierende Totalität, die die buddhistische Fügung erzeugt. Die Gesamtheit alles Prämissen, Behauptungen, Thesen, stillschweigender Voraussetzungen, Glaubenssätze, Axiome usw., verbunden mit der Gesamtheit aller Verkündigungen, Vorträge, Interpretationen, Kommentare, Kommentare über Kommentare, Sekundärliteratur usw. Wegen des überwältigenden und komplexen Übermaßes dieser fünfundzwanzig Jahrhunderte alten Fügung, können unendliche viele und jeweils in sich vollständige X-Buddhismen aus diesem Strom erschaffen werden.

Vibrato (vibrato). In jeder Stellungnahme, die stillschweigend oder ausdrücklich davon ausgeht, dass der X-Buddhismus über das große Fest des Wissens regiert, schwingt ein Vibrato mit, welches aus der dem X-Buddhismus eigenen Orchestrierung stammt. Das Vibrato entsteht aus dem Klang multipler Postulate. Der Non-Buddhismus bringt das Vibrato zum Verstummen und entkräftet so seine Wirksamkeit. Er tut dies zum Teil, indem er verhindert, dass die buddhistische Entscheidung x-buddhistische Postulate ermächtigt. Letztere liegen dann nur noch reduziert oder dezimiert vor. Der Spekulative Non-Buddhismus betrachtet diese Deflation als heilsam. Wo die inflationierten (x-buddhistischen) Postulate Schatten auf den Grund des Denkens werfen, legt die non-buddhistische Deflation einen hellen Raum für die Spekulation frei. Wo x-buddhistische Inflation versucht, die Richtung des Denkens vorherzubestimmen (immer auf sich selbst zurück), sind die Richtung des Denkens und der Anwendung, die sich aus non-buddhistischer Deflation ergeben, unbestimmt.

Welt (world). Das Resultat einer Mischung, namentlich aus X-Buddhismus und dem immanenten Sensorium. Zusammen mit „der Person“ und „dem Bewusstsein“ erzeugt „die Welt“ einen primären Referenzpunkt für x-buddhistische doktrinäre Annahmen (loka, kṣetra, cakravāla). Der Horizont der x-buddhistischen „Welt“ beinhaltet die irdische Sphäre, reicht aber weit darüber hinaus. Sie beinhaltet zahlreiche Himmels- und Höllenreiche in einem vielfach abgestuften Kosmos bzw. enthält viele Universen, wenn nicht sogar ein Multiversum. Für den selbstbezüglichen, praktizierenden X-Buddhisten werden Annahmen über „die Welt“, die Grundlage für die spezifisch x-buddhistische Gedankenwelt bzw. für die Welt wie sie aus x-buddhistischen Konzepten heraus entsteht. In diesem Sinne ist der X-Buddhist, wie Laruelle über den Philosophen sagt, „das Kapital oder ein Quasi-Kapital in der Ordnung des Denkens bzw. die Form der Welt. (François Laruelle, Dictionary of Non-philosophy, S. 119) Man kann daher den X-Buddhisten als das verkörperte Produkt der buddhistischen Fügung sehen, die aus dieser halluzinierten Gedankenwelt heraus entsteht.

Zauberzuflucht (thaumaturgical refuge). Das gespreizte Gehabe buddhistischer Lehrer, mit dem diese in der Sangha Wunder tätigen. Anzeichen für wundertätiges Verhalten unter buddhistischen Lehrern beinhalten: das Kaschieren der Identität mit besonderen Namen, besonderer Kleidung und Frisuren, eine überhöhte Ausdrucksweise und Wortweltschöpfungsakte, Dauernarratologie (vgl. Erklärungswut), den privilegierten Status des Hierophanten, das Handhaben spezieller Kraftobjekte, das Fungieren als Vorsitzender des Pomps (und pompöser Umzüge), das Hüten der axis mundi der Sangha. Diese Verhaltensweisen vermitteln dem Praktizierenden das, was der Anthropologe Pascal Boyer die „versteckte kausale Essenz“ nennt. Was die Rolle anbelangt, die die Zauberzuflucht als ideologischer Köder spielt, ist es angebracht, Boyer ausführlich zu zitieren:

Vorstellungen über Ritualspezialisten beruhen auf nicht-religiösen Vorstellungen einer kausalen Essenz. Man denkt von solchen Ritualspezialisten, dass sie eine interne, nur vage definierte Qualität haben, die sie von gewöhnlichen Menschen unterscheidet. Zu lernen Riten auszuführen [ist sekundär]; am wichtigsten ist es, diese interne Fähigkeit zu besitzen, die in quasi-biologischen Termini gedacht wird. Einmal mehr ist dies etwas, das sich, obwohl es als ein rein religiöses Phänomen erscheint, aus gewöhnlicher Kognition herleitet. Die Vorstellung einer versteckten kausalen Essenz, die zwar nicht beobachtet werden kann, aber äußere Form und Verhalten erklärt, ist eine entscheidende Eigenschaft unserer spontanen und intuitiven Art, uns lebende Spezies zu denken. In diesem Fall wird sie auf eine pseudo-natürliche Art übertragen, nämlich: auf eine Unterart menschlicher Akteure mit ganz anderen essentiellen Charakteristiken. (Pascal Boyer, Religion as Human Capacity, in Out of Africa: Lessons from a By-Product of Evolution; Hrg.: Lawson, Thomas, Light et al.; Leiden, Brill, 2004, S. 33

Der Begriff „Erleuchtung“ ist ein erstklassiges Beispiel der „versteckten kausalen Essenz“. Warum gibt sich der Dalai Lama so, wie er es tut? Weil er, selbstverständlich, ein „erleuchtetes“ Wesen ist. Seine Handlungen werden von dieser „Essenz“ verursacht, daher sind sie „kausal“. Die Essenz ist überdies für uns unsichtbar, daher „versteckt“. Wie aber, da sie versteckt ist, beeinflusst sie uns? Ein nur allzu nahe liegendes Resultat dieser Zuschreibung der versteckten kausalen Essenz ist, dass wir bestimmten Menschen einfach – tatsächlich spontan und „natürlicher Weise“ – einen besonderen Status zuweisen. Die Kognitionswissenschaften versuchen aufzuzeigen, dass ein solches Verhalten aus der Alltagskognition resultiert. Wir nehmen an, dass Entitäten, egal ob Mensch, Tier oder sogar imaginierte (wie etwa Gott), bestimmte Qualitäten besitzen, die ihnen intrinsisch sind bzw. die Essenz ausmachen. Buddhistische Lehrer in Nordamerika, Europa wie in Asien stimulieren und ermutigen zu dieser Annahme einer ihnen, wie auch ihren „Sanghas“, eigenen speziellen, verstecken – in einem Wort verzauberten – Essenz. (Vgl. Der Zauberer; The Thaumaturge, CTSP, 177 ff.; Der Fall Shimano: Mann ohne Rang.)

Zufallsexilant (incidental exile). Jemand der sich in passendem Abstand zu den buddhistischen Wallanlagen findet. Ich sage „findet“, denn das Exil ist nicht erzwungen: Es passiert zufällig und unerwartet. Die aporetische Dissonanz leitet es ein und die aporetische Prüfung entwickelt es weiter. Der Ablauf ist etwa wie folgt. Häuslich niedergelassen in der x-buddhistischen Zauberzuflucht findest du Linderung in ihrem hausgemachten Charisma des „Mitgefühls“. (Eine Stelle als Azubi im x-buddhistischen Produktionsbetrieb und eine passgenaue Integration in die Schnittstellen x-buddhistischer Halbzeuge mögen die Voraussetzung sein, damit das Exil überhaupt auch nur eine Option wird.) Aus welchem Grund auch immer, an einem gewissen Punkt spürst du die Dezentrierung und die aporetische Dissonanz. Bei genauerer Untersuchung bemerkst du, dass es ein Weckruf ist, der aus einem Gemisch von verstörenden Emotionen und Gedanken besteht: Ratlosigkeit, Verwirrung, Bestürzung, Enttäuschung und Defizit. Du entdeckst zu deiner Überraschung, dass der X-Buddhismus sehr viel zu wünschen übrig lässt. Du wirst argwöhnisch gegenüber seiner Haltung als der Erlöser und Herold des Friedens. Er mag viele Fragen beantworten, aber du beginnst zu verstehen, dass er das allzu häufig in banaler und voreiliger Weise tut. Er fördert sogar Aberglauben und neue Formen neurotischer Verstrickung. All das, während er neue Fragen aufwirft, die er nicht beantworten kann. Plötzlich wirst du unvermutet und unerwartet von der Zauberzuflucht und der naiven Umgarnung der reinen x-buddhistischen Fügung befreit. Was wirst du tun? Du könntest natürlich dem Projekt ein für alle Mal den Laufpass geben, einfach deiner Wege gehen, in einer anderen selbsternannten irisierenden Fügung Zuflucht suchen, in einer Wüste aus Verwirrung verloren gehen oder einfach nichts tun. Eine andere Möglichkeit aber: Du gehst die verwirrenden Widersprüche, die sich plötzlich vor deinem arglosen Verstand auftun, frontal an. Dann schlägt man sein Lager in gebührendem Abstand auf – gebührend, das heißt, im Exil.

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