Christof Spitz sagt merkwürdige Sachen
Der von mir im Mai heftig abgekanzelte Christof Spitz hat in der Diskussion um das leidige Karma-Thema die Initiative ergriffen und eindeutig Stellung bezogen. Sichtbar wird dabei eine Haltung der begründeten Skepsis die so gar nicht ins gängige x-buddhistische Bild passt und die braven Gläubigen, die an ewige Werte und den einen wahren Buddhismus glauben, gehörig irritiert. Was ist da los? (vgl. Christof Spitz‘ Texte in der Diskussion Brodbeck-Artikel über Karma ab hier.)
Rückblende
Spulen wir kurz zurück: Am 3. Mai, in der Glosse #04, hatte ich ein Stück zeitgenössischen buddhistischen Glauben auf’s Korn genommen – den Glauben an Karma als eine Art Schuld-und-Sühne-Gesetzt. Mein Kommentar und die parallelen Diskussionen im Forum des Tibetischen Zentrums Hamburg entwickelten eine überraschende Dynamik (z.B. hier). Diese führte unter anderem dazu, daß sich eine ganze Reihe von Moderatoren dort mit einem Male für nicht mehr zuständig für die Diskussionsleitung bei diesen heiklen Themen erklärten und zurück traten (vgl. hier). Ein andere Aspekt war, daß ich erstmals erlebte, wie man die Zugriffsraten auf ein Blog durch echten BILDzeitungsstil hoch jagen kann. Allerdings Christof Spitz als Zensurhansel des deutschen Buddhismus zu bezeichnen, war ein Griff ins Klo meinerseits. Wie auch immer, diese Dynamiken sind nicht das Schlechteste – was natürlich kein Grund ist so fortzufahren. Aber entsprechende Bewegungen sollten aufgenommen und weiter verfolgt werden.
Die von Gestern…
Ganz allgemein gesagt, ein wichtiges Ergebnis dieser Dynamik ist ein genauerer Blick auf verschiedene Kräfte und Bewegungen im deutschen Buddhismus. Es gibt solche, die in großer narzisstischen Selbstüberschätzung, ihre persönliche Auffassung von Buddhismus als das Nonplusultra darstellen – gestützt auf angebliche Übertragungen hoher Meister oder sonstiger Gespenster und dem einzig wahren Verständnis das sie von ihnen haben – und es gibt solche die sich tatsächlich auf das grosse Fest des Wissens einlassen. Anders gesagt, es gibt solche die sich dem Prinzip des totalen Buddhismus unterstellen und solche die die Bedingtheit des Buddhismus selbst sehen. Es gibt solche die in einem fantasierten Buddhismus einen ursprünglichen ewig wahren Kern suchen um mit diesem (unbewusst) eine haltlose und leere Ichkonzeption zu stützen, und es gibt solche die sich auf die einen oder andere Weise klar darüber sind, daß alle Vergangenheit immer nur in der Gegenwart erlebt wird und daß solcherart alle Tradition unweigerlich durch die Gegenwart geformt wird.
Die Ersteren gehören wohl zu denjenigen mit denen man nicht diskutieren kann. Und sie gehören wohl auch zu denjenigen die man in die Schranken weisen muss, wenn es darum geht der Zeit gemäß zu denken und zu handeln. Der Buddha – das Phantom – hat uns kein Wissen darüber vermittelt, wie wir in einer Gesellschaft leben sollen, die den Menschen von innen her auf subtilste Weise formt und ihm langsam aber sicher jede Möglichkeit der Kreativität und des demokratischen Handelns nimmt. Die derzeitigen Enthüllungen über das Prism-Program des amerikanischen Geheimdienstes NSA werfen ein Schlaglicht auf die Möglichkeiten des Staates seine Bürger zu überwachen. Die andere Seite dieser Überwachung, ihre Komplement, ist eine Normung des Menschen von innen her: die zwanglose Anreicherung seines Begehrens durch die Kommodifizierung eines jeden Aspektes menschlichen Lebens. Der moderne Überwachungsstaat überwacht und steuert den Menschen nicht mehr indem er ihn zu etwas zwingt, er steuert ihn indem er ihm das Wollen das er wollen soll direkt einpflanzt. Das ist die Aufgabe des Marketing. Und dadurch das der Mensch glaubt zu wollen was er muss, begibt er sich freiwillig in Abhängigkeiten und Bedingtheiten die ihn letztlich zu einem Automaten machen. Buddhisten die dem Prinzip des totalen Buddhismus folgen gehören zu diesen Automaten. Diese Buddhisten sind abwesend, weltflüchtig, uninteressiert und uninteressant. Wer sich nicht dafür interessiert wie der moderne Staat funktioniert der sich in den letzten 50 Jahren entwickelt hat, oder gar glaubt ihn mit erträumten Gesetzmässigkeiten à la alles Leben ist Leid und dergleichen Quatsch erklären zu können, unterstützt de facto einen raubmordenden Kapitalismus der unsere gesamte Zivilisation in eine finstere Dystopie zu verwandeln droht, die weit über das hinausgeht was für Huxley oder Orwell denkbar war. Diese Buddhisten unterstützen den modernen Überwachungs- und Normungsstaat und verwandeln Buddhismus in die Schlaftablette eines Innerlichkeitskultes, der fälschlicherweise glaubt in seiner Innerlichkeit ein unberührtes Paradies zu finden. Man kann kaum mehr Fehl gehen und deshalb muss man solche Buddhisten in die Schranken weisen.
…und die von Heute
Die Dynamik der oben angesprochenen Diskussion macht aber deutlich, daß es im deutschen Buddhismus auch etwas anderes gibt als selbstverliebte Selbstvergessenheit der X-Buddhisten. Es gibt zwar nicht gerade ein Nachdenken darüber, wie das moderne Ich sich in einen gut funktionierenden Automaten verwandelt, aber es gibt eine klaren Gedanken darüber, daß Buddhismus selbst dem historischen Wandel unterworfen ist, und daß deshalb die Suche nach einem ursprünglichen Wissen, das schon alle Antworten auf unsere Fragen enthält, vergeblich ist. Dieser Gedanke, die historische Bedingtheit der Lehre selbst, die Leerheit des Dharma sozusagen, ist natürlich etwas was dem braven X-Buddhisten zutiefst irritiert. Das kann man diesen Leuten nicht verdenken. Aber man muss andere fragen, wenn es darum geht zu erfahren, welche Werte ein facettenreiches kulturelles Erbe wie der Buddhismus etwa mit sich bringen könnte?
Verwirrung…
Christof Spitz jedenfalls scheint das Spielchen vom Buddhismus als Goldesel einer ewigen Philosophie, der in einem fort letzte Wahrheiten scheisst, nicht mehr mitspielen zu wollen.
Die Irritation die er den Seinen zumutet, fängt direkt beim größten Schatz der X-Buddhisten an, dem bösen bösen Ego. Die x-buddhistische Generalweisheit, wenn es um die endgültige und totale Abschaffung eines angeblich allumfassenden Leides geht aus dem alles Leben besteht, ist die, daß das böses böse Ego an allem allem Schuld ist. Dies gipfelt z.B. in so superschlauen Texten wie No Self, No Problem die im wesentlichen predigen, daß jegliches Problem der Welt in der wir leben zu lösen ist, indem wir jeden Gedanken an eine Ich-Identität abschaffen. Christof Spitz hält solchem Denken entgegen:
„Ich-Bezogenheit an sich ist nötig, wir können ihr gar nicht entgehen, und daher kann sie gar nicht falsch sein. Welchen Blick wir auf das Phänomen „Ich“ haben, ob daraus Egozentrismus oder Verantwortung für andere wird, wie wir unsere Fähigkeiten einsetzen, das hängt von anderen Faktoren ab […].“ Quelle
Hier wird also schonmal dem Mythos von der Ichabschaffung als Weg zum umfassenden Heil einen Absage erteilt. Das ist nicht wenig, denn dieser Mythos vom bösen Ego, das einem wahren Selbst für ein Linsengericht seinen ihm rechtmässig zustehenden Platz nimmt, wird nicht nur allgemein im X-Buddhismus als zeitlose Wahrheit verkauft, sondern speziell auch von solchen Esoterik-Heiligen wie Sogyal von Lakhar (fälschlicherweise meist als „Rinpoche“ tituliert) oder Robert Thurman. Das heisst, von Spitz‘ Kollegen im tibetischen Buddhismus.
Was dabei die Reinkarnationen angeht, die dieses nichtige Ego (oder das wahre Selbst – sein wahrer, reiner, von allem Leid gereinigter Zwillingsbruder) ja doch irgendwie durchmacht, so schreibt Spitz dazu u.a. folgendes:
„[…] [D]er Daseinskreislauf beschreibt vorrangig eine Daseinsweise, keine Zeitreise durch verschiedene Leben. […] Das wesentliche dabei scheint mir die Art und Weise der Existenz zu sein, ob es sich nur zwischen gestern, heute und morgen oder zwischen letztem, diesem und dem nächsten Leben abspielt, ist für den Begriff „Samsara“ selbst unwesentlich. Selbst in klassischen Texten wird Samsara oft einfach als Existenz in Verwirrung definiert und Nirvana als Freiheit von Verwirrung (z.B. bei Gampopa), kein Wort von diesem und jenem Leben. Das könnte ein Indiz dafür sein, worum es eigentlich geht.“ Quelle
Samsara als Existenz in Verwirrung, das ist im wesentlichen eine Sichtweise die auch in den Diskussionen um den Spekulativen Non-Buddhismus herausgearbeitet wurde (vgl. z.B. hier). Diese Verwirrung ist das Leben als Automat der sich für frei und selbstbestimmt hält. Ein Leben in Verwirrung das sich für nicht verwirrt hält. Oder marxistisch ausgedrückt: Ein Leben, daß das was ihm qua Ideologie aufoktroyiert wird für natürlich hält.
… und Verantwortung
Nirvana ist die Freiheit von dieser Verwirrung zu der schon die Erkenntnis der Verwirrung der erste Schritt ist. So gesehen erhält Buddhismus eine ganz andere Dimension. Mindestens kommt hier die Frage auf, in wie weit wir uns eigentlich sicher sein können, keine Automaten zu sein – die Matrix-Frage sozusagen. So oder so aber ist die andere Dimension die hier auftaucht, die nach der Frage der Verantwortung als Ich. Das x-buddhistische Gelaber um die Ichlosigkeit ist dabei eine Ausweichbewegung: Man möchte das Problem gerne an der Wurzel packen und es ein für alle mal abschaffen in dem man gleich das ganze Ich über Bord schmeisst. Die Hoffnung auf eine Erlösung von diesem Ich durch die reine Lehre eines angeblichen historischen Buddha, erspart einem damit den mühevollen Prozess der Selbsterkenntnis davon, wie man zu dem wurde was man ist.
Spitz bezieht eindeutig Stellung gegen solche Heilversprechen. Das x-buddhistische Heilversprechen heute – No Self, No Problem – entsteht in einem spezifischen historischen Kontext. Genauso wie das was unzweifelhaft vor 2500 Jahren das ausgelöst hat, was wir heute Buddhismus nennen. Beide Kontexte könnten aber so unterschiedlich sein, daß sie für den jeweils anderen unverständlich werden und daß alles was uns bleibt eine Vergangenheit ist, die in der Gegenwart wieder aufblüht ohne das wir wissen können, ob das Heute mit dem Gestern vergleichbar ist. Das heisst aber ja nicht, daß wir nichts haben. Das heisst lediglich, daß uns eine gewisse Versicherung fehlt – die des allmächtigen und unfehlbaren Hirten nämlich. Das Problem der Verantwortung bleibt bestehen. Zu dieser Verantwortung gehört, sich nicht über scheinreligiöse Heilversprechen aus ihr heraus zu stehlen. Zu ihr gehört, die damalige Weltinterpretation, so wie sie überliefert ist, kritisch zu betrachten und mit unserer heutigen Weltinterpretation vergleichen. Und zu ihr gehört, Fragen nach Plausibilität zu stellen und einer wabernden esoterischen Ontologie Grenzen zu setzen.
Bezogen auf das Ausgangsthema dieser ganzen Diskussion, der x-buddhistischen Interpretation von Karma als Schuld-und-Sühne-Register, kann dann eine ernst gemeinte Frage nach unserer Verantwortung nur zu folgendem Schluss kommen. Christof Spitz:
„Das Problem ist also, dass sowohl Karma als auch Wiedergeburt hoch spekulative Angelegenheiten sind. Die theoretischen Erklärungsmodelle für Wiedergeburt im Buddhismus sind schwach. Die subjektive Erfahrung von Bewusstsein ist kein Beleg für dessen Existenz als Kontinuum über den Tod hinaus.“ Quelle
Das ist eine Ansage die in ihrer Deutlichkeit nichts mehr zu wünschen übrig lässt. Und das ist das was die X-Buddhisten verwirrt: Man kann ein verantwortungsbewusster Mensch ohne Glauben an ein Jenseits sein, ohne Glaube an eine Seelenwanderung, ohne Glaube an ein Sündenregister. Willkommen in der modernen Welt.
„Die zentralen Lehren aber sind davon meines Erachtens nicht tangiert und bleiben trotzdem gültig: die Lehre vom abhängigen Entstehen und vom Nicht-Selbst; die Sicht der Verbundenheit der Lebewesen und der Bedeutung von Nicht-Verletzen und Mitgefühl; die Notwendigkeit von ethischen Werten; die Tatsache, dass unser Denken und Handeln Wirkungen auf uns selbst hat (diesen Teil der buddhistischen Variante der Karma-Lehre würde ich auch für wesentlich halten); die Bedeutung von meditativer Schulung.“ Quelle
Diese zentralen Lehren erhalten so, wie sie Christof Spitz darstellt, einen anderen Wert als denjenigen den sie dort haben wo man sich auf den Weisen aus dem Morgenlande als Garant letzter Gewissheit bezieht. Im wesentlichen würde ich sagen erhalten sie einen Wert, der einen nicht nur zur Tat auffordert sondern zur Tat zwingt bzw. unmittelbar mitteilt das wir sowieso schon immer Tat sind. Denn wenn abhängiges Entstehen und Nicht-Selbst bedeutet, daß unser Ich in radikaler Kontingenz aller möglichen Kontexte steht, es somit keinen Selbstkern gibt sondern eine ständig im Prozess befindliche Individualität die die Interaktion selbst ist, dann heisst das, daß wir gar nicht nicht handeln können, sondern lediglich falsch oder richtig.
Keith Dowman hat es mal so formuliert:
„So gesehen kannst du den Kopf gar nicht in den Sand stecken. Wenn du es versuchst, kommt er sofort woanders wieder raus.“
Wer also versucht über die Weltflucht in einen mythischen Buddhismus den Fragen nach der Verantwortung in der Gegenwart zu entgehen, der handelt falsch. Wer versucht sich dem mühevollen Prozess der Selbsterkenntnis durch ein angeblich radikales Ausreissen des Ichs an der Wurzel zu entziehen, der handelt falsch. Wer an unhaltbaren ontologischen Spekulationen über Seelenwanderung und ihre Lenkung durch ein magisches Agens namens Karma und dergleichen mehr, wider besseres (mögliches) Wissen, festhält, der wendet sich von der Welt ab und handelt falsch.
Was richtig ist, ist dagegen nicht so leicht zu beantworten. Das liegt in der Natur der Sache. Da das Alte als Patentlösung wegfällt, müssen wir uns was Neues einfallen lassen. Was das ist, ist per Definition unbekannt. Richtig ist aber in jedem Falle die Frage danach, was richtig ist!
Am besten gefällt mir diese Aussage eines X-Buddhisten:
„Heutzutage ist aber kein Kraut gegen die Demokratie gewachsen: sie hat nun auch den Buddhismus erreicht: jetzt geht es dem edlen Buddhismus, geschaffen von Experten, an den Kragen.
Und wenn die Demokratie auch durch eine Revolution geschaffen werden muss: sie wird kommen. Die Aristokratie des Buddhismus wird untergehen, hier im Westen, danach im Osten (der macht inzwischen dem Westen ja alles nach). Und das dauert mit Sicherheit keine 2500 Jahre mehr.“
Daß Buddhisten offen derart demokratiefeindlich auftreten ist eher selten. Allerdings kann man davon ausgehen, daß viele X-Buddhisten sich in autoritären Strukturen recht wohl fühlen (würden) und solche Strukturen wahrscheinlich auch wünschen. Man sieht das daran, daß diese Leute sich immer wieder auf unfehlbare Autoritäten berufen. Eins stimmt: Solche Buddhisten sind weitaus schlimmer als die Originalbuddhisten aus dem Osten. Ich denke, das ist ein Punkt an dem nochmals deutlich wird, daß es bei der Diskussion auch um eine politische Dimension geht. Eine mehr oder weniger offen demokratiefeindliche Haltung, bzw. das Bedürfnis nach autoritären Strukturen und die Schuldzuweisung an die Opfer eines Verbrechens (Karma als Sündenregister) gehen Hand in Hand. …und das hat verschiedene Implikationen, die man mal benennen müsste.
Ich finde deine Glosse mal wieder super erfrischend. Mich nervt dieses:
-No Self, no Problem- schon seit dem ich mich Buddhistin bezeichne. Dieses Beweihräuchern von Erwachten und Leuten die wer weiß wie oft schon „karmamelisiert“ sind.
Ich denke du hast recht, das es Buddhisten gibt die sich in autoritären Strukturen wohl fühlen, man sieht es leider immer wieder. Ich fühle mich dann immer so unglaublich fehl am Platz…
Danke für deinen Text, das ist Balsam für meine ICH Anhaftung ;)
dir ganz liebe Grüße von Jo