Herzsutra (Variante)

M. Steingass —  5.7.15

Das Nein in dem Beitrag der unten verlinkt ist, ist ein Nein das demjenigen im Herzsutra entspricht – oder entsprechen kann, wenn man es nicht als esoterischen Text liest, sondern als eine praktisch-philosophische Handlungsanweisung aus einer anderen Kultur und aus einer anderen Zeit.

Die Eingangsfrage zu Beginn des Herzsutra lautet:

Wie soll eine Person, gezwungen vom Gewissen und erfüllt mit guten Vorsätzen, praktizieren, um Einsicht zu erhalten in die Verhältnisse?

Die berühmte und trotz ihrer Schlichtheit überaus brutale Antwort ist:

Form ist leer, Leere ist Form. Leere ist nichts als Form, Form ist nichts als Leere – und genau in dieser Weise sind Gefühl, Unterscheidung, strukturierende Bedingungen und Bewusstsein leer.

Das Sutra fährt dann bekanntlich fort, alles zu ‚dekonstruieren‘ was einem Buddhisten lieb und teuer ist. Was bleibt also? Was bleibt, wenn wir aus unserer Kultur heraus, ebenso verfahren?

Diese Frage und diese Praxis bilden Ausgangspunkt und Ziel – die Frage bleibt als Praxis das Ziel –, wie sie in der Prajnaparamita-Literatur dargestellt werden. Sie sind keine Handlungsanleitung im Sinne eines dieses tun und jenes lassen, sie sind eine Reduktion des Menschen auf den Menschen-in-Person, auf das letzte denkbare Minimum, als Ausgangspunkt jeder menschlichen Handlung – wobei sich selbst dieser Ausgangspunkt verliert und das letzte denkbare Minimum selbstverständlich kein letzter Grund ist, in dessen Tiefe sich alle Rätsel endlich lösten.

Wenn man dies als ein Mysterium bezeichnen wollte, so stimmt das in solcher Weise, dass es keinen Raum lässt für irgendetwas, was wir hier häufig genug als die Plage des X-Buddhismus bezeichnet haben. Wenn schon ist es ein ganz und gar immanentes Mysterium. Die Implosion des Transzendenten in den Nullpunkt des Menschen-in-Person.

Nein!

4 Antworten zu Herzsutra (Variante)

  1. 
    Withold Ch. 5.7.15 um 22:04 UTC

    Und WIE gelangt man (ich, du, er …) zu dieser Erkenntnis, dass „Form ist Leere“, und „Leere ist Form“? Ist diese Erkenntnis bloss denkbar, oder ist sie nur verstehbar, wenn sie vorher auch erfahrbar geworden ist?

    Oder ist diese Aussage jenseits jeglichen intellektuellen und geistigen Erfahrungshorizontes?

    Oder ist dies Aussage ein paradox anmutender Versuch, das Ergebnis jahrelanger spezieller, mentaler und körperlicher Beschäftigung mit sich selber sprachlich und verstandesmässig wiederzugeben?

    Oder letztlich nur ein besonders frecher daostischer Witz, der als Denk- und Handlungsanleitung für all die „x-buddhistischen Höhenflüge“ missbraucht wird?

    (Zum Begriff „Mensch-in-Person“, wie ist Laruelle auf diesen Begriff gekommen? Mutet wie ein Rückgriff auf ältere Begriffe an, wie etwa Monade, oder Homunculus, oder Seele.)

  2. 

    Ich finde die berühmte Formel selbst nicht hilfreich. Sie ist viel zu aufgeladen mit westlich-buddhistischem Okkultismusdenken. Es geht um die Negationen im Text. Man kann sie als Gedankenexperiment nehmen und sehen was passiert.

    Beim Mensch-in-Person geht es hier lediglich um den Begriff wie er im Zusammenhang mit den Negationen bzw. Minimierungen entsteht. Es ist tatsächlich eine Erfahrung, eine Alltagserfahrung. Um einen Geschichte des Begriffes oder eine Ideengeschichte geht es nicht.

  3. 

    Eine Problem ist, dass Texte wie das Herzsutra aufgeladen sind mit HeilsErwartungen. Man sollte solche Texte lesen wie einen von Plato oder eine IkeaBauanleitung.

  4. 
    Matthias M. 6.7.15 um 08:32 UTC

    Der Mensch-in-Person wäre somit in seiner Handlung immanent, ohne Manipulation bzw. Determination durch magische Essenzen. Eine Subtraktion der Transzendenz.