Es gibt das Gerücht, dass der Diplom-Lama Ole Nydahl die AfD empfiehlt. Noch ist es nur ein Gerücht aber so abwegig ist das nicht.
Als ich 2004 begann, nach einem langen aber sehr oberflächlichen Interesse, mich ernsthaft mit Buddhismus auseinanderzusetzen, war die erste Veranstaltung die ich besuchte eine von Ole Nydahl (sorry, hatte wirklich keine Ahnung, was auf mich zukommen würde). Der erste Eindruck war der, dass da einer sitzt und in einem fort erzählt, was ihm gerade in den Sinn kommt. Eine Anekdote nach der anderen. Darunter fielen mir auch welche auf, die sich gegenüber George Bush und dem Iraqkrieg positiv äusserten, dem Islam gegenüber aber pauschal negativ. Des weiteren habe ich sehr unangenehm in Erinnerung, wie Ole Nydahl mit einer kritischen Frage aus dem Publikum umging. Er kanzelte den Fragenden in aller Öffentlichkeit mit einem Frontalangriff auf seine Person ab und nicht etwa mit einem Argument, das sich mit dem Problem befasste. Als merkwürdig empfand ich auch, dass nach einem langen ‚Vortrag‘, der nicht mal meinem geringen Wissen über Buddhismus etwas hinzufügte, die Zufluchtnahme angeboten wurde. Diese musste sich auf die Person des Lamas beziehen und nicht auf eine wie auch immer verstandene buddhistische Philosophie.
Für mich war das alles schon in jedem Detail ein Ausschlusskriterium. Ich sah Ole Nydahl später noch einmal live, wobei mein negativer Eindruck abermals bestätigt wurde. Das war anlässlich des Besuches des 17. Karmapa Trinlay Thaye Dorje in Zürich 2007. Ole Nydahl übersetzte damals das gebrochene Englisch des jungen Mönches ins Deutsche. Sehr negativ fiel damals auf, wie oberflächlich und sogar sinnentstellend Nydahl die Versuche des Mönches übersetzte, eine Einführung in die folgende buddhistische Einweihung zu geben. Man sehe sich dazu evtl. diesen englischen Text an => I don’t hear.
Dass dies nicht die Eindrücke eines einsamen übermässig skeptischen Nörglers sind, lässt sich vielfach bestätigen. Zum Beispiel in der SZ im Artikel Ohne Tiefgang vom 21.10.15. Die Autorin Julia Bergmann berichtet ebenfalls über Oberflächlichkeit, Unkonzentriertheit, banales LebensratgeberTralala und eben über Nydahls Islamophobie.
An diesem Punkt – der Islamophobie – entsteht tatsächlich ein Zusammenhang zur AfD und anderen rechtsnationalen, rückwärts gewandten, fremden- und islamfeindlichen und reaktionären Gedanken. Es handelt sich bei der pauschalisierenden Ablehnung des Islam durch Ole Nydahl nicht etwa um ein Merkmal, das er mit der AfD gemeinsam hat, ohne das deswegen eine strukturelle Übereinstimmung bestünde. Ganz im Gegenteil: Die Strukturelle Übereinstimmung zum Reaktionären ist gegeben.
Ole Nydahl behauptet, dass die Ursachen des Elends, das Tausende von Flüchtlinge nach Europa treibt, schlechtes Karma sei. (vgl. dazu den SZ-Artikel) Dass dies in Bezug auf buddhistische Philosophie eine geradezu schwachsinnige Behauptung ist, muss auf diesem Blog nicht mehr behandelt werden. Der Punkt hier ist der Rückgriff auf ein Fantasma namens Karma, welches dazu genutzt wird, bestimmte Beobachtungen zu erklären. Man kann das als spekulative Ontologie, als esoterische Verwirrung, metaphysischen Flatus oder als ad-hoc-Theorie eines denkfaulen Spinners bezeichnen, Tatsache ist, dass dieses Nydahl’sche Karma seine Existenz allein einer rein gedanklichen Leistung ohne jede empirische Referenz verdankt.
Dieser Karmabegriff ist ein ebensolches Konstrukt wie ein gewisser Kulturbegriff der neuerdings wieder durch den Erfolg der AfD breitenwirksam wird. Neovölkische Vordenker des Reaktionären konstruieren ein deutsches „Kulturerbe“, welches nur dem Deutschen eigen sein soll. Diese Definition des Deutschen als ein willkürlich erdachtes und ausschliesslich auf Deutsche beschränktes Kulturerbe, ist ein ebensolcher metaphysischer Flatus wie Nydahls Karma.
Das gemeinsam Reaktionäre in beiden Begriffen ist die Konstruktion einer Ontologie die einer Wirklichkeit übergestülpt wird, ohne sie daraufhin zu testen, ob sie hält was sie verspricht. Es ist der Rückgriff auf eine gedankliche Konstruktion, die die Einen von den Anderen strickt trennen soll. In beiden Fällen besteht die Funktion darin, ein vermeintlich Eigenes zu schützen. Reaktionär ist in beiden Fällen der Rückgriff auf eine spekulative Ontologie, um sich einem explorativen Diskurs mit noch nicht bekanntem Ergebnis zu entziehen. Es ist die Verweigerung jeglicher Entwicklung. Geistiger Stillstand unter Zuhilfenahme einer nach Bedarf erfundenen Story. Die Rückkehr des Mythos ins Politische.
Der Effekt ist auch, dass man sich so einer Verantwortung entzieht, die bei anderer Betrachtungsweise klar werden würde. Der neovölkische Reaktionär wie auch der islamophobe X-Buddhist verweigern sich der Erkenntnis, dass Entrechtete, von keinem Gesetz mehr Geschützte, bar jeglicher Habe zu uns nach Europa kommen, da ihre jeweilige Heimat einerseits seit Jahrhunderten vom christlichen Westen auf brutalste Weise ausgebeutet und zerstört wurde und andererseits in jüngster Vergangenheit erneut einer brutalen Dezimation ausgesetzt ist.
Der reflexhafte Gebrauch von derartigen transzendenten Begriffen wie demjenigen der Kultur wie er von den Völkischen gebraucht wird oder demjenigen des Karma à la Ole verhindern eine Auseinandersetzung, die grössere Zusammenhänge und weitere reichenden Verantwortlichkeiten klar machen würde. Dieser Gebrauch ist der einer Ideologie der Festung Europa, die zwar die globale Ausbeutung von Ressourcen (inclusive der menschlichen) durch den Westen erlaubt, ohne aber die Verantwortung für die Folgen zu übernehmen.
Das ist die strukturelle Übereinstimmung zwischen einer AfD und einem Ole Nydahl.
Über den Begriff der Verantwortung – d.h. konkret über den Zusammenhang zwischen Millionen Menschen die ihre Heimat im Nahen und Mittleren Osten und in Afrika auf der Flucht verlassen und den Ereignissen die diese Gegenden zerstör(t)en und damit Auslöser dieses Elends sind – kommen wir auch zum Thema Achtsamkeit wie es in Buddhismus aktuell 1/2016 thematisiert wird.
Wenn man das Heft durchsieht, fragt man sich, warum das grosse Thema, welches derzeit Gott und die Welt bewegt, darin fehlt, obwohl es doch um Achtsamkeit geht. Warum ist das Leid von so vielen Menschen die vor Krieg und Ausbeutung flüchten, denen keine Erwähnung wert, die der Achtsamkeit als einem Bestandteil des Noblen Achtfachen Pfades so viel Aufmerksamkeit schenken? Hier muss entweder ein bewusster Entschluss der Redaktion vorliegen oder ein grandioser Lapsus. Aber wie dem auch sei, das Ergebnis zählt. In diesem Fall kommt es, genau wie bei AfD und Ole Nydahl zu einer Ausblendung – oder wollen wir psychoanalytisch sagen: Verdrängung?! – der Verantwortung. Durch die Auslassung der Problematik der Zerstörung ganzer Länder und Kulturen durch den Westen und der damit verbundenen Fluchtbewegungen, wird auch hier eine Analyse mit entsprechenden Ergebnissen und resultierenden Handlungen vermieden. Dabei könnte man mit Fug und Recht erwarten, dass bei so viel Text über Rechte Sichtweise, Rechten Entschluss, Rechte Handlung usw. auch thematisiert wird, was keiner gewöhnlichen Achtsamkeit entgeht: dass es Gründe geben muss für so viele Leute auf der Flucht, das es denen verdammt schlecht gehen muss und das man darüber nachdenken muss, was hier zu tun ist – unter Zugrundelegung buddhistischer Ideen.
Die Chefredakteurin Ursula Richard erwähnt im Editorial den vietnamesischen Buddhisten Think Not Hanh. Der beschreibe Achtsamkeit als eine fortwährende Übung, jeden Augenblick unseres Lebens auf tiefgreifende Weise zu berühren. Weiter schreibt sie:
Berühren ist mehr als ein reines, neutrales Beobachten, es ist auch ein Hinwenden.
Wo aber bleibt diese Hinwendung der Buddhisten hin zum Elend der Ausgesetzten die mit dem schieren Nichts konfrontiert sind?
Was allein bleibt, ist das Reaktionäre des Buddhismus des Westens, das ihn gemein macht mit denen von der AfD. Die Leugnung der Verantwortung, egal ob im Zynismus des Lama Ole, ob im völkischen Kulturkonstrukt der Rechtsradikalen oder in der Auslassung der Redaktion von Buddhismus aktuell, dem Sprachrohr der Deutschen Buddhistischen Union.
Einzig bei denen die Letzteres zu verantworten haben, könnte man ein Fünkchen Hoffnung sehen. Bei dem Gedanken nämlich, dass sie vielleicht wenigstens einen hinreichenden Grund ahnten, warum das Rechte Leben des Noblen Achtfachen Pfades nicht auf unsere Situation hin auszulegen sei: dass – in Anlehnung an das berühmte Adorno-Wort – kein rechtes Leben im falschen möglich ist.