Um was es geht!

M. Steingass —  19.7.12 — 38 Kommentare

Eine kurze Einführung in den Non-Buddhismus

Diesem Blog fehlt ein „About“, es hat keinerlei Einleitung, man ist irritiert von einem merkwürdigen Motto, der Titel ist sowieso unmöglich – um was also geht es hier?

Es geht darum, daß der Buddhismus seine generelle kulturelle Gebundenheit nicht sieht.

Es geht darum, daß er sich damit nicht nur vom Leben abwendet, sondern sich sogar in letzter  Konsequenz gegen es wendet.

Es geht darum, daß das was sich heute Buddhismus nennt, nichts mehr meidet als die radikale Einsicht in die Zufälligkeit, in die Abhängigkeit von biologischen und sozialen Mechanismen und zuletzt in die schlichte, abgründige Nichtigkeit des personalen Selbstes.

Es geht darum, eine Syntax sichtbar zu machen die, solange sie unsichtbar bleibt, jeden Buddhisten fesselt und derart verhext, daß er mit dem Brustton der völligen Überzeugung von seiner endgültigen Befreiung sprechen kann.

Und es geht darum zu zeigen, daß es sehr wohl etwas gibt das über diesen ‚Buddhismus‘ von heute hinaus geht. Daß er sogar die Verdunklung dessen ist, was er zu erhellen vorgibt und daß diesem alten Zombie gerade deswegen zu einer würdigen Bestattung verholfen werden sollte.

Es geht hier unmittelbar darum ein Begriffswerkzeug vorzustellen, das die Syntax der Entscheidung, die zur Umnachtung des Buddhismus führt, erhellt.

Es geht damit darum bei einigen Buddhisten vielleicht eine Bewegung der zunehmenden Entfernung auszulösen – durch den Widerspruch, die Untersuchung und die Schlussfolgerung.

Es geht darüber hinaus dabei aber auch darum das eigentliche Ideal der Europäischen Aufklärung, den Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit, umzusetzen – und zwar gegen eine Kultur die durchtrieben genug ist, selbst das zu instrumentalisieren was ihrer Abschaffung dient und jenseits einer Kultur die Humanismus und Menschenrechte zu einer Farce hat werden lassen.

Refraktion

Bei der Beschäftigung mit dem Buddhismus aus europäischer Perspektive gibt es eine seltsame positive  Brechung der Projektion eigener Gedanken in eine fremde Gedankenwelt. Die Reflexion im Spiegel einer fremden Kultur bringt eine eigenartige Verzerrung hervor. Die abendländische Kultur ist infiziert von der Erkenntnis ihrer Relativität. Es gibt ein reiches Wissen über die Konstruiertheit und zufälligen Bedingtheit des individuellen Bewusstseins von der sozialen wie von der biologischen Seite her. Es ist verführerisch im Bedingten Entstehen dieses Wissen gedoppelt zu sehen, als hätte es ein weiser Mann schon vor langem gewusst. Und es ist verführerisch in einem nächsten Schritt die alten Techniken, die da entwickelt wurden um die Situation zu verstehen, als etwas zu nehmen das uns heute ohne weiteres vollumfänglich die Welt erklären könnte. Aber eben dies ist ein Trugschluss der Sehnsucht. Das Paticcasamuppada sagt nichts über die soziale, ideologische Konstruiertheit unseres Bewusstseins heute aus und das Mahasattipatthanasutta gibt keine ultimative Betriebsanleitung für dieses Bewusstsein. Diese Bezüge helfen einem vielleicht in einem Akt der Vereinfachung unser eigenes komplexes Wissen (auf etwas Wesentliches?) zu reduzieren. Diese Begrifflichkeiten spiegeln aber immer nur uns selbst. Ein Rückgriff auf ein altes buddhistisches Wissen ist immer der Griff nach einer Fiktion. Unser eigenes Wissen ist so komplex geworden, daß wir uns in seiner Fülle verlieren und in Vereinfachungen Halt suchen. Der Konsumzwang, der Zwang zum stetig Neuem, zum immer Nächsten, dem wir in unserer Verschwendungs- und Ausbeutungskultur ausgesetzt sind, tut das seine um uns von einer vernünftigen Reduktion abzuhalten. Die Projektion auf das Andere, das Alte, Gute, Originale, das vermeintlich die Lösung bereit hält, kann vielleicht partiell helfen diese Reduktion vorzunehmen. Aber spätestens an dem Punkt an dem man bemerkt, daß die Sangha die Reduktion benutzt um sich eine feine, kleine Lebenslüge zu züchten, um sich die drängenden Probleme der Moderne vom Leib zu halten, ist Schluss mit dem Honeymoon.

Leben

Glenn Wallis‘ Speculative Non-Buddhism gibt eine Antwort jenseits der Verführung zu einer solchen Lebenslüge. Auch hier geht es (zunächst) um eine Reduktion. Die Reduktion auf eine Syntax, auf eine bestimmtes Muster unseres Denkens jetzt – und es ist ein Versuch anders zu denken.

Normalerweise sind buddhistische Diskurse so interessant wie schales Bier. Überall herrscht ein Tabu, ein zwanghaftes Schweigen, die Entscheidung bestimmte Fragen nicht zu stellen. Buddhistische Diskurse sind fade, neophob und flach. Das Interesse sollte buddhistischen Praktiken des Bewusstseins gelten. Doch buddhistische Diskurse handeln diese Praktiken unter dem Titel „Meditation“ ab. Im allgemeinen ist damit gemeint entweder das Denken mit unterhaltsamen exotischen Inhalten zu füllen oder zu versuchen das Denken ganz abzutöten, um irgendwo da drinnen in der Stille das wahre Selbst zu finden.

Das Denken selbst, in seinen verschiedenen Ausformungen, in seinen Bewegungen, in seinen Nichtgreifbarkeiten, seinen impliziten, nicht sagbaren, vielleicht nicht-propositionalen Qualitäten genau zu beobachten, die Frage wer da wen beobachtet, was bei fortgesetzter derartiger Dissoziation geschieht?, die merkwürdige Fragilität und Hinfälligkeit eines Gedankens zu erleben, sein Aufblühen und Verschwinden, einem sich selber beim Vergessen zusehen gleich und die Frage wie es ist selber das zu sein das vergisst und erinnert, jetzt, in einem disparaten Kontinuum das nicht weiss was ihm Form gibt, eine Form, die so offensichtlich löchrig wird und ausfasert in dieser Praxis, die, wenn man sie bis ganz dicht an den Schlaf heranträgt die allermerkwürdigsten Absurditäten produziert, dem man beim Erwachen für Augenblicke zusehen kann wie es sich, wie ich mich, konfiguriere, wie es dann beginnt zu arbeiten, voller Kreativität in einem Strom von unbekannten Ausmassen der sich im nächsten Moment, wenn man es ganz genau bedenkt, nicht sicher sein kann, was er vor einem Augenblick noch war, der manchmal verebbt zerfliesst und stockt, der sich in einem Schock, durch eine Droge, durch einen Schlaganfall völlig, bis zur totalen, undenkbaren Unkenntlichkeit verändern kann – eine die ich selbst nicht erkenne weil ich es bin, ohne archimedischen Punkt, kein anderer, selbst im ganz anders sein, in der stetigen Veränderung immer der Selbe und der Schrecken der sich ergibt, wenn man es weiter denkt was sich da in seinen gelegentlichen Verschiebungen zeigt, indirekt, nur über eine kleine unschuldige Differenz erkennbar, eine Diskontinuität, eine fehlendes Kontinuum, das sich nur deshalb als Fremdheit in mir selbst nicht zeigt weil der Schrecken zu groß wäre.

Das paradiesische buddhistische Nicht-Selbst entpuppt sich als Schock wenn es sich wirklich zeigt: all dies in einem buddhistischen Diskurs zu bemerken ist ausgeschlossen. Eher schon wird der Dalai Lama Ratzingers Nachfolger, als daß der brave Buddhist von seinem braven, domestizierten, freundlichen Nicht-Selbst ablässt, das nicht raucht, nicht trinkt, sauberen und regelmässigen Sex hat, politisch überaus korrekt ist, an den acht weltlichen Dingen keine Interesse zeigt und gerade deswegen frag- und gedankenlos wie eine Maschine funktioniert, als das er entscheidende Fragen stellt.

Tod

Es ist die Ausnahme im Buddhismus einen Menschen zu treffen, der das Denken selbst als Praxis begreift und der auf die Frage „Was ist Meditation?“ nicht mit einem durchgeistigtem „Nicht denken!“ antwortet. Zu dieser Gedankenlosigkeit des Nicht Denkens gibt es kaum einen größeren Kontrast als denjenigen der entsteht, wenn man das Ende des Denkens tatsächlich selbst betrachtet: Die Auslöschung!

Du entscheidest, dich von einem zentralen Faktum nicht abzuwenden. Dem Faktum das sich unerbittlich und unausweichlich aufdrängt. Eines, das man nur durch freiwilliges Exil in selbstgewählter Umnachtung in Zweifel ziehen kann – oder durch den kranken Willen der Verleugnung. Wenn die Geschichte der Welt eine Andeutung dafür sein kann, dann ist es eine ungeheuerliche Scheußlichkeit. Wenn die Geschichte unserer kulturellen Institutionen, unserer Sprache, unserer Biologie eine Andeutung darüber ist, dann gibt es für die Menschheit keine größere Bedrohung: Das Faktum der Auslöschung. Und ohne diese Gegenwart zu meiden, im Gegenteil, ihr zugeneigt, gibt es einen Übergang und keinen Blick zurück. (vgl. Glenn Wallis: Raw Remarks on Meditation, Ideology and Nihilism)

Die Auslöschung, das un-denkbare, völlige, absolute und sichere Ende. Auch und gerade die persönliche. (Zum Powaclub mit Bardo plus Limmo zwischendurch bitte woanders lang.) Die reale Auslöschung. Man kann sie sehen – täglich! – andauernd! – man müsste nur einmal die Nachrichten anschalten. Jeder einzelne tote Mensch über den Tag für Tag in abstumpfender Gleichmütigkeit ‚berichtet‘ wird, hat sich diesem blinden Nichts für einen Augenblick – einem noch so kleinen Moment – stellen müssen. Und keiner wird je berichten darüber.

Es gibt im Buddhismus teilweise starke dekonstruktive Elemente. Zum Beispiel im rDzogs-chen, das sich im 8. bis 12. Jahrhundert entwickelte, sind solche Ansätze zu finden. Es ist klar, daß man, indem man von „dekonstruktiven Elementen“ spricht, seine eigene kulturelle Strukturierung auf ein Phänomen projiziert das einem aus unterschiedlichen Gründen vollständig verschlossen bleiben muß – das in seiner Vergangenheit unwiederbringlich ist und nur in einer Konstellation auftreten kann die von Gegenwart durchtränkt ist. Andererseits sind aber bestimmte Tätigkeiten in ihrer Einfachheit und Direktheit, wenn sie nur ihrer erkennbaren spezifischen kulturellen Artefakte entkleidet werden, dazu geeignet dem Individuum das fragmentarische, unfertige, vorläufige, fragile und überaus leicht manipulierbare seines Selbstes anzudeuten. Im Buddhismus findet man  mehr als in unseren Kulturen der Vergötterung solche Techniken explizit und differenziert beschrieben. Man muß blos den ontologischen Status des Geistes wie er in diesen alten Partituren beschrieben wird streichen. Der unsterbliche Geist ist tot. Wenn man sich heute mit dem Phänomen Bewusstsein befasst sollte man es besser als ein Interferenzmuster sehen, das im Feld der Überschneidung von sozialer und biologischer Sphäre entsteht. Man kann unser Wissen heute, das der Neurobiologie oder der Evolutionspsychologie und der Soziologie beispielsweise, nicht einfach ignorieren. Gerade das aber tut der Buddhismus in seinen zeitgenössischen Ausformungen. Er besteht immer noch darauf, einen umfassenden über jeden Zweifel erhabenen, umfassenden – zureichenden –Erklärungsanspuch zu haben der in kanonischen Schriften fest verankert ist. Hier trifft man auf eine sich selbst verstärkende, zirkulär argumentierende, Autoimmunisierung des Buddhismus im Westen.

Dem Beobachter der Szene stellen sich Fragen: Wie kommt es etwa zu dem umfassenden Erklärungsanspruch über alles und jeden den Buddhisten wie ein Monstranz mit sich herum tragen? Warum verweigern sie sich einem modernen Wissen? Wie kommt es dazu, daß widerspruchslos groteske, völlig realitätsferne Auffassungen vertreten werden? Über personale Wiedergeburt. Über ein materielles Karma das wie ein mittelalterliches Sündenregister funktioniert. Über einen Konsum-Buddhismus dem alles käuflich ist: vom Segen bis zum Privatlama, vom Sündenerlass bis zur Pornografie geldwerter Erleuchtung?

Der Non-Buddhismus beschreibt einen Mechanismus, oder besser gesagt einen Regelsatz, eine formale Struktur, die in unserer Kultur gewachsen ist, das Denken des Abendlandes, das diesen Formen zu Grunde liegt.

Verleugnung

Auf Grund dieser internen Struktur, dieser Syntax, trifft man im Buddhismus immer wieder auf die gleichen Auswüchse. Das Angebot in Deutschland, der Schweiz und Österreich beispielsweise an Buddhistischen Gruppen ist derart groß und gleichzeitig derart leicht einsehbar, daß man sich über diese Behauptung schnell eine Bild machen kann. Es würde reichen ein halbes Jahr jedes Wochenende auf eine jeweils andere buddhistische Lehrveranstaltung zu gehen, die entsprechenden Selbstdarstellungen im Internet genau zu untersuchen und eine gründliche Rezeption des Literaturangebotes vorzunehmen. Man wird in der überwiegenden Zahl der Fälle u.a. zu folgenden Einschätzungen und Folgerungen kommen:

  1. Der Dharma erklärt die Welt grundsätzlich. Er erklärt alles. Ein Rückgriff auf anderes Wissen ist nicht nötig
  2. Es gibt Führerpersönlichkeiten, die den Dharma verwirklicht haben. Sie verfügen über eine besondere – geheimnisvolle – Einsicht in die Realität.
  3. Eine Kritik, eine fragende, neugierige, spielerische Auseinandersetzung ist weder mit dem Dharma noch mit dem Führer möglich – Kritik ist tabu.
  4. Die besondere Einsicht in die Realität und die Autorität der Führung ermöglicht es ihr diese in endlosen Variationen, immer mit Verweis auf die kanonischen Schriften, auszudeuten und an jede neue Gegebenheit anzupassen.
  5. Daraus resultiert ein endloses Gemurmel, das nie um eine Antwort verlegen ist aber doch immer nur Antworten über eine Sache gibt: den Dharma. Es gibt keine Antwort auf die Welt.
  6. Daraus resultiert eine grundsätzliche Abgeneigung echter Verantwortung gegenüber – denn diese müsste sich auch mit Wissen jenseits des selbstreferenziellen Rahmens des Dharmas autorisieren.
  7. Eine soziale Idee, als die man z.B. den Bodhisattva des Mahayana lesen könnte, wird damit konterkariert.
  8. Ein gewissermaßen sozialrevolutionäres Potential, daß man z.B. aus einem Erkenntnispotential eines Nagarjuna herleiten könnte, dem indischen Tantra als Antipode zu einer sklerotischen Klosterkultur oder aus Praktiken der Schärfung des Intellektes und der Wahrnehmung, wird damit paralysiert.
  9. Die Formen des zeitgenössischen Buddhismus verkommen damit zuletzt zu Erfüllungsgehilfen einer parasitären globalen Struktur die Meditation, Wellness, Happiness als lediglich regenerative Formeln für ein atomisiertes Subjekt betrachtet das Montagfrüh wieder fit sein muß.

Diese und andere unbequemen Einsichten formulieren sich in der Diskussion auf Glenn Wallis‘ Blog Speculative Non-Buddhism. Hier wird etwas versucht, das nirgendwo sonst im Buddhismus zu finden ist: eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit seinen bestimmenden Strukturen. Gemeint sind damit Strukturen die eine ganz bestimmte Deutung der Welt durch den Buddhismus hier im Westen ermöglichen bzw. erzwingen. Damit ist auch eine Aussage über die Funktionsweise unseres Bewusstseins verbunden und beides führt zu ontologischen und epistomologischen Veränderungen des Ortes an dem das Ich sich befindet bzw. zu befinden glaubt. Man könnte eine derartige Untersuchung als genuin buddhistisch begreifen, etwa in Fortsetzung einer in seiner historischen Situation und im Vergleich mit heute notwendig noch höchst kruden Beschreibung des Individuums durch die fünf Khandas, der aber schon der höchst moderne Versuch innewohnt die Person über erkennbare funktionale Elemente zu beschreiben und von ihnen her einzugrenzen was man wissen kann, anstatt, wie in unserer Kultur, Spekulationen über den ontologischen Status quo des Ichs zu entwickeln die sich auf der Basis eines transzendentalen Seins bilden. Mit dem Versuch des Non-Buddhismus diese bestimmenden Strukturen sichtbar zu machen, wird auch klar, daß man es bei ihm nicht mit einer weiteren Buddhismus-Variante zu tun hat. Taxonomisch ist der Abstand zu seinen Nachbarn und Vorfahren  zu groß. Im Gegenteil: der Non-Buddhismus schlägt völlig aus der Art. Er ist eine Mutation. Eine Reproduktion in Gemeinschaft mit den vormaligen Artgenossen oder Vorgängern ist ausgeschlossen. Es handelt sich tatsächlich um eine neue Erscheinung. Aber auch das wieder, um einen Einwand vorwegzunehmen, nicht etwa aus der typischen, versuchten, endlosen Ertragssteigerung spätkapitalistischer Innovationswut heraus, sondern „neu“ weil es hier zu einem Symmetriebruch kommt, zu einer unberechenbaren Fluktuation, wenn die Axt an eine bestimmte Stelle angelegt wird – an die des transzendentalen Terrors.

Eine Pickelhaube namens Dharma

Daß Menschen nicht aus den oben beschriebenen autoritären Strukturen ausbrechen können, liegt zum Teil an einer affektiven Gebundenheit die sie mit  dem X-Buddhismus eingehen. In diesem von Wallis eingeführten Begriff steht das X für die endlosen Variationen die aus einer in allen Fällen identischen syntaktischen, alle Buddhismen bestimmenden, Struktur hervor geht. Die Transzendentalie Der Dharma ist innerhalb dieser Syntax eine zentrale Komponente. Dieser Dharma ist per Definition als transzendentales Prinzip nicht unmittelbar sichtbar. Er muß daher „übertragen“ werden – wozu die oben genannten Führer nötig sind. Postulat des X-Buddhismus ist, daß der transzendentale, ausserweltliche, kosmische Dharma im Kanon ultimativ als Text verkörpert ist und das die Führer über spezielle Eigenschaften verfügen, die es ihnen ermöglichen, diesen Text richtig zu lesen. Weiteres Postulat, oben die Nummer 1), ist, daß Der Dharma die Welt umfassend und restlos erklärt. Weiteres Wissen ist nicht nötig weil es es nicht gibt. Der Dharma ist alles Wissen, der Buddha wusste alles und der Strebende ist gehalten sich ganz und gar diesem unfassbaren Reservoir, dieser gigantischen universalen Bibliothek, zu verschreiben. Das verunsicherte Individuum, das sich in einem oft chaotischen, nicht vorhersehbaren und Zufälligkeiten ausgesetzten Dasein zurecht finden muß, erkennt hier rettendes Wissen. Dazu muß es aber, da es über eine unmittelbare Einsicht in die Richtigkeit dieser Postulate nicht verfügt, das Wagnis des Glaubens eingehen. Es nimmt „Zuflucht“! Genau diese Komponente beinhaltet den affektiven Aspekt. Das Individuum fällt eine emotionale Entscheidung darüber, daß es sich auf die Richtigkeit dieser Postulate verlassen kann und daß ihm mit genügend Arbeit und Gebet selbst die Einsicht, die „Verwirklichung“, zuteil wird. Innerhalb dieses Systems nun, dieser Syntax die eine ganz bestimmte Sprache begründet, mit der eine ganz bestimmte Welt repräsentiert werden kann, gibt es für das sich immer wieder wiederholende Ausbleiben der endgültigen Einsicht eine einfache Erklärung: die rechten Übungen, das rechte Verhalten sind nicht ausreichend kultiviert worden. Kognitive Dissonanzen, die auftreten wenn offene Widersprüche zu Tage treten, etwa wenn der Führer, seine ihm Schutzbefohlenen sexuell ausbeutet, werden als „Störgefühle“ bewertet, die ihre Ursache nicht etwa in der Kenntnis eines tatsächlichen Missbrauches haben, sondern die z.B. auf alte karmische Probleme verweisen, die nicht ausreichend neutralisiert sind. Ein Ausstieg aus einer solchen Struktur ist deshalb so schwierig, da das Individuum ohne ausreichendes epistomologisches Know-how den transzendentalen Zwang nicht erkennen kann. Es muß immer davon ausgehen, daß es eine existentielle Rettungsmassnahme abbricht und sich damit am Heiligsten versündigt.

Die Pickelhaube und ihr Guru

Der Non-Buddhismus stellt ein Begriffssystem bereit, mit dem diese Mechanismen kritisch untersucht werden können. Damit wird ein Ausbruch aus der transzendentalen Falle möglich. Den gerade beschrieben Zusammenhang nennt Wallis zum Beispiel Thaumaturgical Refuge. Er schreibt dazu:

Zauberzuflucht (Thaumaturgical Refuge). Das gespreizte Gehabe buddhistischer Lehrer mit dem sie in der Sangha Wunder tätigen. Anzeichen für dieses wundertätiges Verhalten unter buddhistischen Lehrern beinhalten das kaschieren der Identität mit besonderen Namen, mit besonderer Kleidung und speziellen Frisuren, eine überhöhte Ausdrucksweise die in Wortweltschöpfungakten schwelgt. Es beinhaltet die Historiologie letzter Instanz, den privilegierten Status als Hierophant, das handhaben spezieller Kraftobjekte, das fungieren als Vorsitzender des Pomps (und pompöser Umzüge), das Hüten der axis mundi der Sangha. Verhaltensweisen die dem  dem Aspiranten das zeigen was Pascal Boyer die „versteckte kausale Essenz“ nennt. Was die Rolle anbelangt die die zauberhafte Zuflucht als ideologische Verlockung spielt, ist es angebracht Boyer ausführlich zu zitieren:

„Begriffe über Ritualspezialisten gründen sich auf nicht-religiöse Begriffe der kausalen Essenz. Menschen habe die Vorstellung, daß diese Spezialisten sich durch eine vage definierte interne Qualität von gewöhnlichen Menschen unterscheiden. Die Riten korrekt auszuführen ist zweitrangig. Am wichtigsten ist der Besitz dieser internen Kapazität, die in quasi-biologischen Ausdrücken gedacht wird. Dies ist abermals ein Fall in dem das was zunächst wie ein religiöses Phänomen erscheint auf gewöhnlicher Kognition beruht. Der Begriff einer versteckten kausalen Essenz, die zwar nicht direkt beobachtet werden kann, die aber sichtbare Form und sichtbares Verhalten erklärt, ist eine höchst wichtige Eigenschaft spontan und intuitiv über lebende Wesen zu urteilen. In diesem Fall wird es auf eine pseudonatürliche Art übertragen, hier eine Teilmenge menschlicher Wesen mit vom Rest verschiedenen essentiellen Charakteristika.“ (Pascal Boyer, „Out of Africa: Lessons from a By-Product of Evolution,“ S. 33; in Religion as Human Capacity [Leiden: Brill, 2004]).

Der Begriff „Erleuchtung“ ist ein wichtiges Beispiel der „versteckten kausalen Essenz“. Warum gibt sich der Dalai Lama so wie er es tut? Weil er, selbstverständlich, ein „erleuchtetes“ Wesen ist. Seine Handlungen sind zwingend von dieser „Essenz“ verursacht, daher ist sie „kausal“. Die Essenz ist überdies für uns unsichtbar, daher „versteckt“. Wie aber, da sie versteckt ist, beeinflusst sie uns? Ein nur allzu nahe liegendes Resultat dieser Zuschreibung der versteckten kausalen Essenz ist, daß wir bestimmten Menschen einfach – tatsächlich spontan und „natürlicher Weise“ – einen besonderen Status zuweisen. Die Kognitionswissenschaften versuchen aufzuzeigen, daß ein solches Verhalten aus der Alltagskognition resultiert. Wir nehmen an, daß Entitäten, egal ob Mensch, Tier oder sogar imaginierte (wie etwa Gott), bestimmte Qualitäten besitzen, die ihnen intrinsisch sind, bzw. sie essentiell ausmachen. Buddhistische Lehrer in Nord Amerika, Europa und Asien fördern und fordern diese Annahme über eine besondere, versteckte kausale – mit einem Wort, wundertätige – Essenz für sich wie ebenso für ihre »Sanghas«. (vgl. Glenn Wallis Nascent Speculative Non-Buddhism, S. 19 f. Vgl. auch in diesem Zusammenhang mein Der Zauberer.)

Die versteckte kausale Essenz ermöglicht dem erwachten wissenden Führer den transzendentalen Dharma zu sehen. Er hat damit privilegierten Zugang zu Wissen, das die Unwissenden retten kann. Er ist also zentrales Element einer sozialen Struktur – der Sangha – deren Aufgabe es ist das Wissen um und den Zugang zu der transzendentalen Wahrheit zu ermöglichen.

Mit Hilfe des Ockham’schen Rasierapparates allerdings, dessen Eigenschaft es ist die ontologische Spekulation zu minimieren, zeigt Pascal Boyer eine ganz andere Erklärung des Phänomens Guru. Die Guru-Führer-Figur als eine autonome, vom Umfeld unabhängige, über jeden Zweifel erhabene atomisierte Individualität, d.h. als vereinzelt erscheinendes Ich, entsteht als Effekt im Schnittfeld biologischer und sozialer Felder. Diese Figur erscheint als in einem grundsätzlichen Irrtum befangen. Sie ist sich nicht wirklich über die Bedingungen ihres Seins im klaren. Sie ist, in den Worten von Thomas Metzinger, in einer „autoepistemischen Geschlossenheit“ gefangen, ohne dies zu überhaupt zu ahnen. Das Bewusstsein des Gurus ist sich seiner eigenen konstitutiven Bedingungen nicht bewusst. Sein Bewusstsein ist die Funktion eines Systems das sich sich als Subjekt erzeugt um in sich eine Repräsentation der Welt zu erzeugen und um in dieser mit den Objekten der Welt umgehen zu können – dabei ist es aber gleichzeitig blind gegenüber grundlegenderen Elementen seines Apparates die es auf phänomenaler Ebene nicht erkennen kann. (Vgl. Thomas Metzinger: Being No One – Eine sehr kurze Zusammenfassung; in: Grundkurs Philosophie des Geistes, Bd. I; Hrsg. Thomas Metzinger)

Wenn sich das zentrale Element der Sangha als biologisch-sozialer Effekt heraus stellt der über sich selbst nicht umfassend informiert ist, folgt daraus, daß der Dharma keine umfassende Erklärung der Welt sein kann: Das transzendentale Objekt implodiert.

Rationalisierung

Dieser Widerspruch kann nur dann nicht auftauchen, wenn der Hörige und der Führer, den Dharma über den affektiven Aspekt hinaus durch eine kognitive Struktur stützen können, so daß die auftretenden kognitiven Dissonanzen, die sich notwendig bei Widersprüchen bemerkbar machen, ‚erklärt‘ werden können. Ein bekannter Argumentationsstrang der die plötzlich brüchig werdende Realität des dharmischen Traumes wieder zusammen klebt, beginnt mit der Behauptung der Buddha habe heutige Erkenntnisse schon vor zweitausendendfünfhundert Jahren unter dem Bodhibaum gewusst. Es wird angenommen, daß es hier eine umfassende Welterklärung gibt, die einen Rahmen für alles andere ausmacht und in das sich alles andere zu fügen hat bzw. dem alles andere gefügig gemacht wird. Der kognitiven Struktur die es dem affektgebundenen, Zuflucht suchenden Jünger erlaubt seine Entscheidung für den Zauber des Dharmas mit einer vernünftigen rationalen Erklärung zu stützen und damit sich selbst und anderen plausibel zu machen, liegt eine Syntax zu Grunde, die als normalerweise unsichtbares basales Regelsystem fungiert um Erklärungen zu erzeugen (die übrigens nicht in jedem Fall und automatisch zu einem Irrtum führen). Das heisst wieder, wie beim allwissenden Führer, der sich als biologisch-sozialer Effekt herausstellt, daß diese vernünftigen Erklärungen Effekte eines aus naiver Sicht unsichtbaren Mechanismus sind.

Laruelle

Hier kommt nun François Laruelle ins Spiel. Er ist derjenige der seinerseits Glenn Wallis zum Non-Buddhismus inspirierte. François Laruelle ist ein französischer Denker der seit den siebziger Jahren an seinen Einsichten arbeitet. Er wird erst seit einigen Jahren vermehrt vor allem im angelsächsischen Sprachraum rezipiert. Aus seiner Beschäftigung mit Denkern der europäischen, kontinentalen Philosophie entsteht die Non-Philosophie. Sie ist vor allem eine Einsicht in ein allgemeines Merkmal aller europäischen Philosophie das er die Entscheidung nennt und welches sich ebenfalls im Buddhismus findet.  Laruelles Texte sind hochgradig abstrakt und eine echte Herausforderung aber letztlich führen sie auf eine grundsätzliche Einfachheit, auf eine Direktheit die der Menschen als das Reale ist. Es ist die momentane Suspendierung des Transzendentalen, das eine radikale Immanenz nicht bewirkt sondern sichtbar macht. Das Transzendentale ist sozusagen eine Art Klebstoff, der die Partikel unserer Wirklichkeit und unseres Weltverständnisses in ein kohärentes Ganzes überführt. Wir benötigen diese Kohärenz – weswegen das Transzendentale in gewisser Weise nicht wirklich vermeidbar ist. Es gibt aber eine Wahlmöglichkeit und es gibt keine die Ausschliesslichkeitsanspruch hätte – den der Buddhismus und jedes andere philosophische und religiöse System aber für sich beanspruchen (weshalb sie die eigentliche Perversion sind die man den Häretikern immer vorwirft). Das Interessante am Buddhismus ist, im Unterschied zu anderen Religionen, und damit ist er dann, so verstanden, keine Religion mehr, daß er diese Zerstörung eines jeden Absolutheitsanspruches mit sich führt. Im Falle des Buddhismus aus dem tibetischen Kulturkreises finden sich Spuren dieser implosiven Bewegung zur radikalen Immanenz z.B. im erwähnten rDzogs-chen. Die Erkenntnis der Wahlmöglichkeit ist eine Form radikaler Immanenz. Im Augenblick der Suspendierung des Transzendentalen wird eine Formung der Welt sichtbar die uns normalerweise verborgen bleibt. Es wird gewissermaßen die Luft sichtbar die wir atmen. Die abendländische Atmosphäre die unser Denken strukturiert und damit unser Sein. Die Sichtbarmachung dieser Struktur ist damit eine höherrangige, kulturrelativierende Erkenntnis. Sie führt allerdings nicht in einen Universalismus sondern in ein radikales Ausgeliefert sein, vor dessen vermeintlichem Schrecken uns das Transzendentale schützen soll. Das Reale das wir sind und nicht etwa verkörpern, denn es gibt keinen Plan der da wäre bevor wir kämen um ihn zu verkörpern, d.h. ihm eine Gestalt zu geben, ist alleine da – gewissermaßen einzig. Das blitzartige Aufleuchten der Situation ohne einen Rückbezug auf eine starre Syntax der Ausschließlichkeit, sondern als das lokale Wissen jetzt.

Absolute Autorität

Die Entscheidung, ihr kognitiver Aspekt, ist ein Prozess in dem das Immanente, das Empirische, das Beobachtete, das Datum immer vom Transzendenten, dem Apriori, einer Nichtidentität, d.h. einer Idee bzw. einer Verallgemeinerung, dem Faktum bestimmt wird. Das Datum, die Beobachtung bestimmt aber auch das Faktum – aus der Empirie ergeben sich induktiv Verallgemeinerungen die sich als Hypothesen und Theorien niederschlagen. Die Vorhersagen die aus einer Theorie resultieren bestimmen ihrerseits weitere Suchbewegungen auf der empirischen Seite. Es handelt sich also um den Prozess von reziprok ablaufenden Deduktionen und Induktionen. Damit jedoch diese beiden Bewegungen sinnvoll ineinandergreifen können bedarf es einer weiteren Komponente. Sonst kommt es zur Aporie – zur Frage was eigentlich was bestimmt und wie wir etwas erkennen können, wenn wir es noch nicht kennen. Dieses Element muß einerseits direkt in der Spähre von Datum und Faktum wirksam, also empirisch, sein um die beiden zu gewissermaßen zu verschweissen, es muß aber andererseits einen externen Standort einnehmen, um von diesem absoluten Ort aus die sich ständig relativierenden Bewegungen von Datum und Faktum zu kontrollieren ohne Gefahr zu laufen selber innerhalb dieses Systems manipuliert zu werden. Es muß eine absolute transzendentale Autorität geben. Durch diese eigenartige Verflechtung wird die außerweltliche Autorität einerseits innerweltlich erzeugt und gestützt andrerseits aber erhält sie ihren absoluten Status quo als un(an)greifbare Transzendentalie. Wegen dieses zweifachen Auftretens spricht man auch von transzendentaler Immanenz. Genau genommen kommt es auch hier wieder zu einen infiniten Regress. Der transzendente Aspekt ist nicht nur bestimmend sondern wird auch bestimmt, ist also nicht wirklich ausserweltlich und bräuchte seinerseits wieder ein weiteres Äusseres. Das wird allerdings nicht ohne weiteres deutlich. Besonders dann nicht wenn wir es mit scheinbar völlig entgeisterten, materialistischen Philosophien zu tun haben. Es spielt aber keine Rolle, ob es sich um eine scheinbar materialistische Philosophie handelt – wie zum Beispiel beim Säkularen Buddhismus. Nicht der Inhalt ist es um den es geht, sondern die Form: die dreipunktige spezifische Syntax aus Datum und Faktum einerseits und der Transzendentalie anderseits spricht in einer bestimmten Form. Das Regelwerk der Entscheidung erfordert eine absolute transzendentale Autorität und die findet sich auch im Säkularen Buddhismus als Der Dharma welcher in althergebrachter Manier als absolut gesetzt wird. (vgl.: Über den Glauben der Säkularen Buddhisten) (Anmerkung 18.9.2015)

X-Buddhismus

Das komplette System für den X-Buddhismus sieht demnach wie folgt aus: Samsara ist das empirische Feld; Bedingtes Entstehen ist seine allgemeine Form; Der Dharma ist das so genannte Große Ganze, die kosmische Norm. Er ist die transzendentale Immanenz die Samsara und Bedingtes Entstehen synthetisiert – d.h. in eine Form bringt, die dann als ganz natürlich gewachsen erscheint. Dieser Eindruck vom natürlich Gewachsenen, von einem Naturgesetzt also das dem zu Grunde liegt, ist es schließlich der sogar einen säkularen (materialistischen) Buddhisten dazu bringt diese Entscheidung zu akzeptieren.

Diese Entscheidung aber, als absolute Setzung, führt in einem bestimmten Sinn immer zum gleichen Ergebnis. Sie führt zu einem System das die Welt, die Wirklichkeit, das Reale, umfassend, lückenlos und ohne Rest erklärt. Ihre Zirkularität erzeugt ein scheinbar vollständiges Bild das tatsächlich jedoch den Ausschluss, den es immer auch vollzieht, unsichtbar macht. Damit wird eine Realitätsinsel erzeugt. Es entsteht wieder eine autoepistemische Geschlossenheit. Diesmal nicht auf der Ebene des biologischen Organismus sondern in der sozialen Spähre. Das was nicht erklärt wird, existiert nicht und falls etwas auftaucht, das bisher nicht existierte kann es eingepasst werden. Da es allerdings ohne eine Form der Schöpfung von Realität nicht geht, geht es in der Kritik nach Laruelle und Wallis nicht darum durch Entscheidung erzeugte Wirklichkeit in Bausch und Bogen zu verurteilen sondern das Prinzip ihrer Formung sichtbar zu machen und zu fragen was übrig bleibt, wenn das Prinzip ausser Kraft gesetzt bzw. gewollt, d.h. axiomatisch, gesetzt wird? Es geht u.a. um Kritik im besten Sinne, in dem nämlich, einen Widerspruch sichtbar zu machen und aus diesem Widerspruch das Neue zu gewinnen.

Im Falle des Gurus sahen wir, daß seine Autorität gerade nicht aus einer besonderen Einsicht hervor geht, sondern ein Effekt bestimmter Mechanismen ist die ihm verborgen bleiben, wenn er den Dharma absolut setzt. Das Gefährliche am Guru unter der Pickelhaube ist, daß diese Person unwissentlich das Gegenteil dessen erzeugt, was sie vielleicht ganz wohlmeinend anstrebt: Man sieht, daß Der Dharma nicht funktioniert als Alles-Erklärer und Alles-Sichtbarmacher sondern, im Gegenteil, Erkenntnis verhindert.

Damit ergibt sich die Frage welche ethische Autorität der X- Buddhismus hat wenn er einem solchen Weg des Wegsehens folgt? Ein Buddhismus der grundlegende Aspekte der Realität ignoriert, wie soll der bestimmenden Einfluss auf die Welt nehmen?

Die Entscheidung ist ein Aspekt aller X-Buddhismen.  Ob das Zen, Theravada, Tibetischer oder Säkularer Buddhismus ist, ob es sich um verkappte Formen wie etwa MBSR oder den allgemeinen grassierenden Esoterik- und Achtsamkeitswahn handelt, das X ist immer eine Art Besinnungslosigkeit. Die fehlende Besinnung auf den eignen Verstand. Der fehlenden Entschluss, nicht einfach zu glauben, nicht einfach dem Affekt zu folgen, sich nicht einfach alle Widersprüche weg erklären zu lassen. Es ist ein Fehlen. Das fehlende Wollen Widersprüche als Signal dafür zu nehmen, daß eine Theorie nicht (vollständig) gültig ist, daß sie offensichtlich verbessert werden muß, wenn sie keine verlässlichen Aussagen macht oder daß sich vielleicht sogar ein Paradigmenwechsel anbahnt.

Exil

An dem Punkt an dem klar wird, daß der X-Buddhismus falsche und widersprüchliche Aussagen macht, kommt es zur Dissonanz. Die kognitive Dissonanz ist ein gutes Zeichen. Die Irritation ist ein Wegweiser. Derjenige der beginnt dem Widerspruch als Leitmotiv der Verbesserung zu folgen gerät zwar erstmal aus dem Takt, die sicheren Verankerungen in einer umfassenden Erklärung löst sich und es wird deutlich, daß die Welt mit ihren Menschen ein System ist dessen Regelsystem uns ganz und gar nicht klar ist und daß der Sinn den wir all dem geben oft einer kulturelle Willkür ist – aber der erschreckende leere Raum der sich da auftut, in dem die Dinge haltlos werden und zu treiben beginnen, in dem wird auch klar welch bodenlose Infamie es ist, sich weiter täuschen zu wollen wenn man die Täuschung erkennt. Man kann die einmal gemachte Einsicht nicht rückgängig machen. Der Versuch schon ist die eigentliche Sünde wieder den heiligen Geist, denn der Raum der Irritation ist das Novum selbst. Nur hier kann irgend etwas passieren. Alles andere ist Stasis, abgestorben, tot.

Es ist die Aporetische Dissonanz die das Novum möglich macht. Jener affektive Zustand der sich beim dissonanten Klang einstürzender Luftschlösser einstellt. Es ist die damit einher gehende Verstörung, die Verwirrung und der Orientierungsverlust im Adepten, wenn klar wird, daß die Integrität buddhistischer Selbstdarstellung unglaubwürdig ist. Es ist die ungemütliche Erkenntnis, daß die buddhistische Selbstdarstellungsrhetorik nichts ist als die Sackgasse des Unverstandes. Es ist der Auftakt zur Aporetischen Prüfung. (vgl. Wallis, aaO, S. 12)

Glenn Wallis‘ Non-Buddhismus ist auf den ersten Blick eine scharfe Kritik am X-Buddhismus und wenn man die Feststellung, daß der Kaiser tatsächlich keine Kleider trägt eher als Kritik denn als nüchterne Bestandsaufnahme sieht, dann mag das auch stimmen. Es ist allerdings viel eher die nüchterne Bestandsaufnahme der Fähigkeiten und Möglichkeiten des Buddhismus neben dem Wissen das uns heute zur Verfügung steht, das den Non-Buddhismus ausmacht. Die Aporetische Dissonanz resultiert u.a. aus einem solchen, zunächst unwillkürlichen Vergleich und dem ehrlichen Eingeständnis, daß es da zu Widersprüchen kommt, ohne vor unangenehmen Einsichten in die eigenen Fehlbarkeit zurück zu schrecken. Um diesen Prozess weiter zu führen entwickelt der Non-Buddhismus „eine neue Perspektive in Bezug auf buddhistische Gedanken und Praktiken. Eine Perspektive, die ihren Standpunkt notwendiger Weise weder innerhalb noch ausserhalb des Buddhismus selbst einnimmt. Eine die dem Buddhismus gegenüber, seinen Schemata, dessen rhetorischen Tropen und seinen entscheidenden Strategien keine Verpflichtung eingeht.“ (vgl. Wallis, aaO, S. 10) Es geht dabei nicht um eine Neubegründung des Buddhismus oder um eine neue Richtung, um einen weiteren X-Buddhismus. Dies folgt aus dem qualitativen Bruch der sich aus der Ausserkraftsetzung der Entscheidung ergibt. Die Aporetische Dissonanz ist ein erstes Aufklaffen einer Lücke im Gewebe buddhistischer Wirklichkeit. Um diese systematisch zu erweitern, um aus dem Irrgarten x-buddhistischer Praktiken und Versprechungen zu entkommen, entwickelt Wallis eine „spezifische methodologische Vorgehensweise bzw. eine Heuristik deren Termini zunächst als sondierende Postulate gesehen werden können um eine Untersuchung einzuleiten.“ Auf die eher zufällige Aporetische Dissonanz folgt daher ein erster systematischer Schritt den ein Buddhist unternehmen kann:

Die Aporetische Prüfung. Eine kognitive, interrogative Eigenschaft des Spekulativen Non-Buddhismus, die aus dem affektiven Zustand der aporetischen Dissonanz heraus entsteht. Die Widersprüchlichkeit die die Dissonanz initialisiert, setzt das buddhistische Netzwerk von Postulaten außer Kraft und entkräftet seine Aura. Eine derartige Widerlegung verdeutlicht dem Praktiker (i) Risse, Lücken und Aporien im buddhistischen Weltbild und (ii) daß buddhistische Rhetorik unter Umständen nichts anderes bewirkt als die auftretenden Aporien mit buddhistischen Phantasmagorien zuzukleistern bzw. sich ihnen grundsätzlich zu entziehen. (vgl. Wallis, aaO, S. 12)

Die Folge ist

die Ausserkraftsetzung der Ermächtigung. Sie ist eine der nachhaltigen Konsequenzen die aus der Anwendung der Heuristiken des Spekulativen Non-Buddhismus folgen: die Implosion buddhistischer Glaubwürdigkeit. Tatsächlich kann der Spekulative Non-Buddhismus, auf Grund des Zwangscharakters buddhistischer Entscheidung,seine Arbeit nicht beginnen solange die Ausserkraftsetzung der Ermächtigung nicht stattgefunden hat. Diese Ausserkraftsetzung ist dabei kein willentlicher Akt. Es ist das Verlöschen – affektiv wie kognitiv – einer Fata Morgana. (vgl. Wallis, aaO, S. 13)

Es ist der endgültige Verlust jeglichen Halts, ein irreversibler Zustand absoluter Hoffnungslosigkeit, der sich aber auf merkwürdige Weise nicht als das herausstellt was unsere Kultur der Machbarkeit in ihrem Horror vor dem Bodenlosen der Existenz damit verbindet. Der Dharma als Verdunklung dessen was er angeblich zu erhellen versucht, das heisst doch: ohne ihn sieht man mehr! So mündet die Aporetische Prüfung und die Ausserkraftsetzung der Ermächtigung in

das Irreversible Ungleichgewicht, die Dezentrierung, in den affektiven Zustand der mit dem definitiven Ende der Hoffnung einher geht, der „Buddhismus“ sei die magische Zuflucht als die er sich in seiner Selbstdarstellungsrhetorik ausgibt. Es ist so eine Haltung des Nicht-Hoffens  die der Spekulative Non-Buddhismus voraus setzt – und interessanterweise gleicht diese Dezentrierung der dem Buddhismus eigenen „Ernüchterung“ und erinnert an seinen Tropus vom „Verlassen der Heimat“. (vgl. Wallis, aaO, S. 12)

Was folgt, ist das Exil. Man findet sich mehr oder weniger unerwartet jenseits der buddhistischen Wallanlagen wieder. Es ist ein unerwarteter Moment. Die Aporetische Dissonanz initiiert den Impuls, die Aporetische Untersuchung erhöht das Momentum bis die Entscheidung sichtbar wird. Ihre Erscheinung löscht das X. Das Non, das es ersetzt, wie das „Nicht“ der Nicht-Euklid’schen Geometrie hebt mit einem Schlag eine Beschränkung auf. Wie das Löschen des Parallelenaxioms in der Geometrie, bewirkt das Löschen des X einen Zusammenbruch der vertrauten Ordnung, der zu einer Vielzahl neuer Möglichkeiten führt. Es ist entscheidend zu verstehen welche Beschränkung hier aufgehoben wird, um zu sehen, daß das Non nicht ein weiteres X ist.

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Literatur: Laruelle auf Deutsch => Laruelle Bibliographie

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18.9.2015, Anmerkung zum Absatz Absolute Autorität: Passagen des Abschnitts finden sich ohne Quellenangabe wieder in: Achim Szepanski, Kapitalisierung Bd. 1, Hamburg, 2014, S. 57 f.

38 Antworten zu Um was es geht!

  1. 

    Leider leidet dieser Artikel genau an derselben Oberflächlichkeit, die er dem westlichen Buddhismus vorwerfen möchte: es ist die unsägliche Pauschalisierung, die diesem Ansatz alle Kraft raubt.
    Ein verbaler Rundumschlag wie dieser hat leider nicht die Kraft, irgendwelche Einsichten zu ermöglichen. Anstatt zu differenzieren werden alle Buddhisten (außer dem Autor selber, sowie einige seiner Kollegen) abgewertet und als hohle und nicht-denkende Menschen gezeichnet.
    Es liegt auf der Hand dass diese hysterische Theatralik lediglich dem Narzissmus des Autors dient und keine weiteren, tieferen Einsichten zu Tage fördert.

    Eine X-Buddhistin

  2. 

    Hallo Saskia,

    dies ist ein kritisches Projekt und Kritik ist willkommen. Es wäre allerdings hilfreich wenn du deinen Kritik konkretisieren würdest.

    Was genau meinst du z.B. mit „unsäglicher Pauschalisierenung“.

    Es liegt in der Natur dieses Textes, da er versucht eine „allgemeine Syntax“ zu beleuchten, daß er nicht konkret auf spezifische Buddhismen eingeht. Vielleicht ist es das was dich irritiert.

    Ich fände es auch interessant, genauer auf meinen „Narzissmus“ hingewiesen zu werden. Wo wird der deutlich?

    Matthias

  3. 

    Lieber Matthias Steingass,
    Wahrnehmung ist bekanntlich selektiv. Man nennt dies auch interessengeleitete Erkenntnis oder poetischer ausgedrückt: Rashomon-Effekt.
    Wenn Saskia Ihren Text als oberflächlich und pauschalierend bezeichnet, lassen Sie es einfach so stehen. Vielleicht kann oder will sie nicht mehr als eine/ihre Oberfläche wahrnehmen, weil es darunter für sie zu bedrohlich wird, so auch für ihre möglicherweise egozentrierte (um die pathologisierende Wertung narzisstisch nicht zu wiederholen) Wahrnehmungsweise.
    Mit Richard Rorty gesagt, gibt es eben so „verschiedenartige, einander widerstreitende, aber gleich wertvolle Formen des menschlichen Lebens“, also auch des Wahrnehmens, des Denkens usw.
    Auf mich wirkt Ihr Text ebenso vielschichtig wie kompliziert in seiner Komplexität. Es schien mir beim ersten Lesen, als würdest Sie Ihrer Bewertung unserer komplexen Wissenssituation auch in der Form des Textes Ausdruck geben wollen, diese sozusagen intuitiv nachschreiben, ihr nachspüren. Positiv gewertet erscheint es, als verzichten Sie absichtsvoll darauf, was z. B. für das wissenschaftliche Arbeiten nach dem ersten kreativen Entwurf gefordert wird, zu ordnen, klar zu strukturieren und mit einer nachprüfbaren Beweisführung abzuschließen.
    Der Verzicht darauf gibt dem Text für mein Empfinden etwas Fließendes und vor allem an allen Enden Offenes, Unabgeschlossenes. Das fordert das kreative Mit- und Weiterdenken des Lesers, ebenso wie die Sprünge und Brüche im Gedankenfluss. Das mag als undurchdringliches Gedankengestrüpp und als Denkdschungel erlebt werden. Wiederum positiv gewertet kann darin auch eine Vermeidung (unzulässiger) Vereinfachungen gesehen werden, wie Sie es für religiöse Ansätze abwehrend beschrieben haben. So zeigt sich Ihr schreibmethodischer Ansatz, wiederum nur in meiner Wahrnehmung, als Ihrem Erkenntnisinteresse kongruent. Vielleicht ist dies sogar Ausdruck einer Art Anfängergeist, der immer auch angreifbar sein wird?
    Sie schreiben:
    „Es geht darüber hinaus dabei aber auch darum, das eigentliche Ideal der Europäischen Aufklärung, den Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit, umzusetzen – …“

    Es sollte eigentlich um nichts anderes gehen. Allein durch die Verpflichtung an diesen Anspruch begründet und legitimiert sich das Projekt des speculative Non-Buddhism.
    Die (meine) Frage ist allerdings, ob dafür der dialektisch (oder ausschließlich dekonstruktiv?) zu bezeichnende Ansatz des fortgesetzten „Non“ genügt? Ebenso wäre zu fragen, ob im Dreischritt der Aufklärung der tradierte östliche ebenso wie der sich mehr oder weniger kreativ bzw. epigonal fortschreibende westliche Buddhismus dialektisch „aufgehoben“ (also weiterentwickelt) oder einfach losgelassen werden sollten.
    Für ein kritisches Weiter spricht aus meiner Sicht nur die alle buddhistischen Schulen einende Praxis des Übungsweges oder wie es hier besser mit „buddhistischen Praktiken des Bewusstseins“ bezeichnet wurde.

    Das Besondere der historischen Entwicklung des Buddhismus soll, so die Lehrmeinung, ja darin bestehen, dass er bei seinen Wanderungen durch die Kulturen diese nicht oder zumindest weniger kolonialisiert habe als andere streitbarere Religionen. Im Gegenteil sollen dabei sogar tiefgreifende Weiterentwicklungen möglich geworden sein (China + Taoismus: Chan; Japan + Shintoismus: Zen).
    (Ich bitte um Nachsicht wegen der unzulässig vergröberten Darstellung. Mir geht es nur um einen Gedankenentwurf zum Stichwort Mutationen.)
    Vielleicht verbleibt ja eine klägliche Hoffnung auf eine weitere mutative Weiterentwicklung – nun auch unter emanzipatorischen Vorzeichen – eben in der gegenwärtig stattfindenden Reibung mit der Kultur der Aufklärung/Säkularisierung?

    „Das Interesse sollte buddhistischen Praktiken des Bewusstseins gelten.“

    – Also dem Denken, der Beobachtung des Denkens, vor allem dem Denken und der Beobachtung des Endes des Denkens und des daraus resultierend des Endes der Hoffnung auf eine denkbare Zuflucht vor der realen Auslöschung.

    „…, wenn man das Ende des Denkens selbst betrachtet: Die Auslöschung!
    Du entscheidest, dich von einem zentralen Faktum nicht abzuwenden.“

    Dieser Blick in die Sonne begründet nach meiner Erfahrung den Paradigmenwechsel.

    Was diesen Blog für mich lesenswert macht, ist Ihr beständiges Bemühen, hier (und anderswo) nicht nur in Begriffs- und Deutungsdebatten angelernter buddhistischer Besserwisserei zu verenden. Hier finden sich auch – wie sonst kaum – offene Beschreibungen persönlicher Erfahrungen im Feldversuch, offen in mehrfacher Hinsicht: offen, weil unabgeschlossen, auch sprachlich unabgesichert und offen für kritische Deutungen ohne Ausgrenzungen, eben: Offene Weite – nichts von heilig.

    Gute Beispiele hierfür sind Ihre Beschreibung der Beobachtung des Denkens in der Nähe des Schlafes, seine Reorganisation in der Aufwachphase und der durchlebte Schock des Nicht-Selbst. Da zeigt sich eine Korrespondenz mit Gedanken von Guido Keller über körperliche Entgrenzungserfahrungen beim „Erwachen“:

    „…, dass für einen Moment etwas mit ihm geschah, was alle Vorstellungen überstieg und sein Selbstbild vollkommen vernichtet hat. Dies wird er nicht mehr los. Wie mit allen Schlüsselerlebnissen (so nennt es wohl die Psychologie) kann natürlich der Einfluss aufs Alltagsleben mit der Zeit schwinden, sehr wahrscheinlich gibt es aber sichtbare Folgen im Leben des Betroffenen. Im anderen Blog äußerte ich den Verdacht, dass es beim Erwachen nicht um die Stimulation von Gamma-Wellen geht, die für eine Subjekt-Objekt-Aufhebung zuständig sein könnten, sondern eher um einen (Teil)Ausfall von Gehirnarealen. Wir werden sehen. Erwachen ist wie Dasein ohne Gedanken (Vorstellungen). Dieses Erlebnis, das nur von kurzer Dauer ist, scheint im Hirn abgespeichert zu werden. So kann man diesem Erlebnis wieder nahekommen, falls es sich nicht sowieso wiederholt.“
    (siehe Kommentar „Meditation und Kontrolle“)

    Es ist wunderbar, dies so klar, weil selbst erfahren, lesen zu können. Sich darüber miteinander zu verständigen, also miteinander in ein (konkurrenzfreies) Gespräch zu kommen, wäre eine mögliche Praxis für das von Ihnen eingeforderte „kooperative Verhalten“ (siehe Kommentar „Der Zauberer“).
    Was sonst autoritär tabuisiert oder autoritativ kanalisiert wird, der unzensierte öffentliche Erfahrungsaustausch Praktizierender, könnte ein wirklich emanzipatorischer Ansatz auch für das Unbuddhist-Projekt und für diesen Blog sein.
    Was meinen Sie dazu?

  4. 

    Lieber Matthias,

    hast du zufällig eine Einführung in Nihilismus (im oben beschriebenen Sinn, nicht im The-Big-Lebowski Sinn), die du empfehlen könntest?

    Ansonsten Danke für den Text. Ich habs zwar immer noch nicht verstanden, aber so ist das wohl. Man irrt sich empor.

    Saibhu

  5. 

    Liebe(r) Re, vielen Dank für diesen ausführlichen Kommentar. Ich komme darauf zurück. Bin momentan bis 8.8. im so genannten Irgend-Wie-Anders-Modus und habe deshalb wenig Zeit zum antworten.

    Saibhu, ich ahne was ein The-Big-Lebowski-Nihilismus sein könnte. Ich werde mir den Film auf jeden Fall bald wieder ansehen, um das besser zu verstehen. Ich vermute, ein White Russian wird mir dabei helfen. „Nichts“ von Ludger Lütkehaus könnte ein Buch in Hinblick auf deine Frage sein. (Habe aber selbst nur darin geblättert bisher) Ansonsten Ray Brassiers „Nihil Unbound“ (enthält auch eine Einführung in Laruelles Denken). Ansonsten könnten wir einfach auch selber einen fröhlichen Nihilismus entwickeln….

    Beste sommerliche Grüße euch beiden, Matthias

  6. 

    Liebe(r) RE

    Sie schreiben

    Die (meine) Frage ist allerdings, ob dafür [für den Kant’schen Anspruch] der dialektisch (oder ausschließlich dekonstruktiv?) zu bezeichnende Ansatz des fortgesetzten „Non“ genügt?“

    Das „non“ steht für die Abwesenheit eines Gesetztes, Axioms oder einer Regel. Es ist vergleichbar mit dem „nicht“ in Nicht-Euklid’sche Geometrie. François Laruelle verwendet diesen Vergleich um seinen Ansatz der Non-Philosophie zu erläutern. Fällt das Parallelenaxiom aus der Euklidschen Geometrie weg, ergibt sich eine andere Geometrie mit neuen Möglichkeiten. In Laruelles Non-Philosophie wird jede Philosophie sozusagen zu Material die Welt in einer bestimmten Art zu sehen. Die verschiedenen Arten, auch wissenschaftliche oder künstlerische, sind gleichberechtigte Realitäten oder lokale Möglichkeiten des Verstehens. Im Unterschied zur Postmoderne ist das Verstehen allerdings nicht ein Verstehen von etwas, ein immer wieder neuer Ausdruck von etwas das wir als solches nie wirklich erfahren könnten, sondern die Erfahrung des Verstehens in irgend einer Weise ist die Sache selbst. Es gibt keinen Gegenstand mehr auf den sich die Erfahrung bezieht, der aber in letzte Instanz nie wirklich gesehen werden kann. D.h. es geht um eine radikale Immanenz als Gegenstand wobei jede Transzendenz verschwindet.

    Im Zusammenhang mit dem Buddhismus heisst das folgendes. Erstens wird ihm jeder absolute Anspruch, die Welt alleine und vollständig zu erklären abgesprochen. Jede Variante des Buddhismus ist eine Realitätsinsel unter vielen anderen Realitätsinseln. Diese Varianten müßen sich daher auch den Ansprüchen anderer Erklärungsmodelle stellen (z.B. Psychologie, Evolutionstheorie, Soziologie etc.). In diesem Sinne wird sein Anspruch tatsächlich geschmälert. Zweitens aber bleibt buddhistischen Postulaten die Möglichkeit ein neues Spiel zu beginnen. Die Befreiung vom Zwang alles erklären zu müßen, ermöglicht es, buddhistische Postulate in neue Zusammenhänge einzufügen und experimentell mit ihnen umzugehen. Ein Beispiel findet sich hier => Sitting, Full of Shit (Übersetzung ins Deutsche folgt in Kürze).

    Das fortgesetzte „non“ ist also eine Erweiterung des Spielraumes durch die Ausserkraftsetzung eines Axioms – desjenigen des Allerklärungsanspruches des Buddhismus. Das „non“ ist also keine Ablehnung oder Kritik sondern eine Befreiung und in diesem Zusammenhang handelt es sich tatsächlich um einen dialektischen Prozess.

    Die Kritik ist dabei Teil dieses Projektes indem sie Widersprüche sichtbar macht. Das ist das was im Text als „aporetische Dissonanz“ und als „aporetische Prüfung“ bezeichnet wird. Beides sind Vorstufen einer Befreiung.

    So gesehen zielt das ganze Projekt auch tatsächlich auf den Anspruch, etwas dazu beizutragen, den Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit umzusetzen.

    Ihre Frage ist allerdings berechtigt und hat vielleicht damit zu tun, daß man doch immer Gefahr läuft in einer Theoriehaftigkeit gefangen zu bleiben. Ob man dieser Gefahr durch „buddhistische Praktiken des Bewusstseins“ entgeht ist fraglich. Dann nämlich, wenn diese durch den Allerklärungsanspruch des jeweiligen Buddhismus nur dazu führen bestimmte Vorstellungen zu festigen anstatt zu öffnen. D.h. man kann nicht einfach anfangen zu ‚meditieren‘, sondern man muß das „non“ auch auf diese Praxis anwenden. Dabei kommt es dann evtl. zu völlig neuen Formen der Praxis.

    Ich denke dem konkurrenzfreien Gespräch kommt dabei eine besondere Rolle zu. Man müsste dabei dann vielleicht dazu kommen, das Stille sitzen anders zu bewerten. Es wird heute, besonders in den westlichen Ausformungen eines neuen Buddhismus oft absolut gesetzt und seine Ergebnisse werden wortreich als nicht zu beschreiben beschrieben. Vielleicht aber müsste man es als nur eine Variante des konkurrenzfreien Gesprächs identifizieren, da wir uns immer schon in einem Gespräch befinden – auch wenn es ’nur‘ ein innerer Monolog ist dem wir vorurteilsfrei zu folgen versuchen.

    In Bezug auf ihre abschliessende Frage würde ich also sagen, daß, was unseren Buddhismus angeht, es ein wesentlicher Punkt ist, ein konkurrenzfreies Gespräch über ihn und seine Praktiken zu beginnen. Es wäre in dieser Hinsicht schön wenn wir mehr Aktivitäten in dieser Richtung entfalten könnten.

  7. 

    Ich glaube das, dass was hier im Westen als Buddhismus praktiziert wird, gänzlich von dem abweicht, was das eigentliche buddhistische Gedankengut ausdrücken wollte. Wie jede Religion sind hier Interpretationen möglich, die aus heutiger Sicht nicht mehr relevant sind. Man müsste eine vollkommen neue Form der herangehensweise finden, um zu begreifen, was alleine der Ausdruck: „das ICH aufgeben“ wirklich zu bedeuten hat.

    Ich fühle mich als Buddhistin, jedoch nicht als eine solche die sich in einer Sangha bewegt, und sich den Buddhismus durch Rezitierungen aus dem Palikanon, oder anderen alterstümlichen buddhitischen Texten anhören kann. Der Buddhismus gelangt für mich in weite Ferne, wenn ich versuche die Texte in meinen Alltag zu integrieren. Das funktioniert nicht. Die Meditation die hierzulande praktiziert wird, ist mir zu formell. Alles dreht sich um ein angepasstes Menschenbild, welche ich als Mensch nicht entspreche.
    Die Einsamkeit die ich im Buddhismus empfange verhilft mir ein eigenes Gedankengebäude zu bauen, und den Buddhismus anders, aber für mich wahrer zu empfangen.

    Ich empfinde mich nicht als Non-Buddhist, eher als ein solcher den es vielleicht noch nicht, – vielleicht aber auch nie mehr geben wird.

    Ich fühle mich als der:

    Einsame Wolf der erkannt hat wie die Prärie wirklich ist.

    Vielleicht verhilft mir deine Seite einen Blick hinter die Kulissen, über die heut zu Tage keiner mehr reden will….

    Alles liebe von Jo.

  8. 

    Noch etwas, ich empfinde dich nicht als Narzisstisch, im Gegenteil du sprichst hier die Masse an, mit einem Problem das sehr wohl sichtbar ist, vor dem aber viele die Augen verschließen. Mir war nur nicht bewusst, das man sich Non-Buddhist nennt, wenn man ein bestehendes System kritisch beäugt.

    Dir liebe Grüße von Jo.

  9. 

    Diese Zusammenfassung nonbuddhistischer Thesen ist keine leichte Kost. Ein bisschen beschleicht mich bei der Lektüre aber der Verdacht, mit Hilfe einer hoch philosophisch-nonphilosophischen Fachsprache wolle man sich schon gegen mögliche Kritik wappnen. Aber das ist vielleicht auch nur mein persönliches Problem. Denn ich bevorzuge mittlerweile Diskurse, die sich an möglichst einfache Sprache halten. Stephen Batchelor finde ich in diesem Themenfeld ganz erfrischend. Vielleicht „kann“ er das auch nur, weil er das andere nicht kann, weil er kein verquaster Hochschulseiltänzer ist.

    „Er besteht immer noch darauf, einen umfassenden über jeden Zweifel erhabenen, umfassenden – zureichenden –Erklärungsanspuch zu haben der in kanonischen Schriften fest verankert ist.“ – Nie habe ich Buddhismus so verstanden. In erster Linie, und da sehe ich einen gewissen Universalanspruch in dem Sinne, dass sie kaum kulturspezifisch ist, sind diese alten Texte – für mich – psychologische Ratgeber, Tipps fürs Leben, ganz easy, einfach und unprätentiös: „Wenn euch auch andere beschimpfen, tadeln, belästigen sollten, sollt ihr da nicht böse, nicht unzufrieden, nicht zornigen Gemütes werden.“ (Alagaddupama-Sutta) Darüber kann man diskutieren. Ist das nun ideologisch reaktionär oder psychohygienisch einfach vernünftig? Es kann beides sein. Benütze deinen gesunden Menschenverstand, um mit solchen Tipps sinnvoll umzugehen, müsste man ergänzen.

    Die alten Pali-Texte beinhalten doch eine reife Form der Selbstkritik: „Ich habe euch, ihr Mönche, eine Lehre gegeben, die einem Floße gleicht. Auch sie ist zum Überqueren bestimmt und nicht zum Mitschleppen (wörtlich: festklammern). Ihr, meine Mönche, die ihr das Gleichnis vom Floß versteht, solltet auch gute Dinge aufgeben, um wieviel mehr aber üble Dinge.“ (zit. nach Walpola Rahula)

    Ich bin kein Buddhist, was ein X-Buddhist ist, weiß ich gar nicht. Ich gehe ziemlich entspannt mit diesen alten Texten um, und picke zweifellos Rosinen, was mir eine versöhnliche Haltung gegenüber dem Buddhismus erlaubt. Meditation ist mir keine Pflicht und kein Gegensatz zum Denken. Im Gegenteil bedeutet Meditation, sich einem Gegenstand konzentriert zu widmen, über ihn nachzudenken. Dazu braucht man sich nicht zu setzen und schon gar nicht in einer Haltung, die schmerzt. Kulturellen Besonderheiten nachzueifern, nur weil sie fremd und aufregend sind, entsprechen nun schon mal gar nicht diesen „Tipps fürs Leben“. Sind wir nicht vernünftig genug, die Rosinen im Kuchen zu erkennen?

    Schöne Grüße
    Tom

  10. 

    Hallo tom-ate, vielen Dank auf jeden Fall, daß du es dir durchgelesen hast.

    „Ein bisschen beschleicht mich bei der Lektüre aber der Verdacht, mit Hilfe einer hoch philosophisch-nonphilosophischen Fachsprache wolle man sich schon gegen mögliche Kritik wappnen.“

    Am besten wäre es, konkrete Stellen zu nennen, die unklar sind oder unverständlich. Da könnte ich versuchen drauf einzugehen. Kritik ist erwünscht (ganz im Gegensatz zum Neo-Buddhismus). Eine möglichst einfache Sprache ist keine Garantie dafür, das man irgendwas verstehen kann. Sie kann genauso gut ein Instrument der politischen Korrektheit sein. Eines die dafür sorgt, daß nichts gesagt wird was gegen das offiziell anerkannte (aber unausgesprochene) Dogma verstößt. Der ganze Absatz riecht leider nach der heute so modischen Intellektfeindlichkeit. Ein „verquaster Hochschulseiltänzer“, was ist das denn? Bildung brauchen wir nicht. Kant ist für’n Arsch!

    Am besten, wie gesagt, du bringst konkrete Kritik. Konkrete Beispiele. Wie gesagt: Kritik ist erwünscht. Aber konkret.

    Zu Stephen Batchelor. Frage: Wozu bracht man einen buddhistischen Lehrer? Um sich zu langweilen?

    Wenn du den Buddhismus so wie er sich für dich ergibt nicht als umfassenden Erklärungsanspruch siehst, dann ist das prima so. In der Praxis ist es leider sehr häufig anders. Hinzu kommt, daß Buddhismus vermarktet wird weil er, was die Marketingfachleute natürlich erkennen einen Mehrwert verspricht. Man kann an und mit ihm profitieren. Kohle machen. Das Stichwort „psychologicher Ratgeber“ ist da interessant. Der psychologische ratgeber lässt sich gut optimieren wenn man einen Buddha drauf klebt. Das mindert den Rat nicht unbedingt, es verteuert ihn nur. Es macht den guten Rat zu einem Gut das verhökert wird – und das ist einer meiner wesentlichen Kritikpunkte: wir soll für das Beste und Einfachste zahlen!

    Das mit dem Floß ist auch so eine Sache. Natürlich ist das ein schönes Beispiel. Aber wie oft machen wir Ernst damit. Das Beispiel Sitzen, Voll Scheisse macht Ernst mit der Metapher vom Floß. Nur was passiert? Weil nicht Buddha drauf steht, wird auch kein Buddha drin sein. Nur wo Buddha drauf steht, glauben wir ist auch Buddha drin. Ich drehe es rum, wo Buddha drauf steht, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Buddha drinne.

    „Was ein X-Buddhist ist, weiß ich gar nicht.“

    Ein X-Buddhist ist einer, der z.B. an den Dharma als höchste und letzte Erklärung glaubt. Das ist das Prinzip des zureichenden Buddhismus. Des Buddhismus der heute meistens gelehrt wird. Beispiel: Buddha erkannte unter dem Bodhibaum alles. Unter anderem auch die Quantenphysik. – Das ist der Dharma als umfassende, alles überragend Erklärung. Wenn du nicht zu den Leuten gehörst, die daran glauben, sehr gut. Wenn du mal Gelegenheit hast eine Sangha kennen zu lernen, sieh dir mal an wie viel Leute an den Dharma glauben.

    Dein ganzer letzte Absatz ist richtig schön unbuddhistisch. Aber versuch dich mal mit so einer pragmatischen Haltung mit echten ‚Buddhisten‘ zu unterhalten.

    Vielen Danke für deinen Kommentar.

  11. 

    „Der ganze Absatz riecht leider nach der heute so modischen Intellektfeindlichkeit.“ – Gut, da geb‘ ich dir Recht. Das war ein unfreundlicher Einstieg. Ich möchte hier eigentlich keinen Stress machen, denn ich lese dieses Blog hin und wieder sehr gerne. Aber es war da etwas Frust beim Lesen entstanden, der weggeschrieben werden musste. Konkret meine ich zum Beispiel den Abschnitt über François Laruelle, den ich nicht kenne. Ich meine zwar, ein bisschen zu verstehen, was das Transzendentale und die Immanenz bedeuten. Aber was heißt nun: „die momentane (wieso momentan?) Suspendierung (wieso?) des Transzendentalen“ und wie ist in der Folge der Begriff „Kohärenz“ zu verstehen. In welchem Verhältnis steht nun das Transzendentale zur Kohärenz? Ich verstehe den Abschnitt nicht und an solchen Stellen beschleicht mich der Verdacht, dass entweder etwas mit den Begriffen nicht ganz stimmt oder dass man das Ganze in einfachem Deutsch für völlig banal halten könnte oder dann halt doch, dass ich ziemlich blöd sein muss… So gerate ich in Versuchung, zu vermuten, es müsste an dieser Stelle vielleicht „die momentane Suspendierung der Transzendenz“ heißen (?). Und was versteht Laruelle unter dem Begriff „Entscheidung“? Vielleicht könnte ich über all das selber nachdenken und recherchieren…

    Ich war mal für ein paar Wochen in – sagen wir mal: so einer tibetisch-buddhistischen Sekte. Wollte mal wissen und erleben, wie „richtig“ bzw. konkret meditiert wird und ein paar Unterweisungen des spirituellen Oberhaupts wollte ich mir auch anhören. Die Reden des Gurus erwiesen sich in dem heiklen Punkt der Anatta-Lehre (Lehre vom Nicht-Ich) und der Wiedergeburt als wenig erhellend, eher als verwirrend, was vielleicht systemimmanent ist. Der Gipfel aber waren die Rituale und Zeremonien vor der Meditation: Unbezahlbare Buddhastatuen in Lebensgröße aus Gold oder zumindest vergoldet mussten täglich gereinigt und entstaubt werden. Dann wurden diesen Götzen in devoter, stereotyper Haltung Opfergaben (Schalen mit Reis, irgendwelchem Sirup, Blumen, etc.) gereicht. Und das mitten in Europa, vollbracht von hier eingeborenen Konvertiten. Kurz: Der Katholizismus kam mir mit all seinem Prunk und seinen absurden Gebräuchen verglichen mit diesem Räucherstäbchenparadies bald schon ziemlich calvinistisch vor. Natürlich wird man von buddhistischer Seite einwenden, ich hätte das alles gar nicht richtig verstanden. Behüte. Will ich auch gar nicht. Ich sehe nur, dass dies diametral dem entgegensteht, was ich in der buddhistischen Literatur gefunden habe („Die silas oder ethischen Vorsätze sind somit keine Regelwerke“ – Sangharakshita; usw, etc). Scheinbar ist es in der Praxis aber doch ein menschliches Bedürfnis, in „katholischem Barock“ zu schwelgen und in starren Ritualen eingebunden der Sinnfrage nachzuhängen. Aber eben, da bleibt nur das Fazit: Wenn du Buddha triffst, dann töte ihn.

    Mit meiner Haltung konnte ich übrigens schon mit einem Prediger einer Pfingstgemeinde recht vernünftig reden. Man müsste meinen, das ginge auch mit Buddhisten. Allerdings pflege ich wirklich keinen solchen Kontakt (mehr) und bin diesbezüglich naiv.

    Die Vermarktung des Buddhismus erreicht gerade einen schamlosen Höhepunkt. Man kann in kein Gartencenter, kein Möbelhaus gehen, ohne dass einem dutzende Buddhastatuen in allen Größen entgegenleuchten. Und dann die buddhistisch verbrämte Ratgeberliteratur. Insofern war meine Charakterisierung der alten Schriften als Ratgeberliteratur auf eine glitschige Unterlage gestellt.

  12. 

    Hi tom-ate

    In dem Text heisst es im Laruelleabschnitt. „Es ist die momentane Suspendierung des Transzendentalen, das eine radikale Immanenz nicht bewirkt sondern sichtbar macht. Das Transzendentale ist sozusagen eine Art Klebstoff, der die Partikel unserer Wirklichkeit und unseres Weltverständnisses in ein kohärentes Ganzes überführt.

    Du fragst: “die momentane (wieso momentan?) Suspendierung (wieso?) des Transzendentalen” und wie ist in der Folge der Begriff “Kohärenz” zu verstehen. […] Müsste es an dieser Stelle vielleicht “die momentane Suspendierung der Transzendenz” heißen (?). Und was versteht Laruelle unter dem Begriff “Entscheidung”?

    Ich versuch es anhand deines Beispiels mit der Fütterung der Buddhas zu erklären. Die Statuen sind der immanente Aspekt. Ein Haufen Blech, vergoldet, vermutlich mit kleinen beschriebenen Zettelchen und sonstigen Gegenständen angefüllt. Daß sie Buddhas darstellen ist der transzendente Aspekt. Das ist die „Idee“ – eine nichtmaterielle, nicht greifbare Abstraktion. Diese Idee führt überhaupt erst dazu eine dieser Figuren als einen „Buddha“ mit bestimmten Attributen zu identifizieren. Ohne diese wären es tatsächlich nur Statuen (wobei man mit den ‚Statuen‘ dei gleiche Analyse durchführen kann).

    Man hat also zwei Aspekte: Die Idee von etwas und einen Körper der die Idee ausdrückt. Die Idee, daß eine Menge vergoldetes Blech, das in bestimmter Weise geformt und mit vollgekrakelten Zetteln angefüllt ist, mit einem ‚Buddha‘ identisch ist, der auch durch sie hindurch Wirkungen erzielen kann, ist zunächst völlig inkoherent. Es sind einfach zwei Aspekte der Wirklichkeit, eine Form und eine Idee, deren Zusammenführung ziemlich befremdlich wirken kann und auch nicht zwingend ist.

    Damit sie nicht befremdlich, unzusammenhängend wirken braucht man einen transzendentalen Klebstoff. Das Transzendentale ist einerseits das Außerweltliche. Die für uns weder ideell noch sonstwie greifbare Wahrheit des Dharma z.B. Es ist das Postulat, ein Axiom, daß etwas so und so ist. Jenseits aller Empirie. Basta. Weil es eben so ist, wenn man sich mal dazu entschieden hat, daß es so ist, stimmt es dann auch, daß Buddha sich tatsächlich in einer Staute verkörpert. Viola, die Sache wird koherent.

    Diese Funktionsweise wird von Laruelle Entscheidung genannt.

    Diese Entscheidung führt unter anderem dazu, daß der Dharma als umfassende Erklärung der Wirklichkeit betrachtet wird. Tatsächlich ist dieses „Zureichende“ (ich sage „umfassend“, das „Zureichend“ kommt von Leibniz und wird heute nicht mehr verstanden) ist ein Merkmal der Entscheidung. Daher geht mit der Entscheidung auch ein Ausschluß einher – der Ausschluß aller anderen Möglichkeiten die Welt zu erklären. Das ist die Arroganz des Buddhismus (oder Dummdreistigkeit, das trifft es wohl häufig besser).

    Die momentane Suspendierung des Transzendentalen macht etwas sichtbar. Wirklich radikal betrieben, daß wir in einem inkohärenten Wirrwarr leben dem wir Sinn geben müssen. Nicht nur im Buddhismus. Unser bewusstes Leben selbst ist ein paradoxer Irrsinn. Das betrifft das gesellschaftliche Leben ebenso wie das evolutionär-biologische. Warum macht jemand Karriere? Hier tritt auch eine Entscheidung in Kraft. Ein biologischer Organismus entscheidet, daß er sich ganz bestimmten Normen beugt. „Momentan“ ist die Suspendierung, weil sich ohne eine Entscheidung, alles in Unzusammenhängendes auflösen würde. Wir entscheiden diesen oder jenen Dingen einen bestimmten Sinn zu geben. Es fragt sich nur zu was wir uns entscheiden und anhand welcher Kriterien wir zu Entscheidungen finden? Das ist die Frage der Ethik.

    Im Prinzip handelt es sich bei dem was Laruelle da analysiert um eine Analyse davon, wie wir Wirklichkeit konstruieren. Im Prinzip könnte man das als ein klassisches Buddhistisches Projekt bezeichnen. Nur: der X-Buddhismus hat daran kein Interesse. Das X im X-Buddhismus steht für die dem X-Buddhisten nicht sichtbare, unbewusste Entscheidung. Durch sein Nichtinteresse an einer grundsätzlichen Analyse wie wir Wirklichkeit gestalten, fällt der X-Buddhismus auch als gesellschaftlich wirksame Kraft aus und damit wiederum verrät er das Erbe des Mahayana.

  13. 

    Übrigens tom-ate: re „Die Vermarktung des Buddhismus erreicht gerade einen schamlosen Höhepunkt.“

    Hast du diese Fotosammlung schon mal gesehen. Kurz nachdem ich anfing mich mit Buddhismus ernsthaft zu befassen, began mir das wovon du sprichst auch aufzufallen. Ich habe dann angefangen das zu fotografieren und diese Sammlung ist daraus entstanden. Ich habe inzwischen aufgehört das zu dokumentieren. Auch in der Vermarktung des Buddhismus findet man keine Fantasie. Es wird irgendwann sehr repetitiv.

    Der Punkt bei der Buddhismusvermarktung ist, daß sie auf die Inhalte zurückwirkt. Eben die Ratgeberliteratur usw. usf. Es ist ein Trauerspiel :-(

  14. 

    Danke für die Erläuterungen zu Laruelle. Jetzt scheint mir der Abschnitt gut verständlich.

    „Das ist die Arroganz des Buddhismus (oder Dummdreistigkeit, das trifft es wohl häufig besser).“ – Diese Quintessenz ist wohl deine Erfahrung. Du nennst diesen Buddhismus ja auch X-Buddhismus, was eine Klärung beinhalten kann. Eine umfassende Welterklärung scheint m. E. dem orthodoxen Buddhismus ja eher fremd zu sein. Der „Erhabene“ wird genug zitiert, dass Fragen nach dem Jenseits, nach Gott, nach dem Weiterleben der Seele, nach der (Un-)Endlichkeit der Welt irrelevant seien. Eine umfassende Erklärung der Wirklichkeit würde all diese Fragen „entschieden“ beantworten. Das ist nicht der Fall. Es ist doch ehr die Arroganz des menschlichen Geistes, umfassend die Wirklichkeit begreifen zu wollen, sei das nun im Rahmen buddhistischer Fabeln oder astrophysikalischer Theorien.

    „Das Transzendentale ist einerseits das Außerweltliche. Die für uns weder ideell noch sonstwie greifbare Wahrheit des Dharma z.B. Es ist das Postulat, ein Axiom, daß etwas so und so ist. Jenseits aller Empirie.“ – Damit scheint nun mein Zweifel, ob der Begriff des Transzendentalen hier folgendes meint, geklärt: Das Postulat der transzendentalen Philosophie, es gäbe formulierbare Bedingungen a priori einer möglichen Erfahrung, Bedingungen die jenseits der wirklichen Erfahrung und ihr zugrunde liegen. Nach Kant analysiert die so verstandene Philosophie Begriffe von Gegenständen als solchen, die nicht aus der Erfahrung an Gegenständen erst gewonnen wurden.

    Die „Wahrheit des Dharma“ bekommt hier vielleicht auch einen Beigeschmack hinduistischer Welterklärungsversuche (?).

  15. 

    Die Überschrift ist Unsinn-meditieren ,nicht denken ist der Weg.
    Ich will es mal so sagen-ich habe sehr sehr viel Zeit mit denken verbracht u gebracht hat es nichts.Was bei einem IQ von 165 nicht unbedingt zu erwarten ist-das viele denken hat nur Situationen verschlimmert.Bevor man so einen Unsinn publiziert bitte mal richtig denken.

  16. 
    symptomträger 11.2.13 um 20:33 UTC

    guter dharma das! der eingangstext und auch die kommentarsektion. x-buddhismus ist demnach, in meiner übersetzung, die westliche erscheinungsform des glaubensbuddhismus und non-buddhismus für jene welche wirklich wissen wollen oder müssen, eine zeitgemässe form des projektes „befreiung und weltfrieden“.
    ist hier „authentisches zen“ von hakuin zenji bekannt? falls nicht, das könnte einem non-buddhisten spass machen zu lesen.
    freu mich auf weitere texte und irritationen!

  17. 

    Hallo symptomträger, vielen Dank für deine Wortmeldung.

    Welch Ironie, daß du den Text „guten Dharma“ nennst. Die Frage ist, was verstehst du darunter? Im Text steht ja, daß gerade der Dharma das Problem ist.

    Hakuin kenne ich, dem Namen nach, mehr nicht. Auch hier gleich die Frage: Was ist authentisch? „Zen“, „Buddhismus“, „der Buddha“ sind alles magische Worte die häufig benutzt werden, ohne das sie wirklich inhaltlich etwas aussagen. Mit der Authentizität ist es leider genauso. Im Text versuche ich zu sagen, daß diese ganzen Begriffe als Nebelkerzen fungieren. Wenn man genau nachsieht findet man nichts. Dann also lieber gleich konkret werden. D.h. es muss greifbare Substanz da sein. Ist die Frage nach dem Klatschen der einen Hand wichtig? Was sagt dieser Koan.

    Was das Projekt angeht. Befreiung und Weltfrieden vielleicht nicht gleich. Das wäre arg hoch gegriffen. Das hier ist erstmal eine Dekonstruktion des Buddhismus. Seiner ganzen Arroganz, seiner Jesusmässigen Arroganz. Das muss man erstmal auseinander nehmen. Dann kann man schauen was an brauchbarem übrig bleibt.

  18. 
    symptomträger 12.2.13 um 16:20 UTC

    Ahoi Matthias Steingast, meine Klassifizierung obigen Textes und auch des gesammten Blogs als „gutes Dharma“ ergibt sich aus meiner Privatdefinition dieses Begriffes. Für mich ist Dharma nicht die Vermittlung eines bestimmten Wissens, sondern das Offenlegen und deuten auf geistige Phänomene, die im Zusammenhang mit einer wie auch immer gearteten Praxis der Freiheit stehen, diese fördernd, behindernd oder sonstwie beeinflussend – wenn diese Fragen im Kontext von Buddhismus verhandelt werden, auch so, wie das hier der Fall ist.

    Zum Buch Hakuins. Erstmal ist „authentisches Zen“ das Etikett und Label dieses Buches auf dem deutschen Buchmarkt. Ich nehme nicht an, dass die darin versammelten Schriften ursprünglich unter diesem Label zusammengefasst waren. Ist einfach ein Literaturtip, dem man nachgehen kann oder nicht. Meines Erachtens ist darin auch „guter Dharma“ aufgezeichnet.

    zu „Dekonstruktion des Buddhismus“: Ja. Nein. Mu.

    Ja – weil „Goldstaub wertvoll ist, ins Auge gestreut aber sehr problematisch wird“. Goldstaub als Metapher für die Lehre, die Transzendenz, den Dharma. Das von Goldstaub ungetrübte Auge für Immanenz.

    Nein – weil es Buddhismus als Objekt nicht gibt. Es ist also gar nicht möglich den Buddhismus zu dekonstruieren, was auf das vorhergehende „Ja“ verweist. Man kann allerdings versuchen die verklebten Augen zu reinigen.

    Mu – ,weil wir nicht wissen worum es im Grossen und Ganzen geht, weil ich meine Gedanken so schlecht verschriftlichen kann und weil Nebelkerzen nur im Film oder der Schlacht Verwendung finden.
    Was tun wir hier?

  19. 

    Symptomträger.

    Deine Definition klingt gut.

    Zu Hakuin. Ich hatte hier letzten Sommer eine verbissene Dikussion mit einem Frankfurter Verleger (siehe „Denken, Nicht Meditiern!„), der mir unbedingt seine Form von authentischem Zen nahe bringen wollte. In dem Falle Chan. Nicht das ich dir das unterstelle. Es geht um den Begriff der Authentizität, den der Verleger von Hakuin wählt um etwas an den Mann zu bringen. Wie ich gerade an Jinen geschrieben habe, halte ich Authentizität im Sinne eines Originales für absurd. Das ist kein Werturteil über Hakuin, sondern darüber wie solche Texte genutzt werden. Man will dem esoterischen Publikum das eine wahre Richtige verkaufen. Tatsächlich ist das eine Form von Wahrheitserzeugung. Wenn es um Dekonstruktion geht, geht es um die Destruktion diese Wahrheitsanspruches und die Rekonstruktion eines Zuganges zu einem Text, zu einer Wirklichkeit, die z.B. Halkuin beschreibt. Die Rekonstruktion ist aber immer ein Spiel des Jetzt mit der Tradition. Es sind Perspektiven die sich eröffnen, Blickwinkel, Einsichten. Nie aber die Wahrheit wie es wirklich war.

    Es stimmt, den Buddhismus als Objekt gibt es nicht wenn man dieses Spiel der Wirklichkeiten, mit seinen gleitenden Verschiebungen, als das Eigentliche sieht. Also nicht mehr das Objekt sondern das Potential, das ein Hakuin überliefert. Vergessen wir also die Authentizität, schauen wir uns das Potential an und fangen an damit zu spielen. Mal schaun was dabei an Neuem erscheint.

  20. 
    symptomträger 12.2.13 um 20:40 UTC

    Ja das Potential Hakuins, oder deins oder meins, kurz eines jeden Menschen zu seiner Zeit. Das lässt sich ja nicht trennen, die Zeit als flüchtiege Form der Materie und der Raum in dem die ganze Schose clasht.

    Nochmal zu Hakuins Schrift, warum ich die an dieser Stelle hier empfehle. Imho hat Zen eine Art Dekonstruktionsfunktion für Zen schon mit drin. Das jedenfalls hat mich, auch, daran angezogen. Einerseits das steile Versprechen DAS DING auf dem Sinnfindungsmarkt an sich zu sein, und zwar schon immer und andererseits die ernsthafte Behauptung, dass DAS DING an sich so besonders gar nicht ist, weil nie etwas anderes existiert hat als DAS DING ansich…oder so. Aber eigentlich wollte ich hier gar nicht anfangen übermässig erleuchtet zu tun, vieleicht krieg ich die Kurve noch.
    Das Büchlein jedenfalls ist ein sehr gutes Beispiel für die von mir behauptete Dekonstruktionsfunktion, derbe und sicher weit entfernt von dem was der durchschnittliche X-Buddhist unter „rechter Rede“ versteht, ein Rundumschlag gegen den X-Buddhismus zu seiner Zeit, auf diese bezogen und damals, nehme ich an, auch authentisch.

    so, nach einer Zigarettenpause und nem Glas X-Tee, bzw. während dessen, ist mir auch endlich eingefallen wie ich das unbuddhistische Engagement dieses Blogs verstehe. Es geht im Prinzip darum das jene welche sich als buddhistische Lehrer und Meister öffentlich machen, mit offenen Karten spielen sollen. Sich nicht hinter dem Dharma oder einer Position in der Hierarchie verstecken sollen, sondern als Personen mit eigener Ethik für sich selber zu sprechen haben, oder?

  21. 

    symptomträger

    Imho hat Zen eine Art Dekonstruktionsfunktion für Zen schon mit drin.

    Ich denke diese Funktion ist in der buddhistischen Philosophie generell enthalten. Aufforderungen, selbst zu prüfen, selbst zu denken, selbst zu handeln, machen das deutlich. Auch ist wahrscheinlich der Gedanke vom bedingten Entstehen einer Dekonstruktion sehr zuträglich. Dekonstruktion besagt, daß ein Text (das kann eine beliebige Äusserung sein; Popsong, Theater, Liebesgeflüster, Gesten, Reklame, Mimik, Börsennotizen, Runen, das Raunen des hl. St. Joachim, meine unermessliche Weissheit usw. usv.) mehr aussagt als der Autor meint das er mit ihm sagt.

    Das gilt heute ganz besonders für den Buddhismus. Viele Texte, egal aus welcher Tradition, machen klar, daß es letztlich nicht darum geht, die Tradition als solche zu reproduzieren. Gerade Letzteres aber steht meistens im Vordergrund. D.h. der dekonstruktive Gedanke der im Zen enthalten sein mag, wird nicht verstanden oder sogar als gefährlich betrachtet.

    Dekonstruktion sagt aber noch nichts darüber, was in eine Text drin stecken könnte. Es ist erstmal nur die Aussage, daß da mehr drin steckt. Was aber bei einer genauen Betrachtung raus kommt kann ziemlich unterschiedlich sein. Arno Schmidt z.B. hat aus Karl Mays Texten heraus geholt, daß May seine Helden eine Menge Homoerotik auf sublimierte Weise hat ausleben lassen. Die Subtexte unter dem was Joachim Wetzky mitteilt, deuten auf den Willen zu einer romantischen Verklärung der Welt mit der Sehnsucht nach einer autoritativen Führung, die an ein universales Reservoir gekoppelt ist, aus dem alle Fragen ultimativ beantwortet werden können. In aller Kürze, die Sehnsucht nach letzendlicher Sicherheit in einer Evolution in der Sicherheit nicht vorkommt. Der Subtext unter einer Ökokampgane eines Mineralölkonzerns ist die Profitmaximierung und nicht ein ökologisches Verantwortungsbewusstsein.

    Dekonstruktion ist die Möglichkeit einer Entlarvung oder, im besseren Falle, einer weiteren, umfassenderen Deutung, die den Autor als (unbewussten) Träger und Formulierer betrachtet (wobei der Autor keine Person sein muss).

    Die eigentlich interessante Frage ist also, was bringt Dekonstruktion im Falle von Hakuin zum Vorschein? Beschreibt Hakuin z.B. eine bestimmte Technik der Dekonstruktion? Also das Werkzeug? Oder dekonstruiert er sozusagen live und kommt zu bestimmten Ergebnissen? Über Zen, über Buddhismus… Bringt er z.B. bestimmte Ideen, wie man vermeidet, den Erhalt der Tradition mit dem eigentlichen Ziel zu verwechseln? Und was wäre in seiner Formulierung das eigentliche Ziel?

    ——

    Es geht im Prinzip darum, daß jene welche sich als buddhistische Lehrer und Meister öffentlich machen, mit offenen Karten spielen sollen. Sich nicht hinter dem Dharma oder einer Position in der Hierarchie verstecken sollen, sondern als Personen mit eigener Ethik für sich selber zu sprechen haben, oder?

    Das stimmt absolut. Buddhismus im Westen ist in Teilen ein Rückschritt in autoritäre Strukturen. Man könnte darüber spekulieren in wie weit er, was seine Geschichte seit den 1970er Jahren betrifft, auch dazu dient das Vakuum aufzufüllen, das entstand, als die antiautoritäre Bewegung Schluß machte mit dem Muff von 1000 Jahren unter den Talaren.

    Im Buddhismus im Westen geht man häufig von einer grundsätzlichen Dummheit des Menschen aus. Alle die sich um einen Buddhismusmeister sammeln, müssen dies anscheinenden nur allzu oft in der Geste der Unterwerfung tun die ausdrückt, „ich habe keine Ahnung, sag du mir wo’s lang geht„.

    Ich finde man muss das rumdrehen. Wir müssen uns an unsere grundsätzliche Erkenntnisfähigkeit erinnern. Lehrer die das nicht sagen, müssen leider draussen bleiben.

  22. 

    Und weiter wie gehabt, gibt es von Steingass scheinbar kritische Bemerkungen, die jedoch einer tiefer gehenden Analyse nicht stand halten – da sie eben nicht mit entsprechenden Textstellen präsentiert werden, sondern aus einem „Gefühl“ heraus entstanden sind.
    Interessanterweise gibt Steingass diese Diskrepanz offen zu – indem er sich einer Analyse am Text verweigert.

    Und das führt direkt zu der größten Schwierigkeit von Matthias Steingass – dass er eben nicht in der Lage ist zu differenzieren, sondern lediglich ein äußerst simples Schwarz-Weiß-Denken produzieren kann.
    Thich Nhat Hanh – nominiert für den Friedensnobelpreis für seinen engagierten Buddhismus – hat beispielsweise nicht verstanden, um was es geht. Im Gegensatz zu dem Schweizer Blogger Matthias Steingass, der der Welt vorführen möchte, wie der gesamte Buddhismus hübsch konstruiert werden kann.

    Für buddhistisch Pubertierende ist das ganz hübsch anzusehen. Für die anderen hingegen wird es an dieser Stelle ein wenig langweilig. Sollte denn gar nichts substanzielles mehr kommen wollen?

  23. 

    Endlich bin ich mal mit Joachim einer Meinung: TNH ist ein Friedensaktivist, der nicht verstanden hat, worum es im Buddhismus geht. Schöner kann man es nicht ausdrücken.
    Ich hab ja viele Kommentare zum Amida-Sutra gelesen, aber einen so großen Unsinn wie TNH zusammengeschrieben hat (In „Finding our true home“), ist mir noch nicht begegnet. Und mit anderen Sutren geht es ja ähnlich. Siehe:
    http://der-asso-blog.blogspot.de/2010/09/die-falschen-ansichten-von-thich-nhat.html und folgende und das schon erwähnte http://www.haus-lueginsland.de/de/pdf/im_buddhistischen_rotlichtmilieu.pdf
    Obwohl ich seine Übung jeden Tag 5 Steine zu streicheln („Ich gelobe Wege zu erlernen, die zum Wohlergehen (u.a.) der Mineralien beitragen.“) niedlich finde und auch die Idee, das wir das Leben von Mineralien schützen sollen (Fight for the right of stones – yeah) ist großartig. Freiheit für Kochsalz! (Ups, da ist mir doch glatt Gauck’s böses F*-Wort rausgerutscht).

  24. 

    Jinen. Ja, wenn man an das heilige Wort des Buddha glaubt, ist es schwer mit TNH einer Meinung zu sein. Ich persönlich hänge mich nicht an die Lehren des Buddha: Ich habe ihn nie getroffen und kann nicht mal mit Sicherheit sagen, ob es ihn je gab.

    TNH jedoch kann ich wahrnehmen – und als gut und hilfreich für die Gesellschaft erkennen. Das ist mir der einzige Maßstab. Natürlich ist das aus strenger buddhistischer Sicht nicht annehmbar, aber wie ich in meinem aktuellen Blogpost beschreibe: Ich bin ja auch gar kein Buddhist:

    http://ibuddhismus.blogspot.de/2013/02/warum-ich-kein-buddhist-bin.html

  25. 

    iNichtbuddhismus klingt doch auch gut.

    TNH empfand ich als ich ihn getroffen hab als nicht besser als andere Sektengurus. Nur ist es eine esoterische weltfremde Süßlichkeit ohne gleichen, die man bei anderen Gruppierungen nicht finden wird. Man möchte das klebrige Zeugs danach erstmal abduschen.
    Seine Gruppierung gilt ja selbst von Leuten aus der DBU-Ecke wie Franz-Johannes Litsch als sehr fragwürdig.
    „Franz-Johannes Litsch, langjähriger Schüler TNHs, ehemaliges Mitglied des Intersein-Ordens und Hauptvertreter des engagierten Buddhismus im deutschsprachigen Raum, sieht in ihm und seinem Orden schon lange „eine immer stärkere Tendenz zu pseudoharmonischem Sektierertum, zu kritikloser Schönfärberei und realitätsferner Selbstüberschätzung.“
    http://www.fuehlenunddenken.de/buddhismus/sektierertum-schonfarberei-und-selbstuberschatzung/

    Da denke ich, haben andere Gurus wie Osho oder Maharishi Yogi und Maharshi Ramana eine viel größeren Einfluss auf unsere Gesellschaft, als TNH. Aber letztlich ist ihr gesamter Einfluss sicher eh nicht wahrnehmbar.

    Aber einen Maßstab (als gut und hilfreich für die Gesellschaft) als den einzig wahren zu deklarieren, das ist selbst für einen Wilberianer seltsam.
    Vor Leuten, die meinen zu wissen, was gut und hilfreich für die Gesellschaft ist, hab ich eine Heidenangst. Wie sagten die alten Hippies: „Sie wollen nur unser bestes, aber das bekommen sie nicht.“

  26. 

    Jinen. Leider fehlt mir auf der Webseite konkrete Kritik zu TNH. Es ist ja klar, dass sich jede Organisation einer kritischen Prüfung unterziehen sollte – also auch die TNH Sangha.

    Mich würde also auch interessieren, was denn nun genau an TNH kritisierbar wäre. Denn auch dein Litsch-Zitat ist ja nur ein Allgemein-Satz ohne konkreten Inhalt. Hast du da mehr Infos?

  27. 

    Falls ihr Englisch lest findet ihr zwei TNH-Kritiken auf der Site Speculative Non-Buddhism.

    1) Comfort-Food Buddhism by Tom Pepper
    2) Thich Nhat Hanh’s Imaginary Soul by Shyam Dodge

  28. 

    Noch was. Der Text ganz oben – Um was es geht! – könnte helfen die grundsätzliche Kritik zu verstehen, die hier auf diesem Blog und bei Glenn Wallis‘ Spekulativem Non-Buddhism geübt wird. Ich weiss, daß der Text schwer zu lesen ist und ich werde demnächst hoffentlich dazu kommen, Laruelles „Entscheidung“ allgemeinverständlicher und weniger abstrakt zu erklären. Bis dahin könnte man versuchen ihn trotzdem zu lesen. Ein Verständnis dessen was Laruelle „Entscheidung“ nennt, könnte jeden in die Lage versetzen selbst zu beurteilen, wie sie z.B. bei TNH funktioniert oder in jeder anderen Situation. Man würde dann auch feststellen, daß es nicht unbedingt darum geht die ganzen TNHs abzuschaffen.

    Ich habe auch hier nochmals versucht einen Erklärung und ein Beispiel zu geben was die „Entscheidung“ ist.

  29. 
    symptomträger 25.2.13 um 01:09 UTC

    Hallo Matthias,

    ja, so sieht es aus. Aus eigener Erfahrung weiss ich wie sehr man zu allerlei Projektionen und Zuschreibungen auf Meisterfiguren neigt, solange man keine befriedigende Erfahrung der Gültigkeit der eigenen Erkenntnisfähigkeit hat.
    Wenn man Glück hat, und der Meister echt ist, weiss das dieser durch deine Projektionen verfolgte Unglückliche auch und gibt sein Bestes, um dich dazu zu bringen mit dem shice auzuhören.

    Ich vermute das heutzutage die Hauptarbeit des Buddhismus faktisch eine therapeutische ist. Deswegen könnte sich X-Buddhismus entwickelt haben, als Antwort auf das neurotisch-psychotische Protokoll der Gesellschaft. Echtes Verlangen nach unmöglichem Seins-Wissen führt in den meisten Fällen direkt in den Wahnsinn und wenn der Schwung ein guter war und ist, auch wieder raus. Buddhismus ist, wie jede andere Religion, dafür da die für ein Normalselbst unzumutbare Wirklichkeit der Lebensrisiken durch Trosttechniken (metaphysische Wahrheiten) erträglich zu gestalten…die X Funktion. Das war aber noch nie anders. Insofern könnte man sich das X auch sparen, find ich. Und grundsätzlich analysieren was am Buddhismus in seiner heutigen Erscheinung gut und schlecht ist. (Dabei fällt mir auf das ich nicht weiss, ob Nonbuddhisten zwischen x- und nichtx-Buddhismus unterscheiden?)

    Das eigentliche Problem ist ein ethisches. Wo ist der archimedische Punkt, auf dem ich den Hebel meines Handelns ansetze? Warum überhaupt zu einem Handeln ansetzen und nicht gleich wieder verlöschen? Den meisten stellt sich diese Frage wahrscheinlich nicht, und da gehts auch schon los mit der Verblendung (unreflektierte biologisch-soziale Selbsterhaltungsmuster).
    Na und an der Stelle kommt für mich dann das Gute des Buddhismus ins Spiel. Der Dharma (jetzt ne andere Definition), nicht als Metaphysik, sondern als Lehre oder Schule der heilsamen Lebensführung, als Grundlage einer funktionierenden Ethik, über den Umweg durchs Metaphysische. Es geht halt manchmal nicht anders. Immerhin ist die Grundlage von zb. Karma kein überweltliches Wesen, sondern eine Art geistig-materieller Mechanik, die auf Grund unseres absoluten Nichtwissens die Natur des Seins betreffend ja durchaus auch wahr sein könnte.

    Soweit für heute. Die eigentlich interessanten Fragen zu Hakuin kann ich leider nicht beantworten oder hier bedenken, weil ich das Buch nicht mehr habe und mein Gedächtnis nicht das Beste ist. Schade, denn ich hätte tatsächlich Lust es im Licht deiner Frage dazu nochmal zu lesen.

  30. 

    Der Text ist ja sehr umfangreich und alles hab ich auch nicht kapiert. Aber ein paar Gedanken zu ein paar Teilen:
    Wie sähe ein Meditation aus die ohne „das Denken mit unterhaltsamen exotischen Inhalten zu füllen“ oder zu versuchen das Denken ganz abzutöten, um irgendwo da drinnen in der Stille das wahre Selbst zu finden“ aus? (Nebenbei: Meditation spielt im asiatischen Buddhismus kaum eine Rolle).
    Meiner Meinung wäre es ein nichtmanipulatives Sitzen, ein einfach so Sitzen, ohne Prozeße lenken oder beobachten zu wollen. Also vielleicht eher den daoistischen Wei Wu Wei nahe. Inwieweit das in buddhistischer Praxis auftaucht, kann man ja schaun.
    Zweitens geht es meines Eindrucks nach hier viel um Denken. Aber aus meiner Sicht ist eines der Hauptdekonstruktionen auch die des Denkens. Also was kann Denken, was nicht. Meiner Meinung nach liegt seine Funktion im logischen und im nüchtern praktischen, aber nicht so sehr im psychologischen, existentiellen etc.
    Keine Ahnung, ob ich irgendwas von laruelle verstanden hab. Aber wenn es zu einer immanenten Einfachheit zurück soll, so ist sie meiner Meinung nach nicht durchs Denken zu leisten.
    Und das mit der Wahl – Ich weiß nicht. Ich hab den eindruck, das da ein geschehen ist, keine Wahl. Das da etwas geschieht, und dann ein Programm drüber gepackt wird, das es als meine Wahl deklariert.
    Zu dem was symptomträger zur Ethik meint: Ich würde den Ansatz des Buddhismus da erstmal in Frage stellen: Gibt es wirklich so etwas wie gut und böse, und gibt es sie als etwas getrenntes? Wenn, dann seh ich sie eher so wie einen Magneten, wo Plus und Minuspunkt doch irgendwie eine Einheit sind. Und ich würde sagen Leben braucht beide Pole, nur eine Seite funktioniert dann nicht. In China z.B. stellt man sich das ja (naja das Bild ist sehr unperfekt, weil da eigentlich noch die Leere Mitte fehlt) mit dem Yin-Yang-Symbol dar. Hell und Dunkel ist eine Einheit, hell enthält den dunklen Samen in sich, und Dunkel den hellen. Aus meiner Sicht trifft das viel eher den Punkt. Wie Goethe im Faust sagte: »Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.« Und für viele religiöse Bewegungen (oder auch politische) gilt oft das Umgekehrte. Aber letztlich ist das auch schon wieder der versuch, das Einfache in ein Sytem zu pressen und es zu verkomplizieren.

  31. 

    Gibt es von Laruelle was gutes empfehlenswertes auf deutsch? (Auch gern online).

  32. 

    Einen Punkt von symptomträger finde ich sehr wichtig: Gibt es denn auch stärkere Differenzierungen im Nicht-Buddhismus? Es wird ja vom X-Buddhismus gesprochen – gibt es dann auch einen „richtigen“ Buddhismus, oder wird jegliche Form des Buddhismus negiert?

    Wie würde dann ein Buddhismus genannt werden, der sich bewusst über die „soziale, ideologische Konstruiertheit unseres Bewusstseins heute“ ist?

    Im Text oben heißt es „ein Rückgriff auf ein altes buddhistisches Wissen ist immer der Griff nach einer Fiktion.“ Siehst du die Möglichkeit, überhaupt auf buddhistisches Wissen zurück zu greifen? In welcher Form könnte auf altes buddhistisches Wissen zurückgegriffen werden?

  33. 

    Joachim: Der Text Im Schatten des Interseins von Bernhard Goebel spricht auf allgemeine Art ein Problem an, das überall im westlichen Buddhismus zu finden ist. Ich sage bewusst „überall“. Es geht darum, daß die so genannte „Rechte Rede“ primär dazu genutzt wird, Konflikten aus dem Weg zu gehen. Du ziehst dich selbst bei der Auseinandersetzung im Anschluss an meinen Glosse #01 immer wieder darauf zurück, ich würde keine Argument bringen. Das stimmt nur leider nicht. Thema der Glosse #01 war die Substanzlosigkeit deines Leitartikels in der Buddhismus aktuell 1/2013. Man könnte sich mit diesem Vorwurf beschäftigen, es geschieht aber weder hier noch in der Diskussion bei Hans Gruber. Bernhard Goebel bringt das Thema auf den Punkt: Einwänden, kritischen Fragen, unangenehmen Widersprüchen geht man aus dem Wege indem man den Kritiker der mangelnden persönlichen Reife bezichtig. Du tust das auch indem du auf Facebook Sebastian Grohnbach zitierst:

    Und je mehr wir unsere Beziehung zu eigenen, innersten Lebendigkeit verlieren, müssen wir uns in das schlechte Reden hineinsteigern, um uns irgendwie lebendig und verbunden zu fühlen.

    Was „schlechtes Reden“ ist bestimmt ihr – und damit wer die „Beziehung zur eigenen, innersten Lebendigkeit verloren hat.“ Das ist nichts anderes als das was Bernhard Goebel beklagt.

    Du wirst ja auch bald wieder eine Retreat besuchen. Mach doch mal ein einfaches Experiment. Lass mal deinen Schatten aufsteigen und lass ihn den Advocatus Diaboli spielen. Lass ihn Argumente gegen TNH sammeln. Dann geh zum Retreat und wenn du mit den Leuten dort sprichst, achte mal darauf ob dir nicht gelegentlich Widersprüche auffallen. Wenn dir was auffällt, versuch es mal anzusprechen und schau ob es eine offene Atmossphäre gibt, in der unangenehme Fragen zugelassen sind – auch die deines schattenhaften Teufelsadvokaten. Oder nimm ganz konkret dieses Thema mit: Kann es sein, daß Achtsamkeit auch als Mittel genutzt wird um wegzusehen? Sprich das in der großen Runde an. Überlege noch konkrete Beispiele, um die Wichtigkeit deiner Frage zu untermauern. Oder schreib doch Bernhard Goebel an und frag, was er da konkret erlebt hat?

    Jinen: Du fragst: Wie sähe ein Meditation aus die ohne “das Denken mit unterhaltsamen exotischen Inhalten zu füllen” oder zu versuchen das Denken ganz abzutöten, um irgendwo da drinnen in der Stille das wahre Selbst zu finden aus? Du sagst, es könnte nichtmanipulatives Sitzen, ein einfach so Sitzen, ohne Prozeße lenken oder beobachten zu wollen, sein.

    Da bin ich deiner Meinung. Und auch, daß es vielleicht gar keine buddhistische Übung ist. Viele Menschen praktizieren das glaube ich. Viele Menschen kenne z.B. folgenden Effekt: Man beschäftigt sich intensiv mit etwas. Dann gibt es Momente der geistigen Entspannung – Autofahrt, müdes dösen, in der Schlange vor der Kasse stehen – in denen sich plötzlich, ohne Zutun das Material neu zusammen fügt oder eine neue Perspektive auftaucht. Das wäre ein Aspekt des Nichtmanipulativen. Ein andere Aspekt wäre dein nichtmanipulatives Sitzen – wobei aber die Frage ist, wie gedankliche Inhalte zum nichtmanipulativen Beobachten stehen? Die Entscheidung die gedanklichen Inhalte nicht zu manipulieren, manipulieren möglicherweise ja die gedanklichen Inhalte. Aus meiner Sicht ist es möglich, durch nichtmitdenken mit den Gedanken, dafür zu sorgen, daß jeglicher gedanklicher Inhalt recht schnell wieder verschwindet. Auf diese Weise kann man sich tatsächlich dazu bringen, auch jegliche Emotion gegenüber unliebsamen Erscheinungen, sich soweit verflachen zu lassen, bis sie eben nicht mehr stört. Das ist der Punkt auf den die buddhistische Glückseeligkeits- und Achtsamkeitsindustrie hinauswill. Ich würde allerdings sagen, diese Form der Meditation ist eine Möglichkeit, sich der Manipulation heutzutage zu entziehen. Dann allerdings muss noch ein Aspekt hinzu kommen: Lernen! Sich durch nichtmanipulatives Sitzen einen Freiraum zu erarbeiten ist eine Sache. Der Freiraum selber ist aber nichts als genau das, ein freier Raum. Die Frage ist: Mit was fülle ich ihn? Das ist genau die Frage, die Joachim, Hans Gruber, Franz-Johannes Litsch etc. nicht stellen. Überall glaubt man, einfach so nichtmanipulativ sitzen, wird schon irgendwas bringen. Denkste. Sitzen ohne lernen macht blöd!

    Deshalb ist dein Eindruck, daß es hier viel um Denken geht richtig. Mein Motto Denken, nicht meditiern! kann man so auslegen, daß es hier tatsächlich um lernen geht. Meditiern können wir alle zuhause.

    Dekonstruktionen des Denkens. Also was kann Denken, was nicht. Das ist der Punkt. Laruelle hin oder her, es geht darum zu begreifen, daß unser Denken immer schon unsere Auffassung von der Welt formiert. Zumindest sagt man das seit Kant. Das Dingansich, das Reale, die absolute Wirklichkeit ist dem Denken unzugänglich. Alles hängt immer von den Begriffen ab, mit denen wir operieren. Viele dieser Begriffe sind aber so verinnerlicht, daß wir sie und das was sie mit der Welt machen für natürlich halten. „Einfach im gegenwärtigen Augenblick liegt das ganze wahre Glück der Welt.“ Wer sagt das? Der Buddha? Keiner weiss, was dieses Phantom gesagt hat. Aber die ganzen TNHs sagen es uns ständig. Und wir sollen davon ausgehen, daß diese Ansage einfach so stimmt. Man könnte eine Menge vorbringen gegen diesen gegenwärtigen Augenblick und belegen, daß er alles andere als rein, ursprünglich, ungeteilt und von Vergangenheit und Gegenwart und Hoffnung frei ist – was jetzt zu weit führt. Aber wenn man sich das bewusst macht, daß dieser gegenwärtige Augenblick gesättigt ist mit prallem Leben aus allen möglichen unvorstellbaren Ecken, dann beginnnt man sich frei zu machen von dieser Schimäre des gegenwärtigen Augenblicks. Nur ein Beispiel: mit Thomas Metzingers Being No One wird klar, daß der Gegenwärtige Augenblick möglicherweise eine kognitive Funktion ist, die den Zweck hat einen einheitlichen Raum für Welt- und Selbsterleben zu ermöglichen. Dann wird klar, daß das nichts Magisches ist, und daß daraus von allein gar nichts entsteht. Der Mythos vom „kollektiven Erwachen“ wird damit zur Erkenntnis einer kognitiven Grundfunktion – nicht mehr und nicht weniger. Diejenigen aber die weiterhin behaupten, daß sei was ganz spezielles für das man auf Jahrzehnte spiritueller Entwicklung zurückblicken müsse, werden als Scharlatane entlarvt. Das wäre eine Form der Dekonstruktion des Denkens um zu einem anderen Denken zu kommen – einem freieren.

    Was Laruelle angeht… Laruelle zeigt, daß unsere Philosophie immer Idealismus ist, also ein Denken, daß das Ich absolut setzt und damit alle Wirklichkeit relativiert – was schlussendlich zu der postmodernen Pampe führt, in der jeder alles für wahr halten darf. Das gilt dann auch für den X-Buddhismus. Ein „zeitloser Dharma“ den der Buddha erkannt hat, ist genau so etwas. Im Prinzip interpretiert jeder in diesen Dharma hinein was er will. Immer mit Bezug auf eine ominöse Autorität allerdings, die angeblich belegt, daß dieser Dharma echt ist. Tatsächlich aber entpuppen sich all diese Systeme als selbstreferentielle Systeme die nichts sehen als sich selbst. Das ist Idealismus. Oder, wenn’s besonders schlimm wird, Solipsismus. Die Frage ist, wie kommt man aus dieser Selbstreferentialität heraus? Eine Antwort ist „Wissenschaft“. Thomas Metzinger z.B. macht es möglich zu denken, daß das Denken lediglich eine Fiktion ist, die es uns als denkenden Tieren ermöglicht unsere Umwelt möglichst optimal zu nutzen.

    Eine andere Antwort, eine non-philosophische nach Laruelle, wäre, wir entscheiden uns nicht mehr dafür ein bestimmtes philosophisches System als einzig gültiges Welterklärungsmodell zu nutzen. Sondern wir drehen die Sache gewissermassen um: Wir gehen davon aus, daß wir als Menschen schon längst Ausdruck der Wirklichkeit sind. Jede Tat und jeder Gedanke ist Ausdruck der Wirklichkeit und muss nicht, das ist der Punkt, über eine bestimmte Philosophie erst zu einer bestimmten Wirklichkeit gemacht werden. Wir können aber (oder müssen vielleicht sogar) Philosophie/Buddhismus dazu nutzen, in bestimmter Weise zu denken – sozusagen bewusst zu halluzinieren. Der Effekt ist, das wir frei werden zu denken was wir wollen und nicht was wir sollen. Das was wir sind, als Ausdruck der Wirklichkeit, ist immanent. Die Wirklichkeit an sich aber, ist nicht erklärbar. Keine Philosophie hat Zuggriff auf sie. Aber jede Philosophie ist Ausdruck dieser Wirklichkeit. Es ist eine Einwegbeziehung von einer transzendentalen Wirklichkeit zu einer Immanenten Welt des Menschen. Philosophie wie z.B. der Buddhismus wird damit zum Objekt des Denkens – während der verzauberte Märchenbuddhismus das Denken zu seinem Objekt macht und es manipuliert.

    Ok, das macht es wahrscheinlich alles noch viel unklarer.

    Es ist gerade ein erstes deutsches Buch mit Texten zu diesen Themen erschienen: Realismus Jetzt, heraus gegeben von Armen Avanessian, beim Merve Verlag Berlin. Werde versuchen es demnächst zu besprechen. Es ist ein Text von Laruelle enthalten, der erste auf Deutsch von ihm überhaupt so weit ich weiss: Das Reale gegen den Materialismus. Der ist allerdings zum Einstieg etwas hart. Als Einstieg ist vielleicht eher Eliminativer Materialismus von Paul Churchland geeignet. Seine Thesen sind nicht unumstritten aber der kurze Text macht klar, was auf unser heiss geliebtes Ich zukommen könnte – ne echte Schocktherapie nämlich.

    Zur Ethik: Es hat hier dazu schon eine Diskussion gegeben. Wer will kann ja mal reinsehen: Guido Keller gegen den Unbuddhisten.

    Joachim: Du fragst,

    im Text oben heißt es “ein Rückgriff auf ein altes buddhistisches Wissen ist immer der Griff nach einer Fiktion.” Siehst du die Möglichkeit, überhaupt auf buddhistisches Wissen zurück zu greifen? In welcher Form könnte auf altes buddhistisches Wissen zurückgegriffen werden?

    Die Fragen sind gut.

    Das wird, zumindest teilweise, Thema der Glosse #02 am Freitag sein. Ein Teil der Antwort ist oben gegeben (hoffe ich).

    Auf die anderen Fragen werde ich auch noch zurück kommen.

    So long.

  34. 

    Matthias, danke erstmal für den sehr ausführlichen Beitrag, den ich mir morgen noch einmal in Ruhe durchlesen werde. Zu einem Punkt möchte ich jedoch schon jetzt etwas sagen – und zwar zum Text „Im Schatten des Interseins“ von Bernhard Goebel.

    Es ist ja genau diese Art von Kritik, die ein Diskutieren nicht möglich macht – einfach weil sie viel zu ungenau ist. Er ist schlicht zu allgemein gehalten und beruht auf einer einfachen subjektiven Wahrnehmung, wie Goebel es formuliert:

    „Ich erlebte des öfteren wie rasch Einwände, Kritik und Bedenken Ihre freundliche Zuwendung und Offenheit kraftlos werden ließen, ja zuweilen in Angst und Unwillen wandelten.“

    Niemand weiß, in welcher Art oder Form Goebel Einwände oder Kritik verlauten ließ. Es ist vorstellbar, dass er sich vor einen Haufen vietnamesisch sprechender Mönche und Nonnen gestellt hat und sie angebrüllt hat. Wer weiß das schon?

    Solange die „intellektuelle Redlichkeit“ nicht eingehalten wird, ist es wirklich sehr schwer, logisch und analytisch zu diskutieren.

    Sehen wir uns beispielsweise die Diskussion bei Hans Gruber an: Eigentlich geht es ja um den Text „Occupy Samsara“ in der Buddhismus aktuell. Doch 70% von dem was Hans Gruber schreibt, hat mit dem Artikel nicht das Geringste zu tun. Dadurch nun, dass die Kritik zu breit und allgemein gehalten wird, ist es nicht möglich, stringent und schlüssig zu diskutieren.

    Darum auch meine Haltung: Einwänden, kritische Fragen und unangenehmen Widersprüche aufdecken finde ich vollkommen in Ordnung – wenn es in einem Rahmen bleibt, der einem – nennen wir es mal wissenschaftlichen Diskurs – würdig ist. Denn nur dann ist es möglich von Argumentation zu Argumentation zu gehen, ohne sich in der Breite zu verlieren.

  35. 

    Matthias, ich hab bei dir den Eindruck, das Meditation dann immer noch ein um zu ist, ein leerer werde, und das diese Leere dann wieder gefüllt werden muss.
    Meine Sicht auf Meditation ist aber eben dies nicht. Es ist einfach nur eine Form des einfach dasein. Daher muss danach auch nichts füllen.
    Ich hab bei Laruelle den Eindruck, das er auf dieses der Wirklichkeit nix draufpacken aus ist, während ich bei dir den Eindruck hab (und im viel stärkeren Maße bei Joachim) das es da um ein Draufpacken geht. Sicher kann man da verschiedene Ebenen des Draufpackens sehen, einmal der des Lernens, dann der der evolutionären Story, dann der ethischen (eines fiktiven Gutmenschentums), dann die des transzendentalen Kits. Sie scheinen mir aber alle die selbe Tendenz zu sein, alles Storys des „So wie es jetzt ist sollte es nicht sein, wäre es anders, wäre es besser“.

    Freilich ist auch dieses Sei in diesem Augenblick, dann bist du glücklich, ein draufpacken. Es denkt, das Gedanken an Vergangenheit und Zukunft kein dieser Augenblick sind. Ich bin immer in duisem Augenblick, anders kann ich eh nicht sein. (Und TNH packt dann noch das „und lächle“ als Dogma obendrauf)

    Zum lernen fiel mir mal wieder Laotse ein:

    Wer das Lernen betreibt,
    gewinnt täglich hinzu.
    Wer vom Dao hört,
    wird täglich geringer.

  36. 

    Meditation ein „um zu„… also je länger ich darüber nachdenke, desto weniger empfinde ich es als sinnvoll ausgehend von dem Begriff „Meditation“ über Erfahrung zu sprechen. Der Begriff ist konnotativ vergiftet. Alle reden darüber, keiner weiss was gemeint ist.

    Das „um zu“ selber, ja das gibt es. Ich lerne um zu verstehen. Was Laotse mit seinem Vers und „lernen“ meinte entgeht mir aber (siehe Glosse #02).

    Aber trotzdem. Es könnte um „einfach da sein“ gehen. Was aber wenn man versucht das zu beschreiben und das versucht im Modus des Einfach-da-sein zu tun?

    Das ist es worum es auch bei Laruelle geht: Der Mensch ist da! Das ist das erste Faktum. Alles andere Laotse, Laruelle, Matthias Steingass und Jinen, kommt später – alles philosophieren (egal ob in der Linie des Phantoms oder Platos) muss sich dem unter ordnen. Umgekehrt wird ein Dogma draus.

    Was passiert wenn man unter der Voraussetzung denkt, daß alles Denken ein Spiel der Wirklichkeit ist und daß die einfach so da ist?

    Ich fange an wie ein verdammter Mystiker zu klingen. Aber es ist einfach ein Umkehroperation. Nicht ich füge etwas hinzu, sondern das Wirkliche drückt sich in Gedanken aus. Wichtig ist, daß ich keinerlei Versuch unternehme, von meinen Gedanken, die ein Ausdruck des Wirklichen sind, auf das Wirkliche zurück zu schließen. Das wäre wieder Philosophie als Macht über das Wirkliche. Diese Macht aber hat der Mensch nicht.

  37. 

    Zum Laotse-Zitat. Sicher ist es auch eine Kritik an den Lern-Ansätzen seiner Zeit (besonders an Konfuzius und Mozi) und ein Gegenmodell dazu.
    Er beschreibt aus meiner Sicht sehr schön, daß Lernen dem da sein (was Laotse aber als ein prozessuales, ständig sich veränderndes ansehen würde) immer noch etwas künstliches dazufügt, es wird mehr und mehr.
    Wer dem sich stets verändernden einfach so da sein folgt, der wird immer weniger, weil da alles künstliche von selbst abfällt, und nur das fließende einfach so da sein übrigbleibt. So verstehe ich ihn.

    Ansonsten ist das, was du zu Laruelle schriebst, sehr stimmig.

  38. 
    die kehrseiten 10.12.13 um 15:14 UTC

    was der buddhismus so vertritt, geht für mich in die schizophrenie und persönlichkeitsspaltung.

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